Mühlen-Sommer

Mährische Thaya
Gespiegelte Sonnenstrahlen in der mährischen Thaya

Romys Nacht- und Tag-Buch 26

Die zweite Woche in der Mühle. Gemeinsam mit anderen Künstler*innen verbringe ich hier eine erholsame, inspirierende und intensive Zeit. Ich schwimme jeden Tag in der mährischen Thaya, lese, schreibe, mache Pflanzenerkundungen mit Bleistift und erobere die Umgebung mit immer länger werdenden Wanderungen.

Sonntag, 30. Juli

Am Küchentisch sitzen und langsam und gemütlich aufwachen. Feine Gespräche und ein köstlicher Kaffee mit Milchschaum. Noch immer im Pyjama ziehe ich mich zum Schreiben in mein warmes Bett zurück. Draußen regnet es. Nachher werde ich meine hier gemachten Pflanzenbilder mit einem Fixativ behandeln. Der Grafitstaub verwischt sehr leicht. Gestern habe ich eine Komposition aus Kompasspflanzenblättern und der Oberfläche unserer alten Sitzbank gemacht. Bei vielen der hier entstandenen Bilder geht das Menschengemachte eine Verbindung mit dem Wesen der Pflanzen ein. Ich liebe es im zeichnerischen Tun in diese Welten zu versinken.

Montag, 31. Juli

Beim noch schlaftapsigen Gehen in die Küche fällt mir auf, wie viel stärker und irgendwie auch selbstsicherer mein linkes, operiertes Bein geworden ist. Meine linke und rechte Seite kommt wieder ins Gespräch und strebt so etwas wie Harmonie an. Das neue Kniegelenk, so willkommen es war, braucht Zeit, um wirklich ein Teil von mir zu werden.
Hier in der alten Mühle lebt es sich einfach. Jeder tut und niemand muss. Gestern habe ich für unser gemeinsames Abendessen eine Minestrone gekocht. Am Nachmittag beim gemeinsamen Kaffee trinken meinen hier entstandenen Text vom „Gras sein“ vorgelesen. Dann zeige ich einer der hier gemeinsam arbeitenden Künstlerfreundinnen, wo das Kletten-Labkraut wächst. Sie begeistert sich für diese stark haftenden Kügelchen und beginnt, mit ihnen in geduldigster Kleinarbeit eine Pyramide zu bauen.

Kletten-Labkraut-Früchte
Kletten-Labkraut-Früchtchen

Dienstag, 1. August

Ein fast Vollmond lockt uns auf die Wiese hinter die Mühle. Gemeinsames Mondschauen und staunen über dieses magische Licht. Tagsüber bin ich hier hinten gesessen und habe gezeichnet. Der Wiesen-Bärenklau wollte aufs Papier. Meine Idee war, ihn klar und reduziert darzustellen. Dann hat er aber von der Blattmitte aus nach außen eine explosive Dynamik entwickelt. Vielleicht haben da auch der Vollmond und meine Tagesverfassung mitgespielt. Das entstehende Werk überrascht mich mit seiner Vielschichtigkeit. Ist es ein Bild vom Mond vom Bärenklau und von meinem Innern an diesem Tag? Oder hat der Wiesen-Bärenklau mich resolut in ein von mir nicht so geplantes Tun hinein gelenkt und mir gezeigt, wie er wirklich ist? Wer weiß? Vielleicht ist aber auch alles ganz anders und die Mühle besinnt sich der alten Zeiten und lässt auf meinem Bild das Mühlrad neu entstehen. Auch Orte können subtil auf uns einwirken.

Zeichnung vom Wiesenbärenklau
„Wiesenbärenklau“ © Romy Pfyl 23

Mittwoch, 2. August

Gestern ein gemütlicher Regentag. Lesen im warmen Bett. Im Nebenzimmer wird Cello geübt. Mit den tiefen und weichen Tönen gehen meine Gedanken auf Reisen. Ich lege das Buch weg. Nochmals schlafen und durch das Traumland wandern. Später dann schreiben, mit dem nächsten Impuls, der Biografiearbeit. Es geht ums Lernen und Lehren. Darum, was das Staunen und das neugierig aufs Leben sein bewirken kann. Mit dem Schreiben vergesse ich die Zeit. Der Blick auf die Küchenuhr überrascht mich.  Es ist schon mitten am Nachmittag. Es gibt die besten Marillenknödel, die ich je gegessen habe. Kaffeetrinken und plaudern. Dann ein Spaziergang durch die regennasse Landschaft. Am Abend ein überraschender Sonnenbesuch. Über der Wiese ein wundersam warmes und weiches Licht. Tanzende Insekten und freudige Herzen. Was für ein schöner Abend. Warten am Feuer auf den Supermond. Er ist uns jetzt näher als sonst. Vollmond. Mondschauen und dann Schlafengehen.

Vollmond
Supermond

Donnerstag, 3. August

Schreiben über meine Schulzeit, übers Lernen und Lehren. Es ist ein Thema, bei dem ich mich ziemlich ereifern kann. Heute beim nochmaligen Lesen bin ich unzufrieden mit dem Text. Wie kann ich all die verschiedenen Aspekte unter einen Hut bringen? Ich möchte differenzierter schreiben und ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann, wenn es um Schule, ums Lehren und Lernen geht. Am besten, ich beschäftige mit heute mit etwas Anderem. Die Distanz wird mir guttun. Eine lange Runde gehen. Über Feldstraßen und durch den Wald, der Thaya entlang. Die Sonne strahlt mir auf dem Wasser gespiegelt entgegen. An einigen Stellen ist der Weg von Brennnesseln überwuchert. Schon denke ich, dass ich mich wohl verirrt habe, da sehe ich vor mir wie der Weg wieder breiter wird. Das Gehen bringt mir die Ruhe zurück und die Zufriedenheit.

Freitag, 4. August

Geweckt von Celloklängen. Ich habe lange geschlafen. Gestern am Feuer war es lustig. Wir haben einander Witze erzählt und darüber philosophiert, wie sie entstehen und Geschichten über ihren Ursprung erfunden. Das Lachen tut gut. Am Nachmittag waren wir zu viert unterwegs. Wandern und gemeinsames Pflanzen und Landschaften bestaunen. Noch nie habe ich so viele prächtige Tollkirschenstauden gesehen. Wir gehen weit und schon bald realisiere ich, dass mein rechtes noch unoperiertes Bein an seine Leistungsgrenzen kommt. Gut so, denke ich. Das hilft mir gegen die Zweifel im Herbst ein zweites neues Kniegelenk einsetzen zu lassen. Am Wegrand pflücken wir vollreife Himbeeren und saftige tiefschwarze, zuckersüße Kirschen. Den Rainfarn verarbeite ich zu zwei gelb leuchtenden, duftenden Sträußchen.

Rainfarn-Sträußchen
Rainfarn-Sträußchen

Samstag, 5. August

Der Saharasenf wächst hinter der Mühle. Er ist aus Nordafrika eingewandert. Vielleicht sind seine Samen mit dem Saharasand hierhergeflogen. Seine rosettenartig angelegten Blätter enthalten hochwertige Inhaltsstoffe. Ich finde ihn einfach schön, wie er sich da vor der Mauer hochreckt und sich optisch mit den darauf gewachsenen Flechten vereinigt. Fein, dass sie einander hier getroffen haben. Beide könnten uns viele Geschichten erzählen. Der Senf über das Fliegen, über das Leben in der Sandwüste und die Mauer über die wechselvollen Zeiten in der alten Mühle.
Heute ist mein letzter Mühlen-Tag. Ich mache ich mich auf den Heimweg, zurück in mein Häuschen im Weinviertel.

2 Kommentare

  1. Liebe Romy, deine begeisterten mündlichen Erzählungen über deine zweite Woche in der Mühle durfte ich nach deiner Rückkehr schon von dir hören und deine dort entstandenen Zeichnungen bewundern. Aber ich liebe es, in deine zarten Formulierungen und geschriebenen Worte einzutauchen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich deine Umgebung und kann daran teilhaben. Danke dafür! So schön! 😊

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