Bewegung und Ruhe

Berg im Nebel

Romys Nacht- und Tag-Buch 7

Das Thema Bewegung taucht jetzt überall auf. Es ist präsent in meinem Schreiben und auch in den Zeichenübungen. Wie unterschiedlich sich die verschiedenen Menschen bewegen, beobachte ich mit großer Faszination. Durch das intensive Training in der Reha verändert sich mein Körper. Die Muskeln werden stärker und die Bewegungen ausgeglichener. Der regelmäßige Rhythmus des vorgegebenen Tagesablaufs und die bergige Umgebung wirken entspannend auf mich. Der tägliche Blick auf den Berg gegenüber wirkt wie Balsam auf die Seele und bringt mich zur Ruhe.

Sonntag,19. März

Gerade war eine kecke Blaumeise zu Besuch auf meiner Terrasse. Sie hüpfte auf dem Geländer auf und ab und zeigte mir dann ihre Flugkünste. Der Tag verspricht schön zu werden. Wenn das Wetter hält, werden meine Zimmernachbarin und ich heute Nachmittag den Weg auf den Heiligenstein unter die Füße nehmen. Gestern sind wir auf dem sehr steilen Waldweg nach Weyer hinunter gekraxelt. Das war meine Hauptprobe. Also denke ich, dass ich auch den Rückweg hinunter vom Heiligenstein gut schaffen werde. Mein neues linkes Knie bewährt sich immer mehr. Das Rechte macht manchmal ein paar Schwierigkeiten. Aber das Training und die Therapien kommen beiden Knien zugute. Gestern beim steilen Weg bergauf erinnerte ich mich wieder an die langen ruhigen Bergler-Schritte meines Vaters. Mit ihm war ich als Kind oft wandern. Er erzog uns Kinder zum langsamen, gemächlichen und stetigen Bergauf gehen.

Bewegung macht glücklich … unterwegs zum Heiligenstein

Montag, 20. März

Mein Zauberberg trägt heute eine wolkige Krone. Gestern Abend befiel mich eine Unruhe, welche die ganze Nacht anhielt. Ich drehte mich wohl hundertmal in meinem Bett hin und her und wieder zurück. Nachdem es mir nicht gelungen war, mich selbst zu beruhigen, übte ich mich in stoischem Hinnehmen.
Beim Frühstücken erzählt mir meine Zimmernachbarin, dass sie in der Nacht ganz ähnliche Schwierigkeiten hatte. Seltsam, nach unserer großartigen Wanderung hinauf zum Heiligenstein hatten wir beide einen guten und tiefen Schlaf erwartet. Wir genossen einen wunderschönen Nachmittag in der frischen und würzigen Waldluft und ich bin unendlich glücklich, dass ich auch wieder steilere Wege gehen kann.

Dienstag, 21. März

Halb sechs, durch die geöffnete Terrassentür strömt erfrischende Morgenluft und vom Wald her höre ich innigen Vogelgesang. In meinem Kopf tauchen die Traumfetzen ins Vergessen hinein, ein paar aufregende Gefühle sind noch da und eher schwache Ahnungen. Am Fuß des Berges streifen Nebelbahnen und über seinem Gipfel drängt sich ein heller Schein durch die Wolken.
Das Thema Bewegung ist gerade sehr attraktiv für mich. Letzte Woche habe ich auf meinem iPad Einminuten-Zeichenstudien von Läufer*innen gemacht. Ich habe große Lust, diese herausfordernden Übungen wieder regelmäßig aufzunehmen. Wie unterschiedlich sich die verschiedenen Menschen bewegen, beobachte ich mit großer Faszination. Oft sehe ich hier den Reha-Patient*innen beim Gehen zu und staune über die unglaubliche Vielfältigkeit und die persönliche Einmaligkeit ihrer Bewegungen.

„Läufer*innen“ 6 Einminuten-Zeichnungen © Romy Pfyl 23

Mittwoch, 22. März

Das Coronagespenst geht hier immer noch herum. Immer wieder werden Patient*innen, die an Corona erkrankt sind, nachhause geschickt. Jetzt hat es meine Tischnachbarin getroffen und gestern ist sie abgereist. Es ist sicher nicht so einfach, wenn jemand, so wie sie, hier voller Engagement am Reha-Programm teilnimmt und dann plötzlich herausgerissen wird. Das stelle ich mir schwierig vor. Leider gibt es keine Alternativen. Das Ansteckungsrisiko für andere Patient*innen ist zu hoch. Am höchsten wahrscheinlich beim gemeinsamen Essen. Jetzt hoffe ich inständig, dass es mich nicht erwischt hat. Ich bin ein wenig müde und erschöpft. Vielleicht eine Folge unserer Wandereskapaden. Die Ärztin hat gestern zu mir gemeint, dass das Wochenende nach so einem anstrengenden Wochenprogramm zum Erholen da sei. Am nächsten Wochenende ist Regen angesagt. Also wird es eher nichts mit Wandern. Vielleicht nutze ich die Zeit, um mit meinen Zeichenübungen weiterzumachen.

Donnerstag, 23. März

Wenn ich einem Berg gegenüber stehe, bekomme ich ein Gefühl von Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Vielleicht werden die Menschen, welche in den Bergen leben, von diesen Eigenschaften geprägt. Wenn ich hier in meinem Bett liege und durch die Terrassentür auf den Berg schaue, erfüllt mich sein Dasein mit Freude. Meine schlimmste Vorstellung als Kind war es, wegziehen zu müssen, von den Bergen ins Flachland. Ich dachte, wenn ich die Berge nicht mehr sehen würde, wäre ich tief in meiner Seele unglücklich. Vielleicht hat mich dabei auch die von mir heißgeliebte Heidi-Geschichte von Johanna Spyri beeinflusst. Mit achtzehn Jahren bin ich in die Stadt gezogen. Es folgten Wanderjahre, nach Zürich, Lausanne und London. Die Jahre ohne Berg als direktes Gegenüber dauerten an, bis jetzt, wo ich im hügeligen Weinviertel lebe. Ich war ganz und gar nicht unglücklich in dieser Zeit, so wie ich als Kind dachte. Aber noch immer erfüllt mich der Anblick eines Berges mit Begeisterung.

Ansichten meines Berges

Freitag, 24. März

Das schweizerische Amt für Gartenzwerge … einzig diese Worte sind mir geblieben von meinem Traum in der Nacht. In meinem schon wachen Kopf gibt es keine Geschichte dazu. Schade eigentlich, denke ich … oder auch nicht. Die Worte lassen in mir ein rigides Gefühl zurück. Vielleicht beeinflussen mich Träume, an die ich mich nicht erinnern kann, viel stärker als solche, welche beim Aufwachen noch präsent sind. Wenn ich mich erinnere, erreicht der Traum andere Bewusstseinsschichten. Er wird dann zu einer Brücke in mein nächtliches Erleben.

Samstag, 25. März

Die frische Luft, die bergige Umgebung und der regelmäßige Rhythmus tun mir gut. Es gibt verschiedene Indikatoren, die mir zeigen, dass ich hier merklich ruhiger geworden bin. So erstaunt es mich, dass die Beschäftigung mit Geldangelegenheiten mich nicht aus dem inneren Gleichgewicht bringt. Diese Woche ging es um die Einnahmen-Ausgaben Rechnung. Ein paar offene Fragen waren mit dem Steuerberater zu klären. Auch mein Schlaf ist hier entspannter, tiefer und länger geworden.
Beim ersten Blick auf das heutige Datum bin ich verwundert. Genau heute ist ja mein Geburtstag. Den werde ich am Tag nach meiner Rückkehr Zuhause mit meiner Tochter und meinen beiden Enkelinnen feiern. Wir werden in die Schmauserei gehen und uns kulinarisch verwöhnen lassen. Heute, vor vierundsechzig Jahren, bin ich geboren worden. Ich freue mich, denke an meine Mutter und meinen Vater wie sie mich auf dieser Welt willkommen geheißen haben und ich bin dankbar für mein Leben.

8 Kommentare

  1. Liebe Romy,
    ich gratuliere dir herzlich zu deinem 64. Geburtstag! Fürs neue Lebensjahr wünsche ich dir … Ausgewogenheit im Sein und im Haben, Ausgewogenheit zwischen Regen- und Sonnentagen, Ausgewogenheit zwischen Lebensfreude und Lebensfragen.

    Alles Liebe und Gute!
    Monika

  2. Liebe Romy,
    nachträglich „Alles Liebe und Gute“ zu deinem Geburtstag! Am 25.3. haben wir im Schloss Wolkersdorf zwei Ausstellungen eröffnet (bis 23.4. zu sehen) und es sind sehr viele Besucher*innen da gewesen (ca. 150!) – vielleicht kommst du nach deiner Rückkehr von der REHA einmal vorbei.
    Liebe Grüße
    Charlotte

    1. Herzlichen Dank Charlotte. Ja schade, dass ich nicht dabei sein konnte bei der Ausstellungseröffnung. Die Kuratorin Christiane Spatt kenne ich von früher und ich bin schon neugierig auf die Ausstellung. Gerne möchte ich bei der Finisage dabei sein. Ich freue mich auf ein Wiedersehen Romy

  3. Liebe Romy,
    ich wünsche dir nachträglich alles Gute zum Geburtstag und freue mich sehr darüber, in deine Schilderungen eintauchen zu dürfen und dabei auch mit-gehen/wandern/sinnieren/träumen/beobachten/nachdenken/.. zu können!
    Ich wünsch dir, dass du die Reha komplett für dich nutzen und genießen kannst!
    Alles Liebe
    Sabine

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