Romys Nacht- und Tag-Buch 92
Zusammensein, plaudern, sich austauschen, gemeinsam kochen, essen, arbeiten und genießen. Wie gut das tut und wie essenziell es mein Wohlbefinden beeinflusst, ist mir in dieser Woche von neuem bewusst geworden.
Sonntag, 3. November
Morgendliche Sonnenstrahlen aus dem herbstlichen Wald. Ruhig ist es und windstill. Die Bäume spiegeln sich auf der glatten Wasseroberfläche des Schwimmteiches. In der Früh Geplätscher und aufgeregtes Hundegebell. Theresia schwimmt jeden Morgen zwei Längen. Viona läuft aufgeregt am Rand hin und her. Als Hündin, die nicht gerne schwimmt, kommt sie in dieser Situation mit ihrem Beschützerauftrag in Konflikt. Auch an heißen Sommertagen geht sie freiwillig nicht ins Wasser. Ich bleibe lieber im warmen Badehaus und genieße schreibend die Bettwärme.
Montag, 4. November
Wir sitzen auf der Bank vor der Scheune. Die untergehende Sonne am Horizont bietet uns einen minütlich wechselnden Farbspektakel. Gelblich-Orange, dann rötlich zart ins fast schon dunkelrote wechselnd. Das Scheunendach über uns wurde dieses Wochenende gemeinsam mit Helfern aus der Region abgedeckt. Bald wird es mit neuen Ziegeln bestückt. Ein wenig plaudern und in den Himmel staunen. Am Nachmittag ein ausgiebiger Spaziergang mit Viona über die noch immer saftigen Wiesen. Rasten unter einem Baum. Verschnaufen. Ich genieße das draußen Sein und die gemeinsame Zeit mit dieser klugen Hündin. Sie ist schon alt. Das Gehör verlässt sie. Mit ihrer lebendigen und liebevollen Art bringt sie Freude in ihre Umgebung.
Dienstag, 5. November
Mit einem großen schwarzen Rettich aus dem Garten von Theresia im Koffer reise ich wieder zurück nach Hause ins Weinviertel. Diese Tage in der Steiermark haben mir gutgetan. Das ungezwungene Zusammensein mit lieben Freunden, umgeben von Schafen, einer Schar Junghühnern, dem Hund und den vielen Katzen. Beim Lesen legte sich die Schwarze gerne auf meinen Bauch oder die Beine. Ihr Schnurren, ein leises Vibrieren und ein urig gemütliches Gefühl.
Mittwoch, 6. November
In der Früh kommt das frische Vogelfutter. Direkt angeliefert vom Hof des Biobauern. Eine befreundete Lehrerin bringt es mir auf ihrem Weg zur Schule vorbei. Sie bekommt den versprochenen Granatapfel für ihren Lieferdienst und wir tauschen uns über Erfahrungen in einer südchinesischen Megacity aus. Gerade ist sie von einem Aufenthalt in Shenzhen zurückgekommen. 2019 habe ich gemeinsam mit Tochter und Enkelinnen die Familie meines damals dort wohnenden Sohnes besucht.
Und wieder einmal bewundern wir den Granatapfelbaum im Vorgarten. Auf den schon fast blattlosen Ästchen hinterlassen die roten, jetzt vollreifen Kugeln einen imposanten Eindruck.
Donnerstag, 7. November
Ein Kinoabend im Schloss. The Old Oak ein englischer Film über das Leben in prekären Verhältnissen, innere und äußere Armut, Fremdsein, fremd fühlen, im Leben gestrandet sein und über das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Frauensolidarität, Zusammenhalt und gegenseitiger Hilfe. Das Kino ist gut gefüllt. Viele bekannte Gesichter. Plaudern, trinken und über den Film reden. Wie gut, diesen Abend, an dem ein zutiefst fremden- und frauenfeindlicher Mann die Wahl zum Präsidenten Amerikas gewonnen hat, in Gemeinschaft zu verbringen. Dieser Film ist eine wirksame Medizin gegen Resignation und Traurigkeit.
Freitag, 8. November
Seit dem ersten November probiere ich schreibend etwas Neues aus. Ich mache mit beim Nanowrimo. Ziel ist im Monat November 50’000 Wörter zu schreiben. Es ist eine weltweite Gemeinschaft von AutorInnen, die im November jährlich mitmachen. Erst hatte ich gedacht, ich setze mir ein realistischeres Ziel zum Beispiel 10’000 Wörter. Aber dann lockte mich die Herausforderung. Mir geht es hauptsächlich darum, ohne Wenn und Aber draufloszuschreiben. In letzter Zeit war mein Schreiben stockend, ich habe mich mehr aufs Überarbeiten und Verfeinern konzentriert. Jetzt möchte ich wieder in den Schreibfluss kommen.
Samstag, 9. November
Schreibend erinnern und Erinnerungen teilen. In alten Fotos stöbern. Im ersten Workshop, den ich zum Thema Gestalten mit Pflanzen machte, haben wir ausschließlich mit Ästen gestaltet. „Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt“, habe ich damals auf die Einladung geschrieben. Die Herausforderung, mit linearen Werkstoffen ins Gestalten zu kommen, ihnen eine Form zu geben. Schauen und staunen. Die erstaunliche Wirkung von gelungenen Astgestaltungen.
Wie zauberhaft (ja, für mich sind sie es), deine Geschichten! Ich tauche mit dir ein! Und die Äste-Werke sind wunderschön!
Danke dir Angela. Die Ast-Fotos sind vor mehr als 20 Jahren entstanden. Manchmal kann ich es nicht fassen, dass inzwischen so viel Zeit vergangen ist.
Ich freue mich sehr, dass dir meine Alltags-Momente-Schreibereinen gefallen und du dich davon bezaubern lässt.
Liebe Grüße
Romy
Ich bin noch immer extrem schockiert über die US-Wahl. Ich kann es nicht fassen, nicht verstehen, …
Für dich gefunden …
Eine Gesellschaft muss davon ausgehen, dass sie stabil ist“, schrieb James Baldwin in Anspielung auf den immensen kreativen Prozess der Menschheit, „aber der Künstler muss wissen und uns wissen lassen, dass es unter dem Himmel nichts Stabiles gibt.“ In der Instabilität liegt die Möglichkeit; im Chaos die Bausteine einer stärkeren Struktur.