Romys Nacht- und Tag-Buch 84
Den Worten das Fliegen beibringen. Frech sein und Grenzen überschreiten. Staunen und im irrealen die Spuren einer verborgenen Wahrheit finden. Erste Regentage und großes Aufatmen. Jetzt kann ich wieder mitten am Tag durch die Landschaft spazieren. Die zurück gekommene Kraft nutze ich zum Arbeiten. Aufräumen im Haus und lange Schreibstunden. Fabulieren und Experimentieren.
Sonntag, 8. September
Am Morgen als ich aufwache, ist es noch dunkel. Plötzlich ein langer, alles durchdringender Schrei. Er kommt hinten, vom Hühnerhaus. Im ersten Moment klingt es wie ein Kind in höchster Not. Schnell hole ich meine Taschenlampe und haste nach hinten. Beim Hineingehen ins Hühnergehege ein flitzender Schatten. Dann raschelt es im Holler. Ich leuchte mit der Taschenlampe hoch ins Geäst. Ein seltsamer Laut, eine Art Pfauchen. Sehen kann ich nichts. Zwei meiner Hühner sitzen auf dem Hühnerhausdach. Sie haben offensichtlich draußen übernachtet. Ich verfrachte sie ins Innere. Sperre das Gitter zu. Diesmal hat das Tier, ein Marder wohl, kein Schaden angerichtet. Ab jetzt werde ich die Hühner Abends in Sicherheit bringen und erst in der Früh wieder aus dem Stall hinaus lassen.
Montag, 9. September
In der Nacht ist der Regen gekommen. Ein leises, Tröpfeln, wie ein zärtliches Aufatmen. Kein Drama diesmal, kein Donner, kein Blitz, nicht mal ein Trommeln auf dem Terrassendach. Durch den Garten gehen. Der Regen ist stärker geworden. Unter den Bäumen ist der Boden noch trocken. Die Hühner warten schon hinter dem Gitter und begrüßen mich mit einem feinen Gegacker. Der Hartriegel lässt seine schwer gewordenen Äste in den Weg hineinhängen. Beim Zurückgehen streife ich sie mit meinem Arm. Die Nässe durchdringt den Stoff. Dunkle Flecken auf meinem Shirt. Ein Spatz sitzt auf dem Dach des Vogelhauses. Gerade ist das Regennass für ihn lockender als das Futter unter ihm.
Dienstag,10. September
„Trinkst a Glaserl?“ Am Abend in der Gasse sitzen und das Leben feiern. Den ersten Regentag. In die werdende Dunkelheit schauen und vorbeifliegenden Eulen nachstaunen. Mittags eine Runde mit den Walkingstöcken. Durch den Regen gehen. Die Kapuze lasse ich unten. Nasse Haare. Regengetauft. Im Regen stehen und mit einer Nachbarin plaudern. Sie unter dem Schirm. Ich daneben. Eine Regengenießerin. Ihr Hund fiept. Ungeduldig. Ihm gefällt das Wetter nicht. Seine Augen betteln. Weitergehen.
Mittwoch, 11. September
Aus einer Pflanze heraus sprechen. Eintauchen in ihre Geschichte. Fabulieren. Sprache ausprobieren. Experimentieren. Den Worten das Fliegen beibringen. Frech sein und Grenzen überschreiten. Staunen und im Irrealen die Spuren einer verborgenen Wahrheit finden. Schreiben als Forschungsprozess. Ins Tun hineinsinken. Stundenlanges Dranbleiben und die Zeit und vergessen. Wenn ich im Fluss bin, kann Schreiben unglaublich viel Spaß machen.
Donnerstag, 12. September
Die Terrasse ist für die Hühner tabu. Seit einiger Zeit lasse ich sie tagsüber in den Garten. Immer wieder spazierten sie, neugierig jede Ecke inspizierend, im verbotenen Gebiet. Meine improvisierten Abschrankungen überwanden sie mühelos. Also habe ich sie unzählige Male verscheucht. Seit ein paar Tagen ist Ruhe auf der Terrasse. Auch das eine Huhn, das immer noch draußen auf dem Dach schlafen will, lässt sich mühelos ins Hühnerhaus treiben, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit komme, um die Gittertüre zu verschließen. Vielleicht lassen meine Hühner sich doch erziehen und ich bringe ihnen nächstens ein paar Kunststücke bei.
Freitag, 13. September
Vor dem Zurückfahren mit dem Zug vom Training in Wien suche ich mir am Handy die nächsten Verbindungen. Sofort springen mir die gelb markierte Stellen entgegen. Wetterwarnungen. Während dem erwartete Dauerregen kann es zu massiven Einschränkungen im Zugverkehr kommen. Es wird geraten, geplante Reisen möglichst zu verschieben. Auf Facebook eine Meldung der örtlichen Stadtgemeinde: Unwetterwarnung für Wolkersdorf! In den kommenden Tagen werden wir mit heftigen Regenfällen und Sturmböen rechnen müssen. Es könnten örtliche Überflutungen auftreten – also bitte passt auf, wenn ihr draußen unterwegs seid!
Samstag, 14. September
Meine Hände sind rot und eiskalt. Besser, ich hätte mir Handschuhe angezogen. Schnell noch einkaufen gehen. Meine Vorratskästen sind leer. Heftiges Regnen, keine Böen. Auf den Straßen riesige Pfützen. Ich bin dick eingepackt in Regenhosen und Regenjacke. Beim Radeln kommt die Nässe sowohl von unten als auch von oben. Die neue Regenhose hält dicht. Die Satteltaschen sind gut gefüllt. Zu Hause nehme ich von Kopfsalat die äußeren Blätter weg und bringe sie den Hühnern. Sie haben sich ins Trockene verzogen.