Vom Bienenglück und Hexeneinmaleins

Romys Nacht- und Tag-Buch 4

Die Selbstverständlichkeit, mit der Pflanzen mit ihrem Grün die Grundlage allen Lebens sichern und großzügig ihre Schätze verteilen, berührt mich. Aber auch zwischen Menschen kann das Leben reich und beglückend sein, wenn ich genauer hinschaue und darüber nachdenke. Als ich mein Geschriebenes der letzten Woche nochmals las, fiel mir auf, wie viel vom Geben und Nehmen die Rede ist. Oft bemerke ich dieses beständige Fließen zwischen den Menschen nicht. In der Natur fällt es mir viel eher auf.

Sonntag, 26. Februar

Unterdessen ist das Nacht- und Tag-Buch zu einem festen Pfeiler in meinem Alltag geworden. Es bietet Halt und die Möglichkeit, das Strudeln und Fließen des Lebens besser wahrzunehmen.
Heute Nacht musste ich meine zwei Hühner schlachten lassen. Das war zum Glück nur ein Traum. Sie waren schwach, krank und litten und ich hatte das übersehen, weil ich zu lange von ihnen weg war. Es war höchste Zeit, sie zu erlösen und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihnen so lange schlecht gegangen war. Mein Nachbar würde das Schlachten übernehmen und ich das Suchen der Hühner. Sie waren in eigenartig verschachtelten Stallungen untergebracht und es dauerte längere Zeit bis ich sie fand. Ein paar neugierige Kinder halfen mir dabei. Wie ich Pavina endlich finde, ist ihr Körper komisch verrenkt und unförmig. Den Kamm hat sie ganz verloren und sie ist ganz dünn geworden. Ich nehme sie in meine Arme und sie kuschelt sich hinein. Ich bin verwundert darüber, weil sie früher eher schüchtern war. Dann erinnerte ich mich daran, wie ich sie selber mit der Hilfe eines chinesischen Apparates aus einem Ei ausgebrütet hatte und wie klein, schwach und doch schon frech und mutig sie als ganz kleines Kücken war. Dann verschwindet der Traum wie in einer Wolke und über dem Rest liegt ein gnädiger Nebel.
Zu Weihnacht hat mir meine jüngste Enkelin eine Zeichnung mit vielen jungen Hühnchen geschenkt. Sie hat Pavina, wie sie noch ein flauschig kleines Kücken war, den Namen gegeben. Nach der Reha werde ich mir zwei junge Hühnchen dazu holen. So bekommen Pavina und Mareike Gesellschaft und es wird wieder eine lustige kleine Hühnerschar zusammenkommen.

Kinderzeichnung mit Hühnchen
Meine jüngste Enkelin Coco ist eine begabte und ausdrucksstarke Zeichnerin.

Montag, 27. Februar

Seit ein paar Tagen eine anhaltende Trägheit und innerlicher Rückzug. Stundenlanges Liegen und Lesen und keine Motivation hinauszugehen. Ab und zu zwinge ich mich durch die Übungen, räume auf, wasche oder koche mir was. Beide Kniegelenken schmerzen und die Narbe ist empfindlich. Gestern Schnee und Graupelschauer, vielleicht macht mir das Wetter zu schaffen.
Heute Morgen eine freundlich bleiche, aber irgendwie kraftlose Frühlingssonne. Ich habe mir in der Früh (schon vor dem Schreiben!) im Internet Übungen angeschaut, wie ich mit meinem neuen Kniegelenk vom Boden liegend wieder aufstehen kann. Was für ein passendes Bild für diese Gemütslage … aufstehen! Jetzt habe ich innerlich schon fast gelacht und dann doch wieder einen großen Seufzer gemacht. Übrigens habe ich gestern noch kurz meine Hühner Pavina und Mareike im Nachbargarten besucht. Sie sind bis nach meiner Reha im Stall meiner Vermieterin untergebracht. Es geht ihnen bestens und sie kamen gleich freudig angerannt wie sie mich gehört haben.

Dienstag, 28. Februar

Heute werde ich mein drittes Nacht- und Tag-Buch auf die Reise schicken. Ich freue mich, wenn ich mir diese bunte Woche anschaue. Auch schwierige und eher dunkle Tage eröffnen so im Nachhinein ihren Sinn. Manchmal befallen mich Zweifel, ob meine Alltagserlebnisse auch für andere interessant sein können. Zweifel können zermürbend wirken und ich bin froh, dass ich sie heute abgeschüttelt habe. Wenn ich meine Wochenrückblicke nicht hinaus in die Welt schicke, kann ich es nicht herausfinden. Die ersten zwei Bücher wurden von fast hundert Menschen gelesen und ich habe viel positives Feedback bekommen. Dann gibt es sicher auch stille Leser*innen von denen ich nie hören werde und manche, die das wirklich nicht interessiert … auch das ist in Ordnung. Diese Bücher schreibe ich in erster Linie für mich selbst und dann öffne ich mich auch für andere und gebe ihnen die Gelegenheit, mich in meinem Alltag ein Stück weit zu begleiten.

Bücherregal und Zimmer mit Cyanotypie
Wie interessant ist mein Alltag für andere?

Mittwoch, 1. März

Gestern Vormittag eine Fahrt durchs Marchfeld. Ein befreundetes älteres Ehepaar führte mich freundlicherweise mit ihrem Auto zum Orthopäden. Wir sind diese Route in den letzten Wochen schon ein paar mal gemeinsam gefahren und ich genieße diese Fahrten. Unterwegs haben wir immer viel Spass, erzählen einander dies und das und staunen über die Weite dieser Landschaft. Wir fahren vorbei an idyllisch kleinen Orten, wunderbaren barocken Kirchen, einem versteckten See, verfallenden Schlössern und einer riesigen Zuckerfabrik.
Wieder zu Hause sind zu meiner Freude motivierende erste Reaktionen auf mein 3. Nacht- und Tag-Buch eingelangt. Mich erreicht eine Mail auf Spanisch aus der südlichen Hemisphäre, wo es gerade langsam herbstlich wird. Wie schön, dass ich durch meine Worte auch Menschen, die so weit weg leben, begegnen und sie berühren und inspirieren kann. Eine liebe Bekannte aus Wien findet die Idee so eine Art Tagebuch im Blog zu führen genial. Meine treue Leserin und tolle Blogbegleiterin Kerstin aus Berlin bedankt sich fürs 3. Buch. Sie schreibt, dass sie schon sehr gespannt war, wie es weiter geht, dass beim Lesen in ihrem Kopf so viele Bilder entstehen und dass sie es liebt in die besondere Romy-Sprache zu versinken. Ein lieber Freund freut sich über den Bericht von seinem Geburtstagsfest. Und eine Leserin, die ich persönlich (noch) nicht kenne, schreibt, dass sie sich gerade wie eine glückliche Biene in meinem Garten fühlt, dass meine Worte ihr Nektar sind und dass sie schon gespannt ist, welcher Honig daraus entsteht.

Donnerstag, 2. März

Ich bestaune wieder einmal die wunderschöne Hühnchen-Zeichnung meiner Enkelin Coco auf dem Arbeitstisch. Da beschleicht mich so etwas wie ein Bedauern darüber, dass ich mich nicht mehr so spontan, frei und unbeschwert zeichnerisch ausdrücken kann wie sie. Wenn ich es mir genau überlege, ist es wahrscheinlich einfach die Routine, die Ausdauer, das tägliche Tun und die daraus wachsende Begeisterung, die mir fehlen. Coco zeichnet, dokumentiert und verarbeitet auf diese Weise beständig ihren Alltag und ihre Erinnerungen. Es ist großartig, mit welchem Selbstverständnis sich jüngere Kinder kreativ ausdrücken. Mein Großneffe Theo in Japan ist gerade sehr von Hexen begeistert und fasziniert. Ihm habe ich zum Geburtstag ein Hexenpäckchen geschickt, mit kleinen Blauen Wundern zum Selbermachen, einem Hexentee, der beim Ziehen im heißen Wasser blau und mit dem Zusatz von Honig violett wird und eine Karte mit dem Hexeneinmaleins von Goethe. Meine Nichte hat ihm das Hexeneinmaleins auf Japanisch übersetzt und vorgelesen. Er hat es mit großer Konzentration und gekonnt pantomimisch umgesetzt, im festen Glauben, dass wenn er das richtig lernt, eine Hexe werden kann. Als ich in Theos Alter war, habe ich vom gegrillten Hähnchen immer die Flügel gewählt. Ich war der Überzeugung, dass wenn ich sie regelmäßig esse, ich dann das Fliegen lerne.

Cyanotypien
Kleine blaue Wunder© Romy Pfyl 2020

Freitag, 3. März

In der Früh steht ein großer hellgrüner Trolley vor meiner Haustür. Die Nachbarin Visavis borgt ihn mir für die Reha. Ab Mitte nächster Woche bin ich für drei Wochen im oberösterreichischen Weyer. Im letzten Vorsommer habe ich diesen wunderbaren Reisekoffer mit meinen ganzen Arbeitsmaterialien gefüllt und mich damit auf die Reise zu meiner Freundin in der Steiermark aufgemacht. Dort habe ich zwei Wochen lang meinen Urlaub genossen und jeden Tag Cyanotypien gemacht. Von mir aus ist der Trolley dann gleich weiter auf Reisen gegangen … Diesmal mit der Schwägerin. Eigentlich wollte ich meiner Nachbarin als Dank fürs Ausborgen ein Glas Honig schenken, habe sie aber nicht gleich angetroffen und dann ging es im Alltagstrubel vergessen. Eines Tages steht sie vor meiner Tür und fragt, ob ich vielleicht Honig zu Hause habe. Sie brauche ihn für einen speziellen Pizzateig. Super, sage ich, den wollte ich dir eigentlich schon vor längerer Zeit bringen. Dieses selbstverständliche Geben und Nehmen in der Nachbarschaft tut mir gut und macht, dass ich mich hier wohl und gut aufgehoben fühle.

Samstag, 4. März

Der unbändige Frühling und sein lebendig wildes Sprießen inspiriert und beflügelt mich. Das frische Grün hat mich gestern ins Freie gelockt und ich habe eine kreative Grünerkundung gemacht. Zuerst habe ich Blätter und Gräser gesammelt. Dann mit einer japanischen Pflanzendrucktechnik die verschiedenen Grünnuancen auf ein Aquarellpapier gedruckt. Anschließend hatte ich Lust, daraus eine Collage entstehen zu lassen. Grün ist die Lieblingsfarbe der Natur. Im Pflanzengrün findet die Fotosynthese statt, die Grundlage unseres Lebens auf dieser Erde. Goethe kam zum Schluss, dass Grün nicht nur beruhigend wirkt, sondern dass es auch das Erinnerungsvermögen stärkt und das logische und kreative Denken fördert. So habe ich gestern auch gleich einen Blogartikel mit einer Anleitung zur kreativen Grünerkundung erstellt: Gehämmerter Pflanzendruck – eine kreative Grünerkundung.

Collage mit grünem Pflanzendruck
Das collagierte Resultat meiner gestrigen Grünerkundung, „Frühlingserwachen“, © Romy Pfyl 23

4 Kommentare

  1. Liebe Romy,
    ich danke dir für alle Tag-und Nachtträume, jegliches Ein-und Abtauchen.. und dann wieder Aufstehen…!!
    Ich zähle in der letzteren Zeit zu denen, die still lesen, und dir in Gedanken.. oder gefühlt.. sofort antworten.. Wenn die Gedankenübertragung immer funktionieren würde, hättest du ganz viele Botschaften mit „alles Gute für deinen KH-Aufenthalt, gute Besserung.., schön, dass du es gut durchgestanden hast.. gute Genesung.. und jetzt: alles Gute und viel Heilung auf deiner Reha🤗..!“ erhalten 😊.
    Und auch.. „Wow, wie schön!!!… So geht’s mir auch… 🌸🌱🐝🦋🐞🌞, tolle Idee! Danke für die Anregung!.. Danke fürs Mit-Teilen.. fürs Geben..🙌🏼!..“ Siehst du, so geht’s mir wiederum auch.. nur andersrum.. Ich denke manchmal, wen interessiert schon, was ich zu sagen habe, darüber denke../Interessiert das wen..?🤔“
    Ich könnte wieder mal endlos schreiben.. 😉
    Mich hat‘s auch ein bissl durcheinander gebeutelt 😓.. -ich bemüh mich auch wieder ‚aufzustehen‘.. manchmal ist es echt ‚zach‘, wie wir so sagen.
    Die Hühnerzeichnung deiner Enkelin spricht und springt mich total an..😍!.. Sogar die Sonne sendet Liebe aus..💕.. und die 💓-beflügelten Hühner.. ganz in zugewandter Kommunikation.. sogar das Gegackere stellt sich mir dar..😁.. Und der Nährboden für alles ist die Omama☺️! -herrlich spontan👏🏼👏🏼🥰!!
    So, das war jetzt nur ganz kurz, weil schon soo spät🫣..
    Gute Nacht und schöne Träume (ohne Schlachtungen😬) und bis bald!
    Sabine🐝

    1. Liebe Sabine, wie schön, von dir zu hören. Ich habe jetzt öfters an dich gedacht. Fein, dass die Nacht- und Tag-Bücher uns dabei unterstützen in Verbindung zu bleiben. Ich wünsche dir alles Liebe Romy

      1. Das freut mich auch sehr, liebe Romy!
        Dankeschön 🙏🏼😊!!
        Übrigens vermisse ich deine 12 von 12 Beiträge!!
        Ich bin da immer gern eingetaucht!
        Auch dir alles Liebe!!
        Sabine

        1. Wie fein zu hören, dass du auch gerne meine 12von12 liest. Jetzt gerade mache ich mal Pause damit … es kann aber gut sein, dass ich eines Tages damit wieder weitermache.

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