Sommerblues

Romys Nacht- und Tag-Buch 83

Ein später Sommerblues legt sich auf mein Gemüt. Endlose Hitzetage legen alles lahm. Tagsüber zieht sich ins Kühle zurück, wer kann. Kaum Leben auf der Straße. Dieser viel zu lange Sommer kostet Kraft. Ich fühle mich ausgelaugt.

Sonntag, 1. September

Wieder zu Hause schaue ich als Erstes nach den Hühnern. Freudig gackernd laufen sie mir entgegen. Ginger duckt sich erwartungsvoll. Sie möchte hochgehoben werden. Ich bin jedoch nicht in Kuschellaune. Die Drachenweide neben dem Teich lässt ihre Blätter hängen. Auch der Goldregen macht einen durstigen Eindruck. Die ausgiebige Hitze hinterlässt jetzt auch im eher schattigen Hintergarten ihre Spuren. Am Abend mache ich eine Runde mit dem Gartenschlauch und wässere dort, wo die Not am Größten ist.

Montag, 2. September

Harzig, sagt man in der Schweiz, wenn etwas nicht so leicht läuft. Eher ein wenig so wie mit angezogener Handbremse. In letzter Zeit fällt mir das Schreiben dieser Alltagschronik nicht so leicht. Beim Aufwachen ist es noch Nacht. Man merkt jetzt schon deutlich die zweite Jahreshälfte. Ich schaue in den dunklen Garten und mir will nichts einfallen. Ich überlege … soll ich vielleicht eine Pause einlegen, ganz damit aufhören, oder ist das nur eine momentane Hitzeflaute, die mich etwas aus dem Fluss bringt?

Dienstag, 3. September

Am Abend hilft mir der Nachbar, das Loch in der Mauer vor dem Balkon zu verschließen. In meiner Abwesenheit sind Mäuse in der Küche eingezogen. Zum Glück habe ich ihre Spuren gleich entdeckt. Ich packe die Vorräte in Kisten und stelle Fallen auf. Schon im letzten Jahr waren in der Zeit der Hitze plötzlich Mäuse im Haus. Darum habe ich heuer aufgepasst und die Türen konsequent zugemacht. Manchmal höre ich die Mäuse in der Mauer auf der Terrasse. Vielleicht kommen sie auf diesem Weg in die Küche. Jetzt ist das Loch zugemacht und hoffentlich ist bald wieder Ruhe in der Küche.

Mittwoch, 4. September

Am Morgen, wenn die Luft noch frisch ist, mache ich eine Walking-Runde. Die alltägliche Hitze drückt mir aufs Gemüt und ich versuche Aufbauendes in meinen Alltag einzubauen. Ich bereite mir einen Platz zum Schreiben unter der Weide. Eine Erinnerung will schreibend in Form gebracht werden. In meinen Gedanken reise ich zurück in meine Zeit in Lausanne. Da war ich gerade neunzehn Jahre alt. Morgens um fünf brachte mir ein Verehrer ein Ständchen mit dem Dudelsack. Er stand unten auf der Straße. Fenster flogen auf. Schimpfen. Und ich, … stolz wie eine Königin.

Donnerstag, 5. September

Wenn ich hinten im Garten sitze, leisten mir die Hühner Gesellschaft. Sie scharren neben mir im trockenen Laub oder sie setzen sich gemütlich in meine Nähe. Sie sind feine Lehrerinnen, wenn es um Genuss und Lebensart geht. Ich liebe es, ihnen zuzuschauen, zu sitzen und sinnieren. Am späteren Nachmittag wird es auch ihnen zu heiß und sie verziehen sich ins Hühnergehege. Dort gibt es den dunkelsten Schatten.

Freitag, 6. September

Wieder durch die Gasse gehen. Bekanntes, Neues und ein seltsam vertrautes Gefühl. Das Geschäft vom Altwarentandler. Ausverkauf. Hinter der Scheibe ein Hinausschauen. Ich drehe mich um „Kennst mi nimmer?“ Bald gehen sie in Pension, die Tandlerin und ihr Mann. Zurück nach Belgrad. Nebenan schiebt jemand das Radl auf den Gehsteig. Auch er erkennt mich sofort. Mein Nachmieter hat in der Zwischenzeit einen weiten Weg zurückgelegt, ist präsent am Kunstmarkt, seine Arbeiten werden gekauft und gesammelt. Wir gehen durch mein ehemaliges Atelier. Ich beame mich zwanzig Jahre zurück. Blatt-Form, Natur trifft Stadt, Workshops, Ausstellungen, Gestaltungen für Geschäfte, den AtelierRundgang organisieren, Feste feiern, tun und kreieren. Diese schönen hohen Räume habe ich zu Beginn in wochenlanger Arbeit hergerichtet. Licht, Elektrizität, Heizung und ein neuer Estrichboden. Ich freue mich zu sehen, wie es hier weiter lebt.

Samstag, 7. September

Der Besuch in meinem ehemaligen Atelier hat nostalgische Nachwirkungen. Ich krame in den Bildern und werde fündig. Eine Schaufenstergestaltung mit hellgrünen Maclura-Kugeln, auf Golddraht gefädelte Kastanienblüten in einem Gewirr aus Ästen für die Eröffnung eines Schmuckgeschäftes, im Vertikalen wachsende Weizeninseln, ein Rosenregen über einem Rest vom Dreiradler, die brennende Frage wo das Geld wächst, Olivenblätter in Seidenpapier und mein Schatten beim Betrachten der Grasgespräche von oben.

2 Kommentare

  1. Liebe Romy,

    die Hitze geht bereits zu Ende. Halte noch ein bisschen durch.

    Mir geht es wie dir, die Sommer hier in unseren Breiten werden mir zu heiß. Hier am See und mit dem abendlichen Schwimmen, um abzukühlen, geht es ein bisschen leichter. Produktiv werde ich erst wieder, wenn die Temperaturen runter gehen.

    Lass uns mal wieder telefonieren, ich vermisse unseren Austausch!

    Herzliche Grüße aus dem Zirkuswagen

    Lisa

    1. Du hast recht, es ist ziemlich wahrscheinlich, dass diese ewig andauernde Hitze sich ihrem Ende entgegen bewegt. In mir wartet alles darauf … schon lange. Das kenne ich sonst nicht so, dass mir das Wetter aufs Gemüt schlägt. Es ist die hitzebedingte Inaktivität, die mir zu schaffen macht und die Isolation, das tagelange zurückziehen in dunkle Räume. Liebe Lisa, telefonieren wäre fein. Ich freue mich darauf, von dir zu hören.
      Liebe Grüße
      Romy

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