Das schlagende Herz der Erde

Romys Nacht- und Tag-Buch 104

„Wir sollten uns daran erinnern, dass wir alle auf demselben Planeten leben; jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jeder Berg und jedes Meer sind durch das schlagende Herz der Erde verbunden“, schreibt Heater Mattew in ihrem wöchentlich erscheinenden Blog. Eine nötige, eine wichtige Erinnerung, für mich, für uns alle, immer und gerade jetzt.


Sonntag, 26. Januar

Mittags ein Kaffee am Meidlinger Markt in Wien. Die goldumrandete Tasse drückt genau das aus, was ich in diesem Moment empfinde. Diese braune, dickliche Flüssigkeit ist eine unglaubliche Kostbarkeit. Sie hilft mir dabei, den Kopf wieder klar zu bekommen. Den ganzen Vormittag haben wir uns mit den Gesetzen des Erzählens beschäftigt. Viel gelesen, geschrieben und diskutiert. An diesem Wochenende erproben wir den schöpferischen Umgang mit Erzählstrukturen. Beim gemütlich feinen Zusammensein mit einer Schreibkollegin im winzigen Kaffeehäuschen kann ich mich erholen und Kraft sammeln für den Nachmittag.

Montag, 27. Januar

Eine Begegnung im Zug. Sie wippt mit dem einen Fuß. Er ist in hellbeige Stiefel gepackt, Wildleder, pelzgefüttert. Aus dem Fenster starren, die Miene düster. Die Landschaft starrt zurück, auch sie ist düster, nebelgrau. Ihre Zunge rotiert im Mund, formt auf der Wange einen kecken Buckel. Beim Handy schauen entspannen sich ihre Züge. Ein feines Lächeln hellt ihre Miene auf. Handy gemachte Sonnengedanken. Sie sitzt im roten ÖBB-Sessel, breit und rund. Blaue Hose, auch die Jacke, dunkelblau. Der Nacken ist gebeugt, die halblangen Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht. Das Handy und sie – eine innige Partnerschaft. Zuverlässig ist es und immer da. Ihre fleischigen Finger halten es fest. Fast schon kosend, der Daumen. Ein versonnener Blick. Zum Fenster hinaus.

Dienstag, 28. Januar

Neben mir auf der Bank liegt ein Bündel mit Tulpen. Das winterliche Sonnenlicht tut uns gut. Uns beiden! Für die Tulpen ist es vielleicht das erste Mal, dass sie der Sonne entgegenlächeln, den leichten Wind auf ihrer Haut spüren können. Später, nachdem ich sie am Ort meines Besuches übergeben habe, erstrahlen sie in einer gelben Vase. Sie füllen ihre Zellen mit frischem Wasser und recken sich unseren bewundernden Blicken entgegen.

Mittwoch, 29. Januar

Es ist dieser eine Satz, der an mein Herz rührt, eine Erinnerung mit einem Veränderungspotenzial. Wird sie ernst genommen, formt sie unseren Alltag. Ich möchte diese Worte in mein wunderbares Büchlein schreiben, lasse mich bei der Auswahl der Seite vom Zufall lenken und lande bei einem liebevoll gestalteten Kreis aus Blumen mit einem flatternden Taubenschwänzchen.

Donnerstag, 30. Januar

Die Sonne hat mich hinaus gelockt. Im Vorgarten entferne ich das dürre Gestrüpp der Katzenminze. Platz machen für alles, was wachsen will. Eine Vielfalt von ausgetriebenen Jungpflanzen befindet sich bereits in den Startlöchern. Ein wenig müssen wir uns noch gedulden. Für die nächste Woche ist wieder Frost angekündigt. Eine Bekannte bleibt mit ihrem Radl stehen. Plaudern über dies und das; gemeinsames Sonne-genießen. Mein Vorgarten ist ein guter Kommunikator.

Freitag, 31. Januar

Am 2. Februar wird meine älteste Enkelin 18 Jahre alt. Ich schreibe über das Warten auf ihre Geburt. Darüber wie ich beim Kauf von rosaroten Ranunkeln plötzlich gewusst habe, dass sie ein Mädchen ist. Über die Vorfreude und die Aufregung. Ich erinnere mich an mein intensives Beschäftigen mit dem Thema Werden und Vergehen. Wie nah die Geburt und der Tod beieinanderliegen. In meinen Pflanzengestaltungen fand ich damals den Kanal, das alles auszudrücken.

Samstag, 1. Februar

Jetzt ist es das Schreiben, mit dem ich versuche, mein Inneres zum Ausdruck zu bringen. Es ist meine tägliche Herausforderung. Oft sitze ich da und weiß nicht, wo ich anfangen soll. Worüber soll ich schreiben und wie kann ich das, was ich fühle, in Worte kleiden? Ich schaue auf die Fotowand über meinem Schreibtisch, sehe meine damals noch kleine Enkelin, dick eingepackt in eine rosarote Winterjacke. „Meine rosarote Ranunkel“, denke ich.
Darunter steht ein Spruch von Natalia Goldberg: „Füge deinem Schreiben die Hitze und die Energie deines Herzens hinzu“. Wenn ich an meine Enkelin denke, fällt mir das leicht.

2 Kommentare

  1. Ein wunderbarer Bericht, liebe Romy. Das schlagende Herz der Erde, mit dem wir alle verbunden sind, hat mich sehr berührt. Mein „Lieblingstag“ ist der 27. Januar. Ein dystopisch anmutendes Bild, die fahle Sonne, die aus den Wolken hervorbricht und als kleiner Ball auf der Oberleitung balanciert und die Landschaft in ein unwirkliches Gelbgrün färbt. Die Frau, die in inniger Vereinigung mit dem Handy die draußen sich anbahnende Apokalypse übersieht …
    Ein toller Text!
    LG – Uli

    1. Danke Uli,

      das freut mich!
      Das Bild ist ein Zufallstreffer und es musste einfach dazu zu dem Text mit der Frau.
      Die balancierende Sonne … Bilder haben eine eigene Art zu uns zu sprechen.

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