Nacht- und Tag-Buch 85
Diesmal war der große Regen angekündigt. Betroffenheit über seine verheerenden Auswirkungen. Aufatmen, als er vorbei ist.
Sonntag, 15. September
Dauerregen. Der Schlaf will nicht kommen. Durch die Lamellen der Rollos ab und zu Blaulichtflackern. Die Feuerwehr ist in dieser Nacht im Dauereinsatz. Niederösterreich ist zum Katastrophengebiet erklärt worden. Der heiß ersehnte Regen zeigt seine Kehrseite. Freunde fragen per WhatsApp nach, wie die Lage ist und wie es mir geht. Danke, bei mir ist alles trocken. Ich denke an Menschen, die jetzt aus Häusern und Autos gerettet werden müssen. Die Uniformen der Feuerwehrleute sind durch den Dauereinsatz durchnässt, sagte der Kommandant bei einem Interview.
Montag, 16. September
Aufatmen, die Straßen sind trocken. Kein Regen in der Früh. Es ist kühl geworden. Vielleicht werde ich im Herd ein Feuer machen. Wärme für die Räume und fürs Gemüt. Am Wochenende habe ich einen Mohnkuchen mit Weingartenpfirsichen gebacken. Seelenfutter. Der Mohn und die Früchte sind hier in der Gegend gewachsen. In ihnen steckt die Kraft von Sonne und Regen. Die Eier sind von meinen Hühnern und die Milch vom Bauern im Ort.
Dienstag, 17. September
Der Granatapfelbaum steht noch. Gestern hatte ich ihn schon halb liegend wieder aufgerichtet und am Treppengeländer mit einem Seil gesichert. Ob die Granatäpfel wohl schon reif sind? Wie wäre es, sie schon jetzt zu ernten, damit sich der Baum nach den Unwetterstrapazen ohne diese Schwergewichte leichter regenerieren kann? Ich suche ich mir eine der schon großgewachsenen Früchte aus. Durch die Wassersättigung ist die Schale weich und trotzdem knackig. Mit einem quadratischen Schnitt schneide ich die Krone heraus und hebe sie ab, wie einen Deckel. Es erscheint ein weiß-wattiges, sternförmiges Gebilde. Darunter leuchten sie wie zarte Perlen, die rötlich schimmernden Kerne. Dem Stern entlangschneiden. Dann die Kerne sorgsam auslösen. Sie schmecken erstaunlich süß, obwohl sie noch nicht die intensive Röte und den vollen Geschmack erreicht haben.
Mittwoch, 18. September
Am Vormittag treffe ich mich online mit einer Schreibkollegin. Wir schreiben beide an einem Projekt, das sich aus den Geschichten unseres Lebens speist. Wir lesen einander vor und hören vom Gegenüber, wie der Text ankommt, wo er berührt, etwas ins Klingen bringt und wo es noch holpert oder schwer verständlich ist. Heute hat meine Kollegin eine Goldader getroffen. Schon beim Vorlesen der ersten paar Sätzen bekomme ich Gänsehaut. Ich folge ihr gebannt durch Zeiten und Orte, lerne ihren Großvater kennen und eine Tante. Ich bin gespannt, welche Schätze noch in unseren Lebensgeschichten warten. Der Weg in die Tiefe der Erinnerungen öffnet Türen zu Verborgenem und erweitert unsere Sicht aufs Leben.
Donnerstag, 19. September
Über dem Dach vom Geräteschuppen direkt vor meinem Klofenster haust eine Spinne. Heute Nacht war sie besonders emsig. Unten im Netz hängt ein grüner Grashüpfer. Die Spinne eilt rauf und runter, das Netz wird dicht, stabil und dreidimensional. Im Hintergrund der volle Mond. Er zaubert einen Schimmer auf die Fäden. Zusammen mit dem Lampenlicht entsteht eine interessante Beleuchtung. Sie verdeutlicht die Dramatik der Szene und erzeugt eine eigenartige Stimmung.
Freitag, 20. September
Nach dem großen Regen kommen wieder schönere Tage. Auf der Terrasse schaut es wild aus. Den ganzen Sommer über, auch bei den schlimmsten Gewittern, ist es hier trocken geblieben. Diesmal musste ich das Bett in eine sichere Position bringen. Hinten an der Wand hatte sich Nässe ausgebreitet. Ich räume die Terrasse auf und richte mir die Ecke mit dem Bett wieder neu her. Bis Mitte Oktober würde ich gerne noch draußen schlafen. Auch tagsüber nutze ich diesen Ort zum Lesen. Ab und zu schicke ich meine Augen dann auf Reisen und lasse sie im Garten und am Himmel herumschweifen.
Samstag, 21. September
Nüsse aufklauben. Die Sturmböen haben sie vorzeitig, noch in ihren Hüllen vom Baum gerissen. Eine Spazierrunde in der warmen Nachmittagssonne. Die Fruchtbäume auf Gemeindegebiet bieten Wunderbares. Ich finde eine saftig gelbe Birne und rote, süßsäuerliche Äpfel. Das Wasser im Bach bewegt sich wieder ruhig, der Wasserstand ist deutlich gesunken. Weiter vorn liegen Gleditschienschoten am Boden. Sie sind riesig, bewegen sich schlangengleich rot, grün und braun gefleckt. Ich erinnere mich an den Paravent, den ich vor Jahren mit solchen Schoten gestaltet habe. Das war die Prinzenfalle. So habe ich diesen Raumteiler damals genannt.
Bin froh und erleichtert, dass du alles gut überstanden und glimpflich davongekommen bist. Hab sehr viel an dich gedacht und mitgebangt. Wie gut, dass die Granatäpfel schon süß und saftig sind und du sie ernten kannst, um den Baum vom Gewicht zu entlasten. Genieße die letzte Zeit, die du noch im Freien schlafen kannst.
Alles Liebe
Kerstin
Danke Kerstin und liebe Grüße nach Berlin.
Ich wäre so gerne dabei bei eurer großartigen Aufführung vom Messias im Tempelhof.
Viel Erfolg und alles Liebe
Romy