Romys Nacht und Tag-Buch 23
In diesen heißen Tagen bekommt das Wort kühl einen sehnsuchtsvollen Klang. In meinem Schlafzimmer träume ich mich in den Urwald hinein. Ich schreibe an Kindheitserinnerungen, experimentiere mit meiner Stimme und ich meide das Unterwegssein in der gleißenden Sonne.
Sonntag, 9. Juli
In der Trainingshalle ist es kühl. Nur wenige Menschen machen sich an diesem heißen Nachmittag ans Krafttraining. Ich gebe mein Bestes, um meine Muskeln bis an die Ermüdungsgrenze zu strapazieren. Nur so kann der Muskelaufbau effektiv vorangehen. Nie hätte ich gedacht, dass so ein Training auch Spass machen kann. Ich trete sozusagen gegen mich selber an und versuche meine Leistung kontinuierlich zu steigern. Irgendwie hat dieses konzentrierte Trainieren auch etwas Meditatives. Vor allem, wenn es in der Halle so ruhig ist wie an diesem Samstagnachmittag. Eine Osteoporose Diagnose hat mich motiviert, mit dem Krafttraining anzufangen. Ich hoffe, dass ich mit ausdauerndem Trainieren und mit starken Muskeln meine Knochen schützen kann.
Montag, 10. Juli
In den warmen Sommernächten wird viel gefeiert. Lachen und Plaudern aus den Nachbargärten und ab und zu jugendliches Motorrad heulen von der Straße her. Ich lausche zum Garten hin. Heute Nacht ist auch der Igel unterwegs. Vor der Terrasse wird herum geraschelt. Nur die Hühner sind ruhig und schlafen. Eigentlich möchte ich es ihnen gleich tun. Aber der Schlaf will mich nicht finden. Am Morgen bin ich noch ein wenig müde und ich fühle mich zerknautscht. Es dauert eine Weile, bis mein Kopf wieder klare Gedanken fassen kann und meine Glieder beweglich werden. Gleich werde ich durch den Garten gehen und nach den Salaten schauen.
Dienstag, 11. Juli
Beim Schreiben die eigene Stimme finden. Das war eines unserer Themen beim gestrigen Treffen in unserer Lese- und Schreibgruppe. Um Rhythmus und Sprachmelodie geht es da. Beim Schreiben klingen im Hintergrund immer meine Worte mit. Manchmal verfolgen mich die Sätze bis in meine Träume. Oder sie sind am Morgen beim Aufwachen gleich als Erstes in meinem Ohr. Für mich ist Schreiben auch eine Form von Musik. Ich nehme mein Gedicht „S Nütälinüt“ auf. Das innere Hören der Worte spürt sich feiner an, als wenn ich mir selbst beim Sprechen des Gedichtes zuhöre. Das Schweizerdeutsche lässt ganz andere Bilder und Eindrücke entstehen als, wenn ich in der Schriftsprache bin. Ich möchte verstanden werden. Also werde ich wohl eher in einer allgemein verständlichen Sprache schreiben und trotzdem versuchen meine eigene Stimme zu bewahren.
Mittwoch, 12. Juli
Gestern habe ich geschrieben. Den ganzen Tag lang bin ich eingetaucht in mein Kindheits-Erleben. Es ist spannend und bereichernd für mich, mir als Kind neu zu begegnen. Ich spüre, dass ich von diesem Kind, das ich mal war, noch Vieles lernen kann. Es geht um die frühen Träume und Wünsche. Sie werden aus der Kraft und der aus Freude geboren. Heute Morgen beim Aufwachen leuchtet mir ein intensiv oranges Licht entgegen. Das Morgenrot erwärmt meine noch müden Augen und lässt alles um mich herum weich und hoffnungsvoll erstrahlen. Jetzt gerade schaut der Himmel eher ein wenig düster aus. Vorher haben ein paar zögerliche Regentropfen sanft aufs Terrassendach getrommelt. Ob das wohl ein Regentag wird?
Donnerstag, 13. Juli
In meinem Schlafzimmer geht es rund. Eine Orchidee nach der andern öffnet hier ihre Blüten. Offensichtlich fühlen sie sich wohl im sommerlichen Dämmerlicht, mit den auch am Tag hinuntergelassenen Rollos. Im Urwald, wo sie ursprünglich wachsen, sind es die hohen und dicht gewachsenen Bäume, welche das Sonnenlicht dämpfen. Zwar wachsen dort die meisten Orchideen auf den Bäumen. Aber sie klettern wohl nicht so hoch hinauf, dass sie der starken Sonnen ausgesetzt sind. Tagsüber wird es mir auf der Terrasse zu heiß, darum mache ich Mittagsruhe im kühlen Schlafzimmer. Wenn ich meine Orchideen-Wildnis betrachte, träume ich mich in den Urwald hinein. Für mich ist er noch immer ein Sehnsuchtsort. In meiner Lebenswirklichkeit habe ich ihn bisher noch nicht besucht.
Freitag, 14. Juli
Blauhimmlig und klar begrüßt mich dieser Morgen. Eine Taube zelebriert ihren Ruf, dazwischen die Meisen und jetzt ein Spatz. Ich sitze mit dem Laptop in meinem Sommerbett und schreibe. Dieser Garten ist gerade jetzt mein liebster Ort. Hier gibt es alles, was ich mir im Moment wünsche. Wenn ich es mir unter der Weide im Liegestuhl gemütlich gemacht habe und meine Augen entspannt durch den Garten gleiten lasse, überkommt mich ein großes Glücksgefühl. Wie schön, dass ich hier bin und diesen Moment genießen kann … diesen wunderbaren Sommer und dieses ganze abenteuerliche, wilde, herausfordernde und doch so schöne Leben.
Samstag, 15. Juli
Die Hitze macht mich träge. Ich verschiebe die nötigen Arbeiten in Haus und Garten immer wieder nach hinten. Keine Lust, mich zu bewegen oder anzustrengen. Im Nacken sitzt mir das, „eigentlich müsste und eigentlich sollte ich“. Woher diese Stimme wohl kommt? Nichts muss, gar nichts. In iMovie bastle ich an einem kleinen Film herum. Ich nehme meine kürzlich geschriebenen kurzen Texte mit den Kindheitserlebnissen auf. Es ist immer wieder eigenartig, die eigene Stimme zu hören. Über die sie wird so vieles transportiert. Eigentlich ist das Hören einer Stimme ein intimer Moment. In ihr wird das Innerste hörbar.
Ich habe die Orte, die du beschreibst, so klar vor meinen Augen und kann es kaum erwarten, sie bald wirklich sehen und erleben zu können. Ich freue mich auf schattige Plätze in deinem Gartenparadies – und natürlich auf ein baldiges Wiedersehen!
Ich auch!
Ich liebe dein Tagebuch. Ich höre und sehe dich durch diese Texte ganz klar vor mir. Ich bin neugierig auf deine Geschichten. Ich möchte wissen, was aus dem Rangstreik der am 10. Juli friedlich schlafenden Hühner geworden ist. Und ob du weitere Besuche von Raubtieren bekommen hast. Und ich denke auch gerade an deinen leuchtend orangefarbenen Knirps, der dir eine Botschaft schicken will. Deine Naturbeschreibungen haben einen besänftigenden Einfluss auf mich. Ich fange an zu lächeln, wo ich sonst wütend über die Hitze bin. Dein Sehnsuchtsort ist längst in dir, liebe Romy, auch wenn du ihn physisch noch nicht besucht hast. Und du machst ihn durch deine Texte auch für alle anderen sichtbar.
LG – Uli
Liebe Uli, das freut mich sehr, dass ich in dir eine so treue Leserin meiner Nacht- und Tag-Bücher gefunden habe. Ich realisiere gerade, dass du sie fast schon so ein wenig wie einen Fortsetzungsroman liest. Ja, über meine Hühner werde ich nächstens wieder berichten. Mein roter Sessel, der früher vor dem Goldfischteich deponiert war, steht jetzt vor dem Hühnerstall. Ich liebe es dort zu sitzen und den Hühnern bei ihrem Tun zuzuschauen. Es ist wie Fernsehen, nur besser.
Liebe Romy,
danke, jetzt weiß ich, welche Pflanze das ist, die vor meinem Fenster aufgetaucht ist. Das Seifenkraut.
Was deinen Sehnsuchtsort Urwald betrifft, da kann ich erzählen, ich war mal dort. Im Urwald Ecuadors. Dort sah ich den bekannten Weihnachtsstern als Wildpflanze, so groß wie ein Haus! Wie staunte ich.
Manchmal taucht das Seifenkraut so einfach auf. Ich habe Samen gesammelt und ausgestreut. Zu meiner Freude mit Erfolg
Liebe Romy,
Du schriebst am 14. Juli „Blauhimmlig und klar begrüßt mich dieser Morgen“.
Den gleichen Satz schrieb auch ich am 14. Juli in mein Tagebuch. Blauhimmel. Ich dachte, ich hätte dieses Wort erfunden.
Deinen Tagebucheintrag habe ich erst heute und hier gelesen.
Das ist lustig, liebe Monika. Manche Erfindungen liegen eben manchmal in der Luft und ereignen sich dann gleichzeitig. Ich überlegte noch kurz, ob ich meine Wortschöpfung blauhimmelig nennen soll, entschied mich dann aber fürs elegantere blauhimmlig. Der Himmel war an diesem Morgen einfach so, dass er geradezu nach diesem Wort verlangte …