Von der Kraft der frühen Träume und Wünsche

Träumerin

Ein Zwerg sein

Eine erste abenteuerliche Begegnung mit meinen Träumen und Wünschen beschert mir ein Zwerg mit roter Zipfelmütze. Er lebt in einer Erdhöhle, wo er nach Schätzen gräbt. Um ihm zu begegnen, muss ich selbst eine Zwergin werden. Wenn ich es mir ganz fest wünsche, funktioniert das. Im hohen Gras der sommerlichen Wiese mache ich mich unsichtbar. Zwerge können zaubern und so kann ich das auch. Hier kann mich niemand finden. Wo die hohen Stängel der Kerbel zu Hause sind, genau dort wohnt er. Wenn ich Glück habe, kann ich ihn sehen. Habe ich mit ihm geplaudert? Oder habe ich ihn sogar in seinem unterirdischen Reich besucht? Davon habe ich sicher geträumt. Aber ob es wirklich geschehen ist, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ist ja auch schon mehr als ein halbes Menschenleben her.

Zwerg mit roter Zipfelmütze

Fliegen können

Wie der Wunsch fliegen zu können zu mir gekommen ist, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Eines Tages ist er einfach er da, tief und fest. Also muss ich etwas tun, damit das mit dem Fliegen funktionieren kann. Wenn es am Sonntag zum Mittagessen Poulet gibt, dann wähle ich immer die Flügel zum Essen. Das wird mir dabei helfen. Davon bin ich überzeugt.
Zum wirklichen Fliegen hat mir dann aber eher der Weihrauch in der Kirche verholfen. Bei gefühlt stundenlangen heiligen Messen sitze ich als kleines Kind in der großen barocken Pfarrkirche in Schwyz. Für mich ist das unendlich langweilig. Also gehe ich auf Gedankenreisen. Dabei hilft mir die üppig prächtige Kirche mit ihren wunderbaren Bildern und Statuen, das Rauschen der Orgel, der wunderbare Gesang, die gemurmelten Gebete und die vielen Menschen in der Kirche, die ich mit Ausdauer beobachte. Aber, was wäre, wenn da einfach nichts wäre, wenn es einfach überhaupt nichts gäbe … Nichts, einfach nichts. Schwierig, sehr schwierig ist es, sich das vorzustellen … Lange, sehr lange probiere ich, bis es mir endlich gelingt. In dem Moment, wo ich es mir plötzlich vorstellen kann, fliege ich, schwebe ich, weil es auch mich dann ganz einfach nicht mehr gibt. Und niemand, nicht die Mutter, nicht der Pfarrer, niemand bemerkt, dass in diesem Moment in der Pfarrkirche in Schwyz ein Wunder geschieht.

Seifenblase

Rutschbahnen in die Nachbarhäuser

Das Meiste über Zusammenhalt, Hierarchien, Regeln und das Funktionieren von Gemeinschaft habe ich beim Spielen mit den Nachbarskindern gelernt. Nur zum Essen und schlafen gehen wir nachhause. In der übrigen Zeit sausen wir mit den Rollschuhen die Straße hinunter, spielen Völkerball, machen eine Schnitzeljagd, bauen Hütten im Wald, machen gefährliche Feuerspiele, errichten eine Sprungschanze oder wir spielen Versteckis. Nur an den Regentagen funktioniert das nicht. Unser Reich ist die Straße, die Wiese und der Wald und es ist nicht üblich bei den anderen Kindern im Haus zu spielen. An den Regentagen sind die Türen zu und jeder ist für sich allein. Eigentlich wäre es doch wunderbar, auch an solchen Tagen und überhaupt immer gemeinsam spielen zu können. Wir könnten alle Nachbarhäuser mit Rutschbahnen verbinden. So könnten wir einander jederzeit besuchen und von einem Haus ins andere rutschen. Das ist ein Traum, den wir Kinder gemeinsam entwickelt haben. Nur leider, hat er sich nicht realisiert. Ich denke, man sollte viel mehr auf die Kinder hören. Kinder haben fantastische Ideen.

Rutschbahn

Rosenzüchterin werden

Gemeinsam mit meinen Eltern besuche ich eine Rosenausstellung in Ibach. Unglaublich, wie viele verschiedene Rosensorten es gibt. Begeistert tauche ich in diese neue Welt der Düfte, Farben und Formen ein. Wir kaufen für unseren Garten ein paar Rosenstöcke. „Sutters Gold“, ist gelb, mit zart rosafarbenen Rändern, „Queen Elizabeth“ in Rosa, ist die Lieblingssorte meiner Mutter und „Papa Meilland“, dunkelrot, samtig, hat einen tiefen, starken und unvergleichlichen Duft. Für Weihnachten darf ich mir von den gesammelten Silva-Punkten ein Buch aussuchen. Ich entscheide mich für ein Rosenbuch. Dieses Buch erweist sich als großer Schatz. In ihm wird genaustens erklärt, wie neue Rosensorten gezüchtet werden. Ich bin begeistert. Die Forscherin, Entdeckerin, Tüftlerin und Pflanzenliebhaberin in mir bekommt Futter. Das Buch wird mir zur neuen Bibel und so entsteht mein Traum Rosenzüchterin zu werden. Ich bin gerade zehn Jahre alt und ich sehe mich schon auf berühmten internationalen Rosenausstellungen mit meinen neuen und sensationellen Rosensorten.

Rosen

Künstlerin sein

Künstlerin war ich schon immer. Ich bin sozusagen als Künstlerin auf die Welt gekommen. „Du bist eine Künstlerin“, pflegt meine Mutter zu sagen und seufzt dabei tief. Ja, ich bin einfach ein wenig anders, anders als gewünscht, eine Künstlerin eben.
Mein großer Aha-Moment kommt als ich zum ersten Mal einem echten und wirklichen Künstler beim Entstehen eines Werkes zuschauen darf. Das ist Zaubern in seiner reinsten Form. Ich spüre sofort, dass da noch viel mehr dahinter steckt als einfach nur ein schönes Bild zu malen. Was da geschieht, ist magisch. Hier wird Unsichtbares sichtbar gemacht.
Der Traum, Künstlerin zu sein, bleibt mein Geheimnis. Ich würde dafür ausgelacht. Und überhaupt, Künstler sind meiner Familie eher suspekt. Trotzdem gehe ich von Anfang an meinen Weg zur Künstlerin ganz konsequent. Er sieht zwar ziemlich anders aus als von mir erträumt oder erwünscht. Aber es geht immer in die richtige Richtung. Die Wünsche und Träume haben einen starken Motor, der mich kraftvoll und sicher ins Leben hinein katapultiert. Und zwar genau dorthin, wo meine Wünsche sich erfüllen.

Farben, Tuben und Palette

4 Kommentare

  1. Ach, soooo viele schöne Parallelen. Künstlerin sein, Rosen züchten, Kinderspiele auf der Straße. Wir hatten doch schon ein recht reiches Leben mit unseren Träumen und Wünschen.

    1. Liebe Antje
      Mit dem Schreiben kommen alle diese Erinnerungen und sie werden so lebendig, als ob es gestern erst gewesen wäre.
      Ich habe das Gefühl, mir selbst als Kind noch einmal ganz neu zu begegnen.
      Staunend folge ich diesen Geschichten, die nach und nach aus dem Vergessen auftauchen.

  2. Den Traum von den Rutschbahnen zwischen den Häusern kenne ich nur zu gut. Noch heute stelle ich mir vor, dass unser Haus direkt mit anderen verbunden ist und man sich ungehindert von einem Haus zum anderen schwingen kann. Oder eben rutschen. Unterirdische Gänge finde ich auch immer reizvoll. Hmm, ich bin zuversichtlich, dass wir das noch hinkriegen.

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