Vom Ende und vom Anfang

Farbübergänge
„Übergänge“ © Romy Pfyl 23, Zeichnung iPad

Romys Nacht- und Tag-Buch 8

Übergänge vom einen zum anderen sind reizvoll, spannend und sie bieten besondere Herausforderungen. Der Winter funkt dem Frühling immer wieder dazwischen und will ihm noch nicht so ganz seinen Platz überlassen. Mein fünfundsechzigstes Lebensjahr beginnt. Die Reha geht zu Ende und ich mache mich auf den Weg nachhause.

Sonntag, 26. März

Ein Geburtstag ohne Erwartungen hat sich gestern zu einem sehr speziellen Lebensfest entwickelt. Am Vormittag war ich gemeinsam mit meiner Zimmernachbarin im Fahrradergometer-Raum. Wir haben uns zu einem Wettstreit verabredet. Beide sind wir mit vollem Einsatz gefahren. Mir macht es seit neuestem großen Spaß, sportlich meine Grenzen auszuloten. Mittags ein überraschender Video-Anruf von meinen Kindern, Schwiegertochter und Enkelinnen. Und am Nachmittag dann ein spontaner Entschluss zu einer Wanderung trotz angesagtem Regen. Wir sind zu dritt zum Kreuzberg hochgegangen. Das Wetter hat gehalten. Oben wurden wir mit einem wunderbaren Ausblick und Sonnenschein belohnt. Dann ein Konditorei-Besuch mit einer köstlichen Himbeer-Schokolade-Torte. Dazwischen viele liebe Glückwünsche von Freunden und Bekannten. Am frühen Morgen beim Schreiben habe ich an meine Eltern gedacht, wie sie mich vor 64 Jahren in ihrem Schlafzimmer in diesem Leben willkommen geheißen haben. Das alles hat mich mit großer Dankbarkeit erfüllt.

Kreuzberg Aussicht genießen
Auf dem Kreuzberg bei Weyer

Montag, 27. März

Der Termin meiner Heimreise rückt näher. Am Mittwoch wird mein letzter Therapie- und Trainingstag sein. Das löst in mir sowohl Freude als auch Unruhe aus. Werde ich es auch zu Hause schaffen, einen mir wohltuenden Rhythmus von Aktivität und Ruhe einzuhalten? Hier ist alles wohlgeordnet und ich werde umsorgt und verwöhnt. Ich wünsche mir, dass ich das, was mir hier guttut, für mich alleine weiter kultivieren kann. Meine Gedanken gehen zu den Hühnern und dem Garten, der schon auf mich wartet. Ob die Amsel-Jungen schon geschlüpft sind und haben der Pfirsich und die Wildtulpen schon geblüht? Mein Herz und meine Gefühle gehen schon eine Weile voraus nach Hause.

Dienstag, 28. März

Meine Träume verschwinden im Meer des Vergessens. Die Gefühle sind noch da, eine gewisse Unruhe und etwas, das mit Nicht Genügen, Anstrengung und Unerreichbarkeit zu tun hat. Mit meinem intensiven Nachdenken, erreiche ich eher, dass sie noch schneller in die Vergessenheit abtauchen. Draußen ist es dunkel, sechs Uhr Sommerzeit. Aber der Sommer ist noch weit weg, auch wenn ich ihn manchmal schon lebhaft imaginiere. Hier hat es gestern geschneit. Dicke, dicht wirbelnde Flocken ließen den Himmel dunkel werden. Aber der warme Boden mit der schon zart sprießenden Vegetation verhinderte, dass der Schnee sich in die Landschaft setzte. Jetzt gerade mache ich einen Schritt auf die Terrasse in die frische, morgendliche Luft – und was sehe ich? Weiße Dächer, Wiesen und Bäume. In der Nacht scheint es kalt gewesen zu sein. Ein später Winterbesuch begleitet mich in den Tag.

Wintereinbruch
Weiße Dächer, Wiesen und Bäume

Mittwoch, 29. März

Morgen früh werde ich mit dem Zug nach Hause fahren. Die Selbstverständlichkeit, mit einem eigenen Auto unterwegs zu sein, hat in meinem Leben keinen Platz gefunden. Noch nie habe ich ein Auto besessen und meine beiden Kinder auch nicht. In letzter Zeit habe ich mich öfters gefragt, wie und warum das so gekommen ist. In meinen jungen Jahren habe ich ein Buch gelesen, wo die wirklichen Kosten des Individualverkehrs minutiös aufgelistet waren, die persönlichen und die öffentlichen, welche Folgen der Autoverkehr auf unsere Umgebung, die Gesundheit und die Umwelt hat. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und beeinflusst. Nach der Scheidung habe ich mit meinen Kindern in einem Ort gewohnt, wo die meisten Familien mindestens zwei Autos hatten. Wenn es regnete, bildete sich vor dem Schulhaus eine lange Autokolonne. Die Kinder wurden abgeholt, damit sie auf dem Nachhauseweg nicht nass werden. Ich kann mich noch gut erinnern, wie auf einem Ausflug mit dem Fahrrad meine Tochter zu mir sagte, dass sie froh sei, dass wir kein Auto haben, weil sie finde, dass es mit dem Fahrrad, zu Fuß und mit der Eisenbahn viel schöner und interessanter sei.

Donnerstag, 30. März

Abreise, meine Sachen sind gepackt. Ich verabschiede mich vom gemütlichen Zimmer, der Terrasse, den Vögeln, den Bäumen im Park, dem Wald und dem Berg. Es hat mir gutgetan, hier zu sein und wieder in Bewegung zu kommen. Auch das Umsorgt sein habe ich sehr genossen. Jetzt freue ich mich wieder auf mein Häuschen, den Vorgarten, das Feuer im Herd und auf mein alltägliches Tun … aufs Übergeben der Naschkisterl mit den hausgemachten Schokolade-Spezialitäten, welche ich in der hiesigen Konditorei als Mitbringsel besorgt habe … auf die Reise nach Hause, das Unterwegssein mit der Eisenbahn … aufs Abgeholt werden am Bahnhof, aufs Einkaufen und aufs wieder zu Hause sein und mich selbst versorgen.

Blick aus dem Zugfenster
Ich liebe es, von der Eisenbahn aus traumversunken die Landschaft zu betrachten.

Freitag, 31. März

Ergeben nächtliche Träume einen Sinn? Manchmal bleiben mir, so wie heute, nur zwei Wörter und eine herausfordernde Situation im Gedächtnis. Hierarchische Farben … und vom Rücksitz eines fahrenden Autos aus plötzlich zu realisieren, dass, sich Fahrer und Beifahrer den Scherz erlaubt haben, einfach zu verschwinden und ich plötzlich allein im Auto sitze. Ich nehme mir nicht viel Zeit, um darüber zu sinnieren. Es ist kühl in meiner Wohnwerkstatt und ich mache als Erstes gleich ein Feuer im Ofen. Beim Blick nach draußen bin ich überwältigt von der Schönheit der blühenden Bäume und Sträucher und dem morgendlichen Himmel. Noch schlaftrunken hole ich mein Handy und meinen Wintermantel und gehe nach draußen zum Fotografieren. Dann mache ich mir in der Küche einen blauen Wundertee, setze mich in die schon warm gewordene Wohnwerkstatt und beginne zu schreiben.

Blühende Frühlingspracht
Noch schlaftrunken gehe ich in den Garten, um diesen prächtigen Frühlingsmorgen zu fotografieren.

Samstag,1. April

Meine Mutter war eine Meisterin des Aprilscherzes. Jemanden in den April schicken, nannte sie das. Manchmal tüftelte ich auch mit ihr gemeinsam einen Aprilscherz aus. Es war wie eine Mutprobe, das Ausprobieren von etwas Neuem. Lügen war in unserem katholischen Elternhaus strengstens untersagt. Aber ein Aprilscherz ist keine Lüge. Für mich war das ein wenig schwierig. Ich war schüchtern und Witze und Scherze machten mich manchmal verlegen. Aber meine Mutter mit ihrem unermüdlichen Enthusiasmus wirkte überzeugend und so habe auch ich manchmal einen eigenen kleinen Scherz ausprobiert.
Im Alter wurde meine Mutter vergesslich und die Demenz ließ sie ruhiger, aber auch irgendwie zufriedener werden. Eines Morgens, ich war zu Besuch bei ihnen, wir saßen noch am Frühstückstisch und mein Vater las im Boten der Urschweiz. Er erzählte aufgeregt, dass jetzt alte, sehr interessante Dokumente über die Schlacht am Morgarten entdeckt worden seien und dass man diese, mittags um zwölf Uhr im Rathaus besichtigen könne … Meine Mutter blickte auf, sah ihn lächelnd an und meinte trocken: „S‘ isch erscht April.“

2 Kommentare

  1. Danke fürs Mitnehmen in deine Woche. Wie immer so schön geschrieben. Toll, wie dein Garten blüht. Wie gut, dass du jetzt wieder zu Hause bist und die Blütenpracht erleben kannst.
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Herzlichen Dank Kerstin, dass du mich so treu durch meine Wochen begleitest … ja, ich genieße es, wieder hier zu sein und der so ganz andersartigen Umgebung wieder mit einem neuen Blick zu begegnen.

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