Romys Nacht- und Tag-Buch 93
Diese Woche zeigen sich die Tage in einem einheitlich grauen Gewand. Ganz selten ein paar Sonnenstrahlen. Manchmal eine Ahnung von Licht hinter dem nebeligen Wolkenweiß. In meinem Inneren reise ich öfters durch bunte Gefilde. Das Eintauchen in Kindheitserinnerungen färbt meinen Alltag bunt.
Sonntag, 10. November
Weiterschreiben. Die Teilnehmerinnen vom Memoir-Book 2 Lehrgang haben unterschiedliche Themen und unterschiedliche Zugänge, jedoch alle den großen Wunsch weiterzuschreiben. Gemeinsam mit unserer Schreibtrainerin machen wir uns von neuem auf den Weg in ein zweitägiges intensives Online-Abenteuer. Warum schreiben wir? Worum geht es bei unserem Schreibprojekt? Was ist der Kern der Sache? Forschen und Austauschen. Schreibende Selbstbefragung und konstruktives Weiterentwickeln im Plenum. Ein vielversprechender Start in ein gemeinsames Schreibjahr.
Montag, 11. November
Nach dem langen Sitzen und Nachdenken vor dem Bildschirm brauche ich frische Luft und Bewegung, um meine Gedanken zu ordnen. Die Sonne hat es auch am Nachmittag nicht geschafft, sich durchzusetzen. Ein dunstig weißgrauer Himmel, gedämpftes Licht. Aus der Landschaft leuchten einzelne Stellen blätterbunt. Dort sitzt das gespeicherte Sonnenlicht und tröstet über trübe Tage hinweg. Ich gehe durch einen Baum- und Strauch-gesäumten Weg am Feldrand. Am Boden liegen Blätter in allen Formen und Farbschattierungen. Am intensivsten leuchten die großen, lanzettlichen Kirschbaumblätter. Einige hängen noch an den beinahe kahl geräumten Ästen. Sie bewegen sich leicht. Ein feiner Luftzug streift meine kühlen Wangen. Zunehmende Herbstgefühle. Vom weichen Blätterboden, erdiger Geruch.
Dienstag, 12. November
Schreiben, viel und lange schreiben … schreibend nachdenken. Über Instabiles. Über die Instabilität allen Seins. Ab und zu höre ich mir die Nachrichten im Radio an. Wohin bewegen wir uns? Wohin bewegt sich diese Welt? „Eine Gesellschaft muss davon ausgehen, dass sie stabil ist“, lese ich in einem Blog „aber der Künstler muss wissen und uns wissen lassen, dass es unter dem Himmel nichts Stabiles gibt.“
Mittwoch, 13. November
Ein Besuch beim Internisten. EKG, Blutdruck messen und Ultraschall. Auf die linke Seite legen. Dann kühler Gel und ein rundliches Gerät. Druck und Bewegung. Ich luchse zum Bildschirm hinüber. Da ist nicht viel zu sehen. Ein schwärzliches Bild mit Schlieren und Punkten. Dann ein regelmäßiges, ein wenig schleifendes Geräusch. Ist das mein Herz? Erinnerungen an eine andere Ultraschalluntersuchung vor mehr als vierzig Jahren. Eilig pumpende Herztöne und ein seltsames Gefühl. Ein kleiner Mensch, der in mir wächst. Ein gewordenes Wunder …
Mit ihrem Herzen ist alles in Ordnung, sagt der Arzt.
Donnerstag, 14. November
Kindheitserinnerungen, die sich fast wie von selbst schreiben. Meine Hände bewegen sich viel zu langsam auf der Tastatur. Jeden Tag schreiben, bis die Finger müde werden und der stumpf gewordene Kopf an die frische Luft möchte. Mit meinem Vorhaben im November beim Nanowrimo mitzumachen und 50´000 Wörter zu schreiben, bekommt mein Tun eine neue Dynamik. Jeden Morgen werden die Ausreden von neuem beiseite geräumt. Den Kopf weit über den Wolken und die Hände auf der Tastatur. 20’491 Worte sind schon geschrieben. Weiter gehts.
Freitag, 15. November
Fazenettli sagte mein Vater, Nastuch meine Mutter. Gemeint ist in beiden Fällen das Taschentuch. In der inneren Schweiz und der äußeren Schweiz sind unterschiedliche Wörter Trumpf. „Fazenettli“, korrigiert mein Vater, wenn ich Nastuch sage. Muttersprache versus Vatersprache. Mit dem Fazenettli verbundene Geschichten. Waschen, Bügeln und liebevolles Zusammenfalten. Dann ins Nachtkästchen legen. Das reinweiße Tempo Taschentuch konnten sich nur die Mehrbesseren leisten. Das riesige rote Fazenettli vom Bauern nebenan. Bilder, Geschichten und Erinnerungen.
Samstag, 16. November
Der späte Herbst entwickelt seine eigene Poesie. Den Bächen entlang gehen. Erst mit dem Mühlbach hinunter, dann gegen den Rußbach hinauf. Das rotbraune, warme Leuchten aus dem Japanknöterichhain wirkt wie Gegenmittel an allzu trüben Tagen. Die Blätter haben den ersten Frost nicht überlebt. Bald werden sich auch die Stängel auf ihren Weg zurück ins Erdreich machen. Im Frühjahr wagen sie sich dann als dick-saftige Knospen wieder hinaus an die Sonne. In diesem Stadium lassen sie sich leicht abbrechen. Ernten für ein feines Frühjahrsgericht, ein köstliches Kompott. Es schmeckt ein wenig säuerlich, Rhabarber-ähnlich.
Liebe Romy, es ist so schön, dich auf vertrauten Wegen bei deinen Spaziergängen zu begleiten!
Danke schön!
Danke Herta, das freut mich,
ich denke oft an dich, wenn ich auf meinen Spaziergängen an deinem Haus vorbeigehe.
Alles Liebe dir und ein schönes Wochenende
Romy
Hallo liebe , unglaublich lebensfrohe, genießende Romy
Ich schlenderte wie du durch die herbstgefärbte Landschaft und genieße es in vollen Zügen. Überhaupt bin ich derzeit kreativ wie noch nie in meinem Leben. Nach jahrelanger , wiederkehrender, Depression lebe ich das Leben wie noch nie!
Und du bist mein großes Vorbild an “ present sein im Leben “ , jeden Augenblick als Geschenk zu sehen.
Danke für deine Motivation und Empathie!!!
glG Ulli
Oh Danke Uli auch für die stimmungsvollen und wunderschönen Herbstfotos, die du mir geschickt hast.
Ich freue mich sehr, dass es dir wieder besser geht und du mit beiden Beinen im Leben stehst.
Alles Liebe dir
Romy
Ich liebe diesen Satz: „Jeden Morgen werden die Ausreden von neuem beiseite geräumt.“
🙂