Romys Nacht- und Tag-Buch 88
Auf der weiß gefüllten Hibiskusblüte sitzt eine Feuerwanze. So wie ich genießt sie die warmen Sonnenstrahlen dieses Herbstnachmittags.
Sonntag, 6. Oktober
Der Tag beginnt gut. Draußen vor der Tür steht ein Geschenk. Eine Steige gefüllt mit Quitten. Goldiges Gelb, eine leicht pelzige Oberfläche und ein unverwechselbarer Duft. Gestern Abend eine Nachricht. Möchtest du, hättest du gerne und wie viele? Sehr gerne, ich liebe diese Frucht. Quittenkuchen, Quittenmus oder Älplermagronen mit Quitten. Goldene Kulinarik für kühle Herbsttagen. Die Vorfreude lässt meinen Magen zufrieden vor sich hin grummeln.
Montag, 7. Oktober
Unversehens ist es Mittag geworden. Die Sonntagsvormittagsstunden vergangen, ohne zu merken, wie eilig die Zeit an mir vorüberzieht. Ich schreibe. Beginne in der Gegenwart und befinde mich dann unversehens in einem Moment, der weit vor meiner Geburt stattgefunden hat. Stelle mir vor, wie mein Großvater abends mit seinem Fuhrwerk in den Hof hinein fährt, die Pferde abspannt und versorgt. Obwohl er, lange bevor ich auf die Welt gekommen bin, gestorben ist und ich ihn nie kennengelernt habe, sehe ich ihn vor mir, wie er über den Hof geht. Mit dem Schreiben beginne ich zu reisen, durch Zeiten, Orte, lerne Menschen kennen und lasse sie in meinem Kopf und vor mir auf dem Papier neu entstehen.
Dienstag, 8. Oktober
Gerade hat mir ein Künstlerkollege eine Aussendung geschickt. Heuer wird von der Kulturvernetzung anlässlich der Tage der offenen Ateliers eine Ateliertour mit dem Fahrrad organisiert. Ich freue mich sehr, dass ich bei den acht Ateliers, welche besucht werden, dabei bin. Gestern habe ich damit begonnen, die Bilder vorzubereiten. Alte Bilder abhängen, an den Wänden Löcher ausbessern, frische Farbe darüber. Ein alle Jahre wiederkehrendes Ritual, von dem die Farbschichten an den Wänden berichten. Bilder sortieren, überlegen. Ich werde Cyanotypien aus den vergangenen sechs Jahren zeigen. Dazu die 100 Bäume und 100 Texte, welche heuer entstanden sind. Die Präsentation, welche ich mit dem Beamer in meiner Kellerwerkstatt an die Wand projizieren werde, muss noch überarbeitet werden. Es gibt viel zu tun.
Mittwoch,9. Oktober
Ein lauer, sonniger Herbstnachmittag lockt mich hinaus. Mit dem Radl durch die Landschaft fahren. Rechts und links saftiggrüne Wiesenstreifen. Der Regen hat ein gutes Werk getan. Nach der Autobahnbrücke in Richtung Ulrichskirchen eine freudige Überraschung. Der nach der Überschwemmung neu entstandene See ist noch immer da. Mit einer überzeugenden Selbstverständlichkeit hat er seinen Platz eingenommen. Unterdessen haben sich zwei Schwäne angesiedelt. Blauer Himmel, blauer See. Wie gut das tut. Ich stelle mir vor, wie EisläuferInnen im Winter genüsslich ihre Runden drehen. Die Wasserfläche ist groß. Ich staune, wie schnell sich neues Leben ausbreitet und wie meine Ideen für diesen neuen See Flügel bekommen.
Donnerstag, 10. Oktober
Auf der Treppe sitzen und lesen. Die Nachmittagssonne genießen. Im Vorgarten wimmelt es. Die Herbstblüten werden von ihren geflügelten Freunden umschwärmt. Zum ersten Mal sehe ich beim Bienenhotel Besucherinnen. Wenn ich richtig recherchiert habe, sind es Feldwespen. Junge Königinnen. Sie schlüpfen im Spätsommer und suchen einen Überwinterungsplatz. Die Königinnen und Drohnen sind die einzigen, die bis zum nächsten Jahr überleben.
Freitag, 11. Oktober
Eine Einladung zum Parasol-Sammeln im Kreutwald. Nach dem emsigen, ausgiebigen Räumen und Sortieren meiner Papierschubladen und Regale am frühen Morgen kommt mir das gerade recht. Das warme Wetter der letzten Tage und die regelmäßigen Regenfälle habe die Pilze sprießen lassen. Wir spazieren im vormittäglichen Regen über Waldwege und bestaunen die Pilze am Wegrand wie spezielle Fundstücke in einem Museum. Kleine regennasse Kostbarkeiten, büschelweise gewachsen und großkappige Einzelgänger. Frisch ausgetrieben, erzählen sie vom reichen Leben im Untergrund. Die gesuchten Parasole leuchten uns mit ihren tellerartigen Kappen und der bräunlichen Musterung wie Augen entgegen.
Samstag, 12. Oktober
Beim Räumen der Papierschubladen ist sie mir wiederbegegnet. Eine Zeichnung mit 28 Bäumen. Ein schnelles Gekritzel während eines Schreibkurses vor vielen Jahren. Eine Schrift aus Bäumen. Jeder eigen in Form und Ausdruck und doch unverkennbar baumartig. Verbunden und eigenständig. Ich erinnere mich an den Moment, an dem ich dieses Baumgekritzel gemacht habe. Wie mich diese Baumwesen berührt und einen neuen Blick ermöglicht haben. Vielleicht waren sie die Initiatorinnen für das 100 Bäume Projekt, welches ich heuer realisiert habe. 100 Bäume kreieren und dazu kurze Texte schreiben … Heute in einer Woche ist der Start der Tage der offenen Ateliers. Die 100 Bäume und 100 Texte hängen an den Wänden meines Ateliers und ich freue mich darauf, sie herzuzeigen.
Wie schön dieser neu entstandene See in der Sonne leuchtet. Der würde sich gut in die Landschaft einfügen. Erstaunlich, wie schnell sich Tiere ansiedeln. An meinem alten Wohnort gab es auch mal so ein Phänomen, da waren auch Frösche, Wasserläufer und sogar Fische drin. Zum Schlittschuhlaufen ist er natürlich ideal. Ich fürchte, nur der Bauer ist nicht so amüsiert über sein verlorenes Ackerland. Genieße die Quitten! Lecker!! 😋
Liebe Grüße
Kerstin
Für den Bauern ist das schwer. Seine Zuckerrüben verfaulen im Wasser. Ich hoffe, er bekommt Entschädigung.
Der Wind, die Sonne, die Schwäne und ich haben eine Freude an diesem unverhofft auftauchenden See.
Er wirkt wie eine Oase in der vom heißen Sommer ausgedörrten Landschaft.
Die Quitten habe ich schon größtenteils zu einem Mus verarbeitet. Sie sind schon vollreif und würden sonst bald zu faulen beginnen.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
Ich freue mich sehr über deine Freude an den Quitten🥰, der neu entstandene See.. was für eine Überraschung..😃!!
Und wie wundervoll deine Ausstellung sicher gewesen und bei deinen Besucher:innen angekommen ist 👌🏼!
Ich wäre gerne dabei gewesen, aber leider haben mich gesundheitliche Probleme an zu Hause gefesselt 🙁.
Soo gerne reise ich lesend durch Zeit und Raum in deinen Texten und Bildern😍!!
Danke dafür 🙏🏼!
🍁🍃🍂
Oh, das tut mir leid liebe Sabine, dass es dir gesundheitlich nicht so gut geht. Bitte melde dich, wenn du in der Gegend bist. Die hundert Bäume hängen noch. Schau doch mal vorbei!
Alles Liebe dir und gute Besserung
Romy
Das mache ich gerne😊..
Dankeschön, liebe Romy!