Was ist Berliner Blau – oder warum sind Cyanotypien blau?

Romy Pfyl vor einer Cyanotypie

Die Cyanotypie ist eine der ursprünglichsten Formen der Fotografie. Sie funktioniert ohne Kamera, wird mit Sonnenlicht belichtet und mit Wasser entwickelt. Bei diesem Prozess erscheint nach und nach, wie durch ein Wunder, das Fotogramm in einem großartigen Spektrum von verschiedensten Blautönen, dem Berliner Blau. Häufig werde ich gefragt, warum das so ist, warum Cyanotypien blau sind.
Hinter jeder Frage warten interessante Geschichten und für mich war es spannend, in dieses Thema einzutauchen und zu recherchieren. Hier werde ich dir darüber berichten, wie Berliner Blau erfunden wurde, wofür es verwendet wurde und wird, was das mit der Cyanotypie zu tun hat, natürlich auch, warum die Cyanotypien blau sind.
Hätte es die Erfindung des Berliner Blaus nicht gegeben, wäre vielleicht auch die wunderbare Technik der Cyanotypie nicht entwickelt worden. Häufig basiert die Entwicklung einer neuen Technik auf dem, was schon viel früher erfunden wurde. So ist es auch in diesem Fall … Also fangen wir mit dem Berliner Blau an!

ERFINDUNG

In einem alchemistischen Labor in Berlin im Jahr 1706 staunte man nicht schlecht, als bei der Herstellung von Florentiner Lack das Ergebnis anstatt rot plötzlich tiefblau war.
Wie so viele Erfindungen passierte auch die Erfindung des Berliner Blaus durch ein Missgeschick, einen Irrtum, durch unachtsames und vielleicht auch unsauberes Arbeiten. Gut, wenn solche Fehler findigen Menschen passieren, die sofort das Potenzial eines Versehens entdecken können. So haben der Schweizer Söldner und Abenteurer Johann Jacob von Diesbach und der Alchemist Johann Conrad Dippel aus diesem Lapsus das erste moderne, künstliche Pigment entwickelt: Das Berliner Blau, auch Eisenblau oder Preußischblau genannt.

Die Erfindung von Berliner Blau passierte durch Zufall in einem Berliner Alchemisten-Labor.

HERSTELLUNG

Das Geheimnis der Herstellung dieser Farbe ließ sich nicht lange geheim halten. Nach der Veröffentlichung des Rezeptes nahmen bald mehrere Firmen die Herstellung dieses Farbstoffes auf. Das Interesse war groß, weil es eine günstige Alternative zu den bisherigen Farbtönen wie Ultramarin und Azurit darstellte. Ultramarin war teurer als Gold und die anderen blauen Farbstoffe bleichten mit der Zeit aus. Berliner Blau wird aus einer Lösung von Eisen- und Blutlaugensalzen hergestellt. Es ist praktisch ungiftig und hat eine hervorragende Farbechtheit.

Das teure Ultramarin wurde aus Lapislazuli hergestellt.

KUNST

Vor allem die Maler schätzten sich glücklich mit dieser neuen Farbe. Sie ersetzten damit bald einmal das teure Ultramarin, welches aus Lapislazuli hergestellt wurde. Als Erstes wurde es von den Malern am preußischen Hof verwendet. Darum ist es wohl vielerorts auch unter dem Namen Preußischblau bekannt. Bald einmal verbreitete es sich über Paris in die damalige Künstlerwelt. Über China kam es nach Japan. Das bekannteste Werk mit Berliner Blau ist wohl der von Hokusai geschaffene Farbholzschnitt: „Die große Welle von Kanagawa.“

Für den von Hokusai geschaffenen Farbholzschnitt: „Die große Welle von Kanagawa“ wurde Berliner Blau verwendet.

CYANOTYPIE

Im Jahr 1842 erfand John Herschel, ein britischer Astronom, die Cyanotypie.
Cyanotyie beruht auf der gezielt gesteuerten lokalen Bildung von Berliner Blau. Es ist eine historische Fototechnik, bei der eine mit einer Mischung aus Eisen- und Blutlaugensalz präparierte Fläche mit der Sonne belichtet wird. Dort, wo viel Licht hinkommt, entsteht viel Berliner Blau und dort, wo kein Licht hinkommt, entsteht auch kein Blaupigment. Zur Fixierung des Bildes werden die nicht zum Berliner Blau umgesetzten Eisensalze in einem Wasserbad ausgewaschen.
Eine Cyanotypie entsteht nicht mit einer Kamera, sondern als eine Art von Kopie, zum Beispiel als Fotogramm, indem Gegenstände auf das sensibilisierte Papier gelegt und samt ihren Schatten als Negativ abgebildet werden. Oder von einem aufgelegten, durchscheinenden Negativ zum Beispiel einer Fotografie ausgedruckt auf Overheadfolie. Diese wird 1:1 als ein blau-weißes Positiv wiedergegeben.

Bei dieser Cyanotypie wurde der getrocknete und gepresste Fruchtstand einer Allium auf präpariertes Büttenpapier gelegt, mit Sonne belichtet und mit Wasser entwickelt. © Romy Pfyl 2021
Diese Cyanotypie wurde mit einer auf Overheadfolie ausgedruckten Fotografie erstellt. Sternenmoos, © Johannes Wöstemeyer 2022

BLAUPAUSE

Die Technik der Blaupause wurde lange Zeit verwendet, um Kopien von technischen Zeichnungen, Bauplänen usw. zu erstellen. Sie war eine der ersten Anwendungen der Cyanotypie. Man legte eine mit Transparentpapier erstellte Zeichnung auf ein Cyanotypiepapier welches dann mit der Sonne belichtet und mit Wasser entwickelt wurde. Die auf dem Transparentpapier dunklen Linien waren daraufhin auf dem blauen Papier als weiße Linien zu erkennen. In den 20er Jahren wurde das Ganze dann automatisiert und damit viel einfacher. Die Blaupausentechnik wurde bis in die 40er Jahre verwendet und dann von modernen Verfahren abgelöst.

Mit der Blaupausentechnik wurde es möglich, Pläne zu kopieren.

MEDIZIN

Es war eine überraschende Entdeckung, dass sich Berliner Blau auch zur Bindung von Giften eignet. Es wurde als Gegenmittel bei Vergiftungen mit radioaktivem Caesium und Thallium eingesetzt. So kam es zum Einsatz bei nuklearen Katastrophen zum Beispiel in Tschernobyl. Berliner Blau wurde in Futterpellets an bayrische Wildschweine verfüttert, um ihre Kontamination mit Caesium zu verringern. Heute ist Berliner Blau ein etabliertes Mittel gegen Thalliumvergiftungen und zur Entfernung von radioaktivem Caesium aus dem Körper von Menschen und Tieren.

Bayrischen Wildschweinen wurde nach der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl Berliner Blau in Pellets verfüttert, um ihre Kontamination mit Caesium zu verringern.

INTELLIGENTES GLAS

Durch seine Farbwechsel von transparent zu einem intensiven Blau ist Berliner Blau eines der möglichen Materialien für die Herstellung dieser Hightech-Anwendung. Intelligentes Glas kann helfen, Energie einzusparen, indem durch eine Farbveränderung die Energieeinstrahlung variabel angepasst werden kann. Außerdem kann Berliner Blau in neuartigen Batteriesystemen verwendet werden und somit zusätzlich als Energiespeicher dienen. So können beispielsweise Fensterscheiben ebenso als wiederaufladbare Batterien eingesetzt und genutzt werden. Die Technologie der elektrochromen Fensterscheiben stößt speziell im Bereich der Gebäudeverglasungen auf großes Interesse.

Intelligentes Glas kann helfen, Energie einzusparen.

Liebe Leserin, lieber Leser,
ich freue mich sehr, dass du mich auf dieser Reise durch diese Geschichte des Berliner Blaus und der Cyanotypie begleitet hast.
Je mehr ich mich mit der blauen Welt der Cyanotypie beschäftige, umso mehr schätze und liebe ich diese Farbe. Mein Blick für die feinen Nuancen schärft sich mehr und mehr und manchmal habe ich das Gefühl, dass mir zunehmend „blaue Augen“ wachsen …
Die Cyanotypie, die Kunst und die Natur sind meine große Leidenschaft. Darüber werde ich hier in diesem Blog fortlaufend berichten.

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12 Kommentare

    1. Super Tanja, ich bin schon sehr gespannt was du machst und wie es dir dabei ergehen wird. Bitte lasse es mich wissen. Ich wünsche dir einen wunderschönen blauen Sommer mit tollen kreativen Naturerlebnissen. Alles Liebe und Grüße nach Stuttgart, Romy

  1. Liebe Romy, deinen Artikel habe ich gebannt und fasziniert gelesen – Wissenschaft und Kunst so spannend verquickt, ich bin ganz begeistert! Liebe Grüße, Silke

    1. Liebe Silke,
      ja, ich liebe es bei den Dingen hinter den Vorhang zu schauen.
      Da tut sich immer Spannendes auf.
      Es ist neu für mich, darüber auch schreibend zu berichten.
      Aber immer mehr realisiere ich, wie wertvoll das ist
      und wie viel Spass es mir macht.

  2. Vielen Dank für deinen großartigen Blogbeitrag, liebe Romy! Ich hatte zwar schon mal etwas von Cyanotypie gehört und konnte mir etwas darunter vorstellen. Aber wie Berliner Blau entdeckt wurde und wie es im Laufe der Zeit für so viele Dinge nützlich wurde, war mir nicht bekannt. Klar kenne ich als Ingenieur Blaupausen, aber dass wir das dem Berliner Blau zu verdanken haben, wusste ich noch nicht. Ich freue mich, weiter deine Beiträge zu lesen.
    Viele Grüße aus Frankfurt
    Claudia

    1. Ganz herzlichen Dank, liebe Claudia. Ja, das Eintauchen in die Welt der Geschichten rund um das Berliner Blau war auch für mich ganz speziell spannend. Herzliche Grüße zurück aus dem österreichischen Weinviertel
      Romy

  3. Ich habe es mit großem Interesse gelesen, bin ich doch auch seit Jahren ein Fan dieser wunderbaren Technik, doch über die Hintergründe wusste ich bisher wenig.
    L G Ulrike

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