Nachtschatten

Romys Nacht- und Tag-Buch 86

Manchmal sinkt der Mut. Der anstrengende Hitzesommer und die daran anschließenden Unwetter fordern ihren Tribut. Schatten legen sich wie Spinnennetze aufs Gemüt.


Sonntag, 22. September

Mit dem Radl unterwegs Richtung Ulrichskirchen. Spuren vom Unwetter. Am Straßenrand, aufgeschichtete trocknende Sandsäcke und ein dürres Maisfeld, mit nassen Füssen. Unverhofft endet die Straße in einem See. Ein neuer Strand in meiner unmittelbaren Nähe. Windstille. Der Himmel spiegelt sich auf Wasserfläche. Ein erfrischendes Blau inmitten der vom Hitzesommer ausgetrockneten Feldern. Am Rand wächst Schilf. Hier gibt es wohl Grundwasser. Sonst würde diese Pflanze hier nicht wachsen. Das kühle Nass tut den Augen wohl. Ein bleibender See würde guttun hier. Er wäre eine Bereicherung für Landschaft und Kleinklima.

Montag, 23. September

Lazy Sunday. Konzert und Lesung. Songs und Gedichte rund um die Liebe mitten im grünen Weinviertel in der romantischen Stadtflucht Bergmühle in Kronberg. Jazz, Gesang, Querflöte und Klavier. Ein gemütlich, runder Nachmittag in der warmen Nachmittagssonne. Ich trinke roten Traubensaft und lausche einer 92-jährigen Stimme. Sie ist lebendig, warm. Voll und weich wie von einer jungen Frau. Sitzen, Plaudern und dann ein wenig im Areal flanieren. Der kleine See, wild umwuchert, ein Rosengarten, Skulpturen, rosarote Sitzsäcke und mittendrin auf einer Holzbühne vier Betten. Ich wandle unter einem großmächtigen Baum. Hier hängt ein alter Bilderrahmen. Die Sonne malt weiche Schatten auf die grüne Rasenfläche.

Dienstag, 24. September

Morgens um zwei weckt mich ein leiser Schrei. War das eines meiner Hühner? Ist der Marder wieder aufgetaucht? Wo ist die Taschenlampe? Ich kann sie nicht finden. Also eile ich ohne sie nach hinten zum Stall. Die Hühner sitzen friedlich auf ihren Stangen. Ein leises glucksendes Gackern als ich das Seitendach anhebe, um hineinzuschauen. Es muss ein anderes Tier gewesen sein, das geschrien hat. Ein eigenartig strenger Geruch liegt in der Luft. Zurück in meinem Bett höre ich ein Rascheln vor der Terrasse. Das ist wahrscheinlich der Igel. Der ist hier öfters unterwegs.

Mittwoch, 25. September

Draußen vor dem Fenster Stimmengewirr und bunte Regenschirme. Eine Lehrerfreundin steht mit ihrer Schulklasse vor meinem Granatapfelbaum. Eine Exkursion am Vormittag. Ich geselle mich zu ihnen. Alles wird genaustens besprochen. Die Kinder sind eifrig, interessiert dabei. Ich hole meine Baumschere und schneide den größten der Granatäpfel als Geschenk zum Mitnehmen. Wir besprechen, wie diese Frucht geöffnet werden kann. Wie es ist, sie zu essen. Ein paar Mutige trauen sich sogar, die Kerne vom Granatapfel hinunterzuschlucken. Jedenfalls haben sie aufgezeigt, als die Lehrerin danach gefragt hat.

Donnerstag, 26. September

Gründe für einen Seelenkasper gibt es viele … die zunehmende Lethargie während dem überheißen Sommer, dann das Katastrophenwasser, die schlimmen Meldungen jeden Tag, das Knie, das wieder seit längerer Zeit knackt, schmerzt und einfach nicht besser werden will. Aufkeimende Ängste, weil mich das Kurzzeitgedächtnis in letzter Zeit öfters im Stich lässt. In diesen Tagen hat sich eine zunehmende Bedrückung wie ein schwarzes Leintuch über mich geworfen. Wenn ich zurückschaue, kommt das nicht so ganz überraschend. Die Talfahrt hat schon früher begonnen. Aber mir fällt es schwer, vor mir selbst zuzugeben, dass es mir nicht so gut geht.

Freitag, 27. September

Morgen ist die Lesung der Weinviertler Wortwerkstatt im Schloss Wolkersdorf. Es ist das erste Mal, dass ich öffentlich lese. Ein wenig lampenfiebrig bin ich schon. Ausgerechnet jetzt hat sich unter meinem linken Auge ein großer roter Fleck breit gemacht. Ein Rotlauf meint die Ärztin. Ich muss Antibiotika nehmen. Die getrübte Stimmung hinterlässt ihre Spuren. Wie eine übergroße rote Träne hängt sie auf meiner Wange. Hoffentlich bewirken die Medikamente eine baldige Besserung.

Samstag, 28. September

Das Glück zeigt sich gelegentlich auf eine besondere Weise. Gestern zum Mittagessen wärmte ich mir einen Reis mit Gemüse auf. Beim Essen spürte ich plötzlich etwas länglich, fremdartiges im Mund. Ich nahm es heraus und starrte fassungslos auf einen zirka zwei Zentimeter langen, nadelförmigen Glasscherben. Keine Ahnung, wie der in mein Essen gelangt sein könnte. Ich darf mir gar nicht ausmalen, was hätte passieren können. Manchmal muss man einfach Glück haben.

10 Kommentare

  1. Sehr berührende Fotos und Wort-Stimmungsbilder vom Innen-und Außenleben. Danke dafür! Surfe auch schon länger auf und ab… ist oft nicht einfach.

  2. Viel Freude und ein aufmerksames Publikum wünsch ich dir, liebe Romy! Die Lesung wird bestimmt aufregend und schön. Und gute Besserung für dein Auge! Das ist ja ein Ding mit der Glasscherbe im Essen! Welch ein Glück, dass dir nichts passiert ist!
    Alles Liebe
    Kerstin

  3. Seelenkasper … was für ein Wort … ich kenne ihn auch gut, diesen Kasper. Ganz viel Genuss und gutes Gelingen für deine heutige Lesung, Romy. Gerne wäre ich dabei 💕

    Liebe Grüße,
    Manu

    1. Danke für deine lieben Worte, Manu. Dem Seelenkaspar habe ich ein paar Pillen verordnet: Schreiben, Spazieren, Gärtnern, Freunde treffen, Dankbarkeit. Ich bin schon gespannt darauf, wie sie wirken …

      Liebe Grüße
      Romy

  4. Liebe Romy,
    ich schließe mich den Kommentaren vor mir an, vor allem Nadjas.
    Auch mir ist das Pendeln, Schwanken oder Auf-und Absteigen zwischen Tatkraft und nahezu Energielosigkeit, Freude und Angstgefühlen und manchmal auch Verzweiflung, wenn sich wieder mal andauernde Schmerzen breitmachen..
    Ich wünsche dir alles, Gute! Gerne würde ich deinen Worten lauschen..

    Danke fürs Teilen deiner Gedanken, Gefühle und Erlebnisse!

    1. Liebe Sabine,
      ja, schade, dass du nicht dabei sein konntest. Es war ein schöner Abend und ein feines Fest.
      Ich habe viel Freude mit deinen Goldfischen. Sie sind noch immer ein wenig schüchtern. Aber wenn ich mit Futter komme, dann kommen sie an die Oberfläche.

      Alles Liebe dir
      Romy

  5. Dein Down kann ich sehr gut nachvollziehen. Wenn ich an den letzten Sommer zurückdenke, dann erscheint er mir auch über lange Strecken als tote Zeit und wie eine Hitzewallung, die alles verbrennt. Als Zeit der Restriktionen, in der so vieles nicht möglich war. Sich draußen zu bewegen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, an einem Hitzeschlag zu kollabieren; die Fenster jederzeit aufzumachen oder ungehindert zu kochen und zu backen – das würde die Wohnung weiter aufheizen. Lärm bis spät in die Nacht vor meiner Wohnung; das Gefühl, von Lethargie umgeben zu sein, die jederzeit in wütende Aggressivität umschlagen könnte. Trotz heller Jahreszeit in der abgedunkelten Wohnung zu sitzen und bei elektrischem Licht zu schreiben.

    1. Wenn das mit der Hitze im Sommer so weiter geht, wird es wohl nötig sein einen neuen Umgang damit zu finden. Mittagssiesta oder noch besser, ein Mittagsschlaf, Aktivitäten am frühen Morgen, gesellschaftliches Leben am späten Abend oder Sommerfrische an kühleren Orten.

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