Romys Nacht- und Tag-Buch 2
Obwohl ich mich auch in dieser Woche hauptsächlich der Genesung nach der Knieoperation gewidmet habe, war sie reich an Begegnungen. Durch das tägliche Schreiben wird mir bewusst, in wie viele Lebensgeschichten ich durch Bücher und Filme beständig involviert bin, wie sehr sie mich beschäftigen und mich mitunter im Alltag, aber auch in meinen Träumen beeinflussen.
Sonntag, 12. Februar
Heute Nachmittag möchte ich mir gerne im Schloss einen Film anschauen. Film, Kaffee und Kuchen stehen auf dem Programm. Das sind immer feine Treffen mit besonderen Filmen und ich freue mich sehr, dass es bei mir in der Nähe so großartige kulturelle Angebot gibt. Aber immer noch muss ich mich innerlich zwingen, solche Gelegenheiten wahrzunehmen. Ich scheue mich unter vielen Menschen zu sein. Die ungewohnte Nähe ist herausfordernd. Wenn ich ehrlich bin, hockt in mir noch immer eine Restangst. Das Gespenst der Pandemie fordert seinen Tribut. Gut, ich kann eine Maske tragen, wenn es mir zu eng wird, und bei vielen Gelegenheiten tue ich das auch. Es ist mir allerdings eher unangenehm. Ich fühle mich dann exponiert. So wie, wenn ich durch nicht mehr zeitgemäße Ängstlichkeit gebrandmarkt wäre.
Vielleicht aber, versuche ich aber auch, mich hinter diesen Gegebenheiten zu verstecken. In meinem Innersten war ich schon immer menschenscheu. Als Kind war ich lieber allein in der Natur unterwegs, als dass ich mit anderen Kindern gespielt habe. Oder ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen und stundenlang gelesen. Meine Eltern haben das nicht so gerne gesehen. Dem Alleinsein wollen haftete in ihren Augen wohl ein Makel an. Das Leben hat mich dann in viele Rollen und Gesellschaften gezwungen, als Lehrerin, als Geschäftsführerin in renommierten Blumengeschäften, als Kursleiterin und als Künstlerin bei Vernissagen. So habe ich gelernt, trotz meiner Ängste, gut damit umzugehen. Aber immer brauchte ich als Ausgleich auch das Alleinsein in der Natur. Jetzt ist viel Alleinsein in meinem Leben und ich schätze diese Qualität. Doch gerade denke ich, (und das denke ich schon lange), dass ich als Ausgleich wohl auch das Zusammensein mit Menschen mehr kultivieren sollte. Also werde ich hingehen ins Schlosskino heute Nachmittag und mir jetzt gleich ein Ticket reservieren.
Montag, 13. Februar
Welche Geschichten erzählen wir uns eigentlich? Woran entscheiden wir uns zu glauben? Der gestrige Film im Schloss hat vieles in mir aufgerüttelt und mich mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen. Der österreichische Dokumentarfilm von Fabian Eder „Der schönste Tag“ gibt den Fragen der Enkelgeneration an ihre Großeltern Raum. Wie war der Anschluss Österreichs an das deutsche Reich für dich? Was hast du im Krieg erlebt? Da geht es um Flucht und Fluchthelfer*innen, um unglaubliche Not, pure Ignoranz und ums Wegschauen. Wer offen ist, nimmt erschreckende Parallelen zu unserer jetzigen Situation wahr, wo um Grenzzäune diskutiert wird und Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Im Film wird nichts kommentiert und Widersprüchliches nebeneinanderstehen gelassen. So entsteht ein bisweilen erschreckendes Panoptikum von schmerzlicher Diskrepanz. Der Film tut weh und stellt vieles infrage und es ist gut, dass er einen ratlos zurücklässt.
Dienstag, 14. Februar
Mein Vorgarten bietet zu dieser Jahreszeit scheinbar wenig Sensationelles. Für manche Augen sieht er vielleicht unaufgeräumt aus. Doch zu viel menschliche Ordnung stört die Natur. In den Stängeln und im Gestrüpp nisten sich Insekten ein. So brauchen zum Beispiel die Marienkäfer und Florfliegen Staudenstängel als Quartier. Doch wenn man genau hinschaut, tut sich Verheißungsvolles auf. Die Frühjahrsblüher befinden sich schon in den Startlöchern. Allen voran die Schneeglöckchen, die seit ein paar Tagen ihre weißen Blütenknospen zeigen, dann die Blattrosette einer Primel, in deren Mitte sich ein verheißungsvolles Pink bereitmacht, knospende Hyazinthen, keimendes Büschelschön und die Jungfer im Grünen, kalifornischer Mohn und die berührend zarten Knospen des Pfirsichbaumes. Sie alle warten auf die warme Frühlingssonne, um den Vorgarten wieder in ein buntes Paradies zu verwandeln.
Mittwoch, 15. Februar
Gestern habe ich den ersten Teil meines Nacht- und Tag-Buches als Blogartikel öffentlich geteilt. Ich bin überwältigt, berührt und erstaunt über die zahlreichen positiven und dankbaren Rückmeldungen. Es ist ein gutes Gefühl, wenn meine Gedanken sich auf den Weg machen und ich nicht nur einfach in meinem Kämmerlein so allein für mich dahin schreibe. Die Entscheidung, damit hinauszugehen, habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich habe drei liebe Menschen um ihr Feedback gebeten. Als sie alle mich darin bestärkt haben, es zu tun, habe ich den Schritt gewagt. Für mich ist die Veröffentlichung wertvoll, weil sie mich zwingt, verständlich zu schreiben, wodurch auch ich selbst die Zusammenhänge besser begreife und weil ich mir dadurch einen sanften Druck verschaffe, dranzubleiben. Ich realisiere jetzt schon, wie wertvoll dieses Schreiben für mich ist und wie viel es mir bringt. Umso schöner ist es dann, wenn auch andere sich davon inspirieren lassen.
Donnerstag, 16. Februar
Eine unruhige Nacht, keine surrealen Bilderwelten diesmal, eher rasende Geschichten, voller eigenartiger Wörter. Was zum Teufel ist eine Bibelkatze, denke ich beim Aufwachen. Das war es, was noch als letzter Worttraumfetzen von dieser Nacht übriggeblieben ist. Vielleicht begleiten mich die Bücher, die ich gerade parallel lese, bis in die Nacht hinein und fallen dann als Wortvorrat in meine Traumgeschichten hinein. Einer Bibelkatze bin ich in meiner derzeitigen Lektüre allerdings nirgends begegnet.
Freitag, 17. Februar
Am besten würde die Bibelkatze vielleicht in noch die Biografie über die Künstlerin Hilma af Klint von Julia Voss hineinpassen. Die Künstlerin empfängt ihre Bilder in Séancen medial und auch ihr christlicher Hintergrund wird in den Bildern sichtbar. Eine eigenartige Mischung, die auf mich als Erstes irgendwie befremdend wirkt. Julia Voss beschreibt in: „Die Menschheit in Erstaunen versetzen“, das Leben der Künstlerin mit ihren spiritistischen Sitzungen in dieser irgendwie „überhitzten“ Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Früher hätten mich diese übersinnlichen Welten vielleicht noch mehr fasziniert. Unterdessen bin ich da eher vorsichtig geworden. Vorgestern habe mir ich im Internet einen Vortrag der Autorin und Kunsthistorikerin Julia Voss über ihr Buch angeschaut. Sie macht einen wohltuend bodenständigen Eindruck. Sie fragt, was denn überhaupt noch übrigbleiben würde, wenn man alle Künstler, die Visionen hatten, aus der Kunstgeschichte entfernen würde.
Gestern habe ich mit dem Film: „Jenseits des Sichtbaren“ die kosmisch anmutenden Welten von Hilma af Klint mehr von der visuellen Seite auf mich wirken lassen. Gerne würde ich die Bilder einmal direkt in einer Ausstellung anschauen und die unglaublichen Dimensionen und die Texturen der Bilder live erleben. Die Künstlerin hat sehr viel in Serien gearbeitet, in denen sich aus gewissen Grundformen immer wieder neue Szenarien entwickeln. Im Film wurden diese fortlaufenden Kreationen auf eine faszinierende Weise dargestellt.
Samstag, 18. Februar
Wenn ich den Spuren folge, ergibt sich eines aus dem anderen und ich finde es spannend, wohin dieser Weg mich führt. Die meisten Bücher, die ich lese, borge ich mir als E-Book bei der Stadtbücherei Wien aus und lese sie auf meinem iPad. Weil ich mich gerade für die Moose und ihre Lebensart interessiere, habe ich mir unter dem Suchbegriff Moose Bücher angeschaut und bin dabei auf das Buch über Alma af Klint gestoßen. Sie hat sich intensiv mit der Natur befasst und „Ein Werk über Blumen, Moose und Flechten“ als Skizzenbuch gestaltet. Deshalb war sie unter dem Suchbegriff Moose zu finden. Irgendwie hat mich das Buch neugierig gemacht und so habe ich mir es ausgeborgt und zu lesen begonnen. Mit jedem Buch betrete ich eine neue Welt, die in mir ihre Spuren hinterlässt.
Danke für die Fortsetzung deines Nacht- und Tag-Buchs! Wie gut, dass du dich überwunden hast, zum Kinoabend ins Schloss zu gehen. Wir müssen uns wohl erst wieder an Veranstaltungen unter Menschen gewöhnen.
Ich freue mich, dass dein Vorgarten schon in freudiger Erwartung auf den Frühling harrt und grüße die pinkfarbene Primel.
Und nun hast du mit der „Bibelkatze“ ein neues Haustier … 😉
Bin gespannt, wie es weitergeht.
Liebe Grüße
Kerstin
Ja danke liebe Kerstin, auf so ein schlaues freches Haustier, wie die Bibelkatze, habe ich schon lange gewartet 🙂
Und die pinkfarbene Primel schickt gemeinsam mit mir, viele liebe Grüße nach Berlin …
Ich lese deine Überlegungen sehr gerne liebe Romy. So klug und zart. Schön, dass du dich überwindest, wieder in die Welt zu gehen. Bleib weiterhin mutig!
Deine Korina
Oh, danke liebe Korina für deine ermutigenden Worte und alles Liebe dir❣️