Romys Nacht- und Tag-Buch 103
Als Kind liebte ich es in den Nebel zu staunen, in dieses lebendig Wattige. Noch heute vermittelt mir der Nebel ein diffuses Gefühl von aufgehoben sein in einer grauen Welt.
Sonntag, 19. Januar
Ein beständiges Rauschen drückt sich an den einsamen Himmel. Riesige, dreifingrige Hände sausen eilig durch die Luft. Warnende Gedanken vor fliegendem Eis. Ich bin froh, als die zwei Windräder wieder hinter meinem Rücken verschwinden. In der Kälte wirkt die Landschaft wie mit weißen Kristallen bemalt. Der hell gewordene Wind zeichnet beeindruckende Muster. Ich gehe über den steif gefrorenen Boden, bis meine Füße müde werden.

Montag, 20. Januar
Am eisig kalten Montagmorgen fahren wir zur Carla, dem Secondhand-Geschäft der Caritas. Eine Fuhre mit Büchern, die ich weitergebe, weil ich mir nur eine Wand voll behalten möchte. Beim Schlendern durch den Laden fallen mir die liebevoll gestalteten Regale und Vitrinen auf. Nichtmehrgewolltes und Nichtmehrgebrauchtes sortiert und nach Sinn und Zweck geordnet. Vasen in Blau in allen denkbaren Varianten fallen mir auf, Übertöpfe nach Farben sortiert und regenbogenartig auf geschlichtet. Die Buchabteilung ist gut besucht. Ich stelle mir vor, wie meine Bücher bald dort stehen und ihre Reise in ein neues zu Hause antreten werden.
Dienstag, 21. Januar
Ein überraschendes Packerl aus der Schweiz erreicht mich. Eine ehemalige Teilnehmerin meiner Online-Cyanotypie-Kurse schenkt mir ein Buch. Sie schreibt, dass meine Kurse bei ihr viel bewirkt hätten und dass sie davon noch immer ganz erfüllt sei. Sie hat damals während der Covid-Zeit eine erste Ausstellung in ihrer Zürcher Küche gemacht. Später im Siedlungsgarten ein größeres Projekt, auch mit Cyanotypien. Jetzt plant sie einen Wildpflanzengarten in Bern. Für mich ist es fein zu sehen, was sich aus den Kursen alles entwickelt hat. Es ist eine schöne Erinnerung, für die ich dankbar bin und ich freue mich darauf, in die blauen Seiten dieses Buches einzutauchen.

Mittwoch, 22. Januar
Worte plustern sich auf, machen sich wichtig und fliegen durch den Äther. Schweizer Radio Beromünster. Jeden Tag um halb eins. Mittagsnachrichten. Die zum Essen versammelte Familie am Mittagstisch musste mucksmäuschenstill sein. Vater wollte alles hören. Nichts durfte ihm entgehen. Weltgeschehen prallte an unsere Ohren. Jetzt, sechzig Jahre später und noch immer stockt mir der Atem, wenn ich Nachrichten höre. Ich schlucke Luft und Speichel – die ganze Zeit.
Donnerstag, 23. Januar
Der Drachenbaum ist genauso neugierig wie ich. Gemeinsam schauen wir aus dem Fenster und staunen in den späten Nachmittag hinein. Das Tageslicht schwindet schon um 16 Uhr. Künstliches Licht dominiert die Szenerie. Auf dem Gehsteig liegt ein zarter Schneeschaum. Bemütze Menschen trotzen der eisigen Kälte. Drüben im Bürohaus finden Konferenzen statt. Zwischen zwei Terminen bleibt mir noch ein wenig Zeit. Wenn ich nach dem Training ins Gasthaus Hansy gehe, setze ich mich an den immer gleichen Tisch. Ich fühle mich schon ein wenig zu Hause dort.

Freitag, 24. Januar
Unter dem Eis im Teich orange Flecken. Jeden Tag zeigen sich meine Goldfische an anderen Stellen. Ich bin froh um Eisfreihalter aus Styropor, der den Gasaustausch ermöglicht. Die Hühner haben sich in ihr Haus zurückgezogen. Täglich bringe ich ihnen frisches Wasser. Nach ein paar Stunden ist es eingefroren. Die Steinplatten am Gartenweg sind von einer Eisschicht bedeckt. Meine Lust am Herum schlittern hält sich in Grenzen. Drum nehme ich lieber den Weg über die Wiese.
Samstag, 25. Januar
Ein bunter Grünkohl mit pinkfarbenen Rippen. Geschmückt mit fein perlenden Wassertropfen ist er der Star im winterlichen Gemüsebeet. Auf meiner nebelgrauen Nachmittagsrunde bin ich ihm begegnet. In einem Beet mit Wintergemüse im Gemeinschaftsgarten am Dorfrand. Sprießende Salate und sogar ein paar kleine Fenchelpflanzen habe ich in seiner Nähe entdeckt. Den Hasen, der sich unter dem Blätterdach versteckt hatte, habe ich erst nicht gesehen. Dann ist er mit einem Satz auf gehüpft und schnell übers Feld davon gehoppelt.
