Romys Nacht- und Tag-Buch 105
Diese Woche war geprägt vom täglichen Schreiben, manchmal freudig, enthusiastisch und dann wieder verhalten, an mir und an der Qualität meines Geschriebenen zweifelnd. Das sei normal, trösten mich meine Schreibkolleginnen und meinen, dass es allen so gehe. An meinem Buchprojekt weiterzuschreiben bleibt eine Herausforderung. So oder so.
Sonntag, 2. Februar
Auf der Bank vor der Hütte unter dem stark zurückgeschnittenen und unermüdlich wieder austreibenden Lindenbaum mache ich Rast. Die Tageshelle sammelt einen letzten Rest und malt einen orangeroten Streifen am Horizont. Weit hinten ragen schwarzgraue Türme ins Halbdunkle. Von hier aus gesehen ist Wien ein Fleck in der Landschaft. Beim schnellen Gehen ist mir warm geworden. Meine Stecken habe ich wie Ruder eingesetzt und bin damit eilig über die krautig weichen Wege gegangen. Ich bin froh darüber, dass meine Gelenke sich wie neu geschmiert anfühlen und ich so leicht und locker gehen kann.

Montag, 3. Februar
An der Wohnungstür begrüßen mich zwei strahlende Gesichter. Tochter und Enkelin wirken glücklich in der neuen Wohnung. Im Wohnzimmer umarme ich das Geburtstagskind und ihre aus der Schweiz angereiste Patin. Im Schwedenofen prasselt ein Feuer. Mir wird ein Tee serviert und dann muss ich die Geburtstagsgeschenke begutachten. Ein wenig müde sei sie noch von der wilden Geburtstagsparty am Abend zuvor, aber es sei schön gewesen. Sie zeigt mir ein Buch mit Fotos vom Fest, mit ausführlichen, liebevoll hinein geschriebenen Geburtstagswünschen. Wir reden über den Tag als sie zur Welt gekommen ist und ich kann es fast nicht fassen, dass das schon 18 Jahre her ist.
Dienstag, 4. Februar
Bei der morgendlichen Kontrolle im Hühnerstall entdecke ich ein frisch gelegtes Ei. „Endlich“, denke ich und nehme es in die Hand. Schon seit dem frühen Herbst haben die Hühner mit dem Legen pausiert. Das Ei ist riesig. Feine, hellbraune Tupfen überziehen seine Oberfläche. An der Eierfarbe kann ich erkennen, dass es von Pavina ist. Sie ist ein Bielefelder Kennhuhn. Im Sommer vor vier Jahren habe ich ihr mit der Hilfe von einem gelben chinesischen Brutautomaten in diese Welt geholfen. Unterdessen ist sie ein stattliches Huhn geworden. Im letzten Jahr hat sie ihre Schüchternheit gegenüber den anderen Hühnern abgelegt. Sie lässt sich nicht mehr so leicht wegdrängen. Eine Einzelgängerin ist sie aber geblieben. Jetzt hat sie mir das allergrößte Ei ins Nest gelegt.

Mittwoch, 5. Februar
Im Bett schreibe ich aus einem vom Tagesgeschehen unbelasteten Gefühl heraus. Sobald ich mich an meinen Schreibtisch setze, ändert sich das. Wenn ich frühmorgens direkt nach dem Aufwachen zu schreiben beginne, sitzt noch die Nacht neben mir. Beim Schreiben der Morgenseiten bringe ich das zum Ausdruck, was sich im Unbewussten eingenistet hat. Ich schreibe den Spuren entlang und komme mir selbst auf die Schliche.
Donnerstag, 6. Februar
Erst musste ich mich dazu durchringen, mich am Abend, ein wenig müde schon, auf den Weg nach Wien zu machen. Jetzt bin ich froh, hier zu sein. Um mich herum sprudelt es. Ich sitze an einem langen Tisch, gemeinsam mit schreibenden Frauen. Wir haben einander viel zu erzählen, sind neugierig auf das Gegenüber. Bekannte und neue Gesichter, eine bunt gemischte Gruppe. Ana Znidar, die Lehrgangsleiterin von meinem Memoir Kurs ist die Initiatorin dieses Treffens in einem altehrwürdigen Kaffeehaus. Die meisten kennen einander von Schreibretreats oder so wie ich von der sommerlichen Schreibchallenge auf Facebook, wo wir uns wöchentlich über unser Schreiben, den Prozess, die Zweifel und die Erfolge ausgetauscht haben.
Freitag, 7. Februar
Das Internet ist weg. Den ganzen Tag. Ich fühle mich wie amputiert. Ich realisiere wie oft am Tag, ich etwas nachschauen, tun oder etwas wissen will. Staunen über die Unruhe, die mich befällt. Es ist doch nur ein Werkzeug, das mir fehlt, denke ich. Bin ich ein Cyborg geworden? Ist es durch die Selbstverständlichkeit des Immer da Seins so etwas wie ein Teil von mir geworden? Ein erschreckender Gedanke.
Samstag, 8. Februar
Das orange züngelnde Feuer hinter der ein wenig geschwärzten Scheibe meines Holzherdes verbreitet eine angenehme Wärme. Es wärmt auch von innen und tröstet mein Gemüt, das an diesem Morgen noch düster und traumverhangen ist. Mein Holzvorrat auf der Terrasse neigt sich langsam dem Ende entgegen. Bald kommen wärmere Tage mit besseren Launen, denke ich und ich hoffe, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht.

„Meine Stecken habe ich wie Ruder eingesetzt und bin damit eilig über die krautig weichen Wege gegangen.“ Ein wunderbares Bild – ich kann dich genau sehen, wie du in dieser leuchtenden Vorabend-Stimmung unterwegs bist.
Zu den „wärmeren Tagen mit besserer Laune“ – oje, ich fürchte schon die heißen Tage in Wien, wo meine Laune wahrscheinlich sehr viel schlechter sein wird, als an einem trüben, nebeligen, regnerischen und grau verhangenen Wintertag.
Ja, ich denke, unsere Launen sind nicht wetterabhängig. Sie werden höchstens vom Wetter gespiegelt. Letzte Woche hat meine manchmal etwas schwierigere Laune gut zum trüben Wetter gepasst.