Romys Nacht- und Tag-Buch 87
Rosarote Wolken haben etwas Anziehendes an sich. Die Farbe hat eine starke Botschaft und lässt keine Beunruhigung aufkommen. Wenn am frühen Morgen rosarote Wolkenschiffe über den Himmel ziehen, beginnt der Tag verheißungsvoll.
Sonntag, 29. September
Die letzten Tage waren gut gefüllt. Schreibretreat, intensives Schreiben, Austauschen und Zusammensein mit meinen Schreibkolleginnen vom Memoir Kurs. Lachen, Weinen und staunen über die Schätze, die sich aus unseren Erinnerungen destillieren. Gestern Abend ein erster Auftritt mit meinen KollegInnen von der Weinviertler Wortwerkstatt im Schloss Wolkersdorf. Eine gut besuchte Lesung, ein freundliches und aufmerksames Publikum. Freundinnen waren dabei, Leserinnen meines Blogs, Schreibkolleginnen, Tochter und Enkelin. Ich fühle mich unterstützt. Mein Lampenfieber war wie weggewischt. Ich habe diese Lesung und das anschließende Fest sehr genossen.

Montag, 30. September
Wien. Durch die Stadt gehen. Altvertraute, Straßen, Routen und Wege. Vor vielen Jahren habe ich hier im Fünften gewohnt. Spielplätze. Erinnerungen an das Zusammensein mit meinen damals noch kleinen Enkelinnen. Picknicks im Park nach dem Abholen vom Kinderhort. Schaukeln in den roten Hängematten. Mit ihren kleinen Rädern die Wege erkunden. Das ständig suchende Großmutterauge hinterher. Die Artischockenpflanzen in der Rabatte hat es schon damals gegeben. Heuer sind sie mit langen Stängeln in die Höhe geschossen. Oben thronen riesige Blütenstände, samengefüllt. Silbern leuchten sie in der gleißenden Nachmittagssonne. Ich pflücke mir ein paar der Flugsterne mit den dunkelbraun gemusterten, ovalen Samen unten dran. Zu Hause werden sie in der feuchten Erde meines Vorgartens auf eine neue Reise geschickt.

Dienstag, 1. Oktober
Große Freude und eine verheißungsvolle Verpackung. Tage, Wochen und Monate danach, ein Geburtstagsgeschenk. Ein Verpasstes und Verspätetes. Am ersten Tag, Feierlaune, Trubel und Gewurl. Noch nicht öffnen jetzt, später, das hat Zeit. Der zweite Tag ausgefüllt mit dem letzten Schreiben während dem Retreat. Dann am frühen Morgen des dritten Tages, Muße, endlich Ruhe. Bedächtiges Öffnen. Ein flachquadratisches Büchlein. Außen ein Rehkitz auf brüchiger Oberfläche, eine Blume streckt sich ihm entgegen. Innen Bilder, Collagen, traumhaft schön, Worte, die mich fliegen lassen. Ein transparentes Lesezeichen mit Reh. Kindness allways kindness. Dieser Schatz kommt aufs Tischchen neben dem Bett. Er will in Stücken genossen werden. Danke Brigitta.

Mittwoch, 2. Oktober
Gegen den Seelenkasper, der mir letzte Woche zu schaffen gemacht hat, habe ich mir selbst ein paar „Pillen“ verordnet. Damit ich sie regelmäßig zu mir nehme, hängen zur Erinnerung ein paar Post-its an meinem Küchenkastel: Spazieren, Schreiben, Freunde treffen, Dankbarkeit, Gärtnern, Yoga nidra, Radeln, Lesen. Gestern war das Gärtnern dran. Mein Vorgarten braucht dringend ein Räumen und Roden. Nach dem Regen hat es überall zu keimen begonnen. Die neuen Pflänzchen brauchen Platz, damit sie sich ausbreiten können. Ich arbeite in der wärmenden Nachmittagssonne. Die Nachbarin setzt Erikas in ihren Garten. Ihr jüngerer Sohn gesellt sich zu mir und dekoriert meinen Garten mit kleinen fein schimmernden Seifenblasen.
Donnerstag, 3. Oktober
Während dem Schreibretreat habe ich über eine lebensverändernde Zeit geschrieben, die schon mehr als zwanzig Jahre zurückliegt. Schreiben über die durch eine Lebenskrise ausgelöste Niedergeschlagenheit, eine Reise durch die Unterwelt der Gefühle. Die Kraft dieser Verzweiflung hat in mir den Mut wachsen lassen, mich auf den Weg als Künstlerin zu begeben. Beim Schreiben sehe ich die Folgerichtigkeit der Geschehnisse. Nachträglich kann ich das Gesunde an der Traurigkeit sehen. Der Schmerz ist eine Botschaft. Auf ihn zu hören, zeigt den Weg.
Freitag, 4. Oktober
Draußen prasselnder Regen. Das wird den neu eingesetzten Hornveilchen im Garten gefallen. So können sie unbehindert ihre Wurzeln in der feuchten Erde ausbreiten. Vor dem Fenster noch dunkle Nacht. Im Bett liegen, lesen und die frühmorgendliche Ruhe genießen. Ein Buch mit einer traumhaft poetischen Sprache. Ein Feigenbaum, der Erstaunliches zu berichten weiß. Ich werde in die Geschichte hineingezogen und merke schon jetzt, nach den ersten Kapiteln, dass es genau das richtige Buch ist, um gut durch diese feuchtkalten Herbsttage zu kommen. Gute vierhundert Seiten Lesevergnügen liegen noch vor mir.

Samstag, 5. Oktober
Ein leichtes Fieber, Husten, Schluck- und Halsschmerzen. Ein Ziehen bis zu den Ohren. Wattiger Kopf. Also Ruhe geben und ein Feuer im Ofen machen. Die sich schnell ausbreitende Wärme füllt die Räume mit Behaglichkeit. Dann braue ich mir einen Zaubertrank nach einem Rezept, das Uli mit geschickt hat. Je eine Orange und Zitrone mit Schale, ein großes Stück Ingwer, Kurkuma und Honig fein mixen. In einen Eiswürfelbehälter geben, einfrieren und portionsweise mit heißem Wasser anrühren. Das wird helfen, bestimmt.
Ach wie schade, dass es mein Buch und die fröhlichen Karten aus Berlin nicht in dein Nacht-und-Tag-Buch geschafft haben. Ich hoffe, du hast dich trotzdem gefreut.
Das tut mir leid, liebe Kerstin, wenn du jetzt enttäuscht bist. Dass meine Freude über dieses Geschenk, das du mir mitten in deiner turbulentesten Zeit der Aufführungstermine vom Messias geschickt hast, nicht bei dir angekommen ist. Mich hat es in einer Zeit des Zweifelns an allem erreicht und es hat mir zutiefst gutgetan. Die Geschichten im Buch werde ich Häppchenweise lesen. Die ersten Drei haben mich beflügelt und ich denke, das Buch ist eine verlässliche Begleiterin durch die Abenteuer des Schreibens. Die fröhlichen Karten aus Berlin hängen jetzt bei der Eingangstür, entlocken mir beim Vorbeigehen ein Lächeln und beamen mich zurück in die schöne Zeit als ich für einen Monat in eurer Wohnung am Prenzlauer Berg residieren durfte. Zwar habe ich dir gleich nach Erhalt des Buches geschrieben und dir bei unserem letzten Treffen auch erzählt, wie schön es war, diese Überraschung in meinem Briefkasten zu finden. Das, was in meinem Nacht- und Tag-Buch erscheint, ist einfach ein Moment, willkürlich ausgewählt, nicht immer der Wichtigste oder der Schönste. Vieles bleibt hier ungesagt.