Vom Lauf der Dinge

Romys Nacht- und Tag-Buch 79

Den Türkranz habe ich abgenommen und auf den Terrassentisch gelegt. Eigentlich war das als Zwischenstation vor dem Entsorgen gedacht. Jetzt erinnert mich dieser von der Sonne und dem Wetter ausgebleichte Kranz vor der Kulisse des üppig grünenden Gartens an den Lauf der Dinge.

Sonntag, 4. August

Rückflug von Mailand nach Wien, am Flughafen ist die Hölle los. Menschenmassen überall. Wir müssen uns durchschlängeln und aufpassen, dass wir einander nicht verlieren. Mein Knieimplantat bringt den Sensor bei der Sicherheitskontrolle ins Piepsen. Ab jetzt komme ich wahrscheinlich bei jedem Flug in den Genuss einer Leibesvisitation. Meine Enkelinnen finden das lustig und sortieren in der Zwischenzeit meine Gepäckstücke zusammen. Der Flug hat Verspätung und wir möchten noch eine Kleinigkeit essen. Überall ist es rappelvoll, am Boden ausgestreute Papierservietten und Pommes. Trotzdem bekommen wir irgendwann unser Essen, sitzen irgendwann in unserem Flugzeug und kommen irgendwie wieder zu Hause an.

Montag, 5. August

Meinen Koffer auspacken und mich wieder langsam ans Eingewöhnen machen. Ein wenig vermisse ich den Trubel um mich herum, das Plaudern und das Lachen meiner Enkelinnen. Am Morgen habe ich vollreife Pflaumen geerntet und eingekocht. Am Nachmittag sichte ich Bienenfresser. Als Erstes höre ich ihren Gesang. Dann sehe ich sie über der Föhre und den Fichten segeln. Es sind viele heuer. Bald fliegen sie zurück nach Afrika.
Später besuchen mich die Nachbarin und ihre zwei Buben in meinem Garten. Sie holen sich Pflaumen und Kriecherl. Alleine schaffe ich es nicht, diesen großen Erntesegen zu bewältigen.

Dienstag, 6. August

In der Nacht höre ich den Igel rumoren. Die Kleintiere leiden keine Wassernot so wie in den vergangenen Jahren. Heuer wird der Garten regelmäßig mit einem Regen beschenkt. Manchmal düster wolkenverhangen, dann wieder hell die Sonne durchscheinen lassend und alles in ein magisch wirkendes Licht tauchend. Der Garten dankt es mit üppigem Wachstum. Ich kann den Stauden und Sträuchern förmlich beim Wachsen zusehen. Die Äste und Stängel strecken sich weit hinaus und ich muss mir den Weg frei schneiden, um unbehindert zum Hühnerstall zu kommen.

Mittwoch, 7. August

Dem Leben entlang schreiben. Eintauchen in Kinderzeiten. Mit den braunen Gummistiefeln über die Wiese stapfen. In der Kirche das Fliegen üben. Mit den Hühnern plaudern. Über die Alp sinnieren. Den Großvater in der Velowerkstatt besuchen. Kindernöte und Kinderfreuden. Mutters Geschichten lauschen. Meine kleine Schwester im Krankenhaus. Vom Träumen und Aufwachen. Zwei Eiskugeln, die eine gelb und die andere rosarot. Vom Glück im Wald. Entdeckerfreuden. Winnetou und Rechenängste. Das freche Rösslein Hü. Der lästige Mittagsschlaf. Aufbrechen und Ankommen. Das rote Gummiboot. Wie kann ich all diese Lebenspuzzleteile in eine passende Form bringen?

Donnerstag, 8. August

Beim Zurückfahren ist es schon dunkel. Das Licht an meinem Fahrrad zeigt in die Höhe und so kann ich den Weg vor mir kaum sehen. Anhalten, absteigen und das Licht in die richtige Position bringen. Irgendetwas wackelt und das Vorderrad schleift ein wenig. Mein Radl braucht wohl nächstens eine Generalüberholung. Von den Feldern her ein kühlt es jetzt und eine Ahnung von Feuchtigkeit steigt aus den Wiesen. Tagsüber war es wieder heiß. Ich habe stundenlang Texte überarbeitet und sortiert. Abends beim Heurigen gibt es saure Wurst mit Kernöl, zur Nachspeise eine saftige Nussschnitte, ausgiebiges Plaudern und ein feines Zusammensein.

Freitag, 9. August

Nach dem Krafttraining am Praterstern spüre ich jeden Muskel. Ich habe mich voll verausgabt und bin tüchtig ins Schwitzen gekommen. Bei der Rückfahrt mit der U-Bahn lockt mich das große Wasser bei der Haltestelle Donauinsel. Aussteigen und hinunterwandern über glühende Sonnenwege. Bei einem Steg mit behäbiger Leiter wage ich mich ins Wasser. Es ist ein feines Gefühl, in der Donau zu schwimmen. Ich lasse mich auf dem Rücken treiben und schaue ins Wolkengewirr. Es schaut nach baldigem Regen aus. Und tatsächlich, beim Zurückfahren mit dem Zug in Wolkersdorf, fallen schon die ersten großen Tropfen.

Samstag, 10. August

Neuerdings wird mir immer wieder bewusst, dass meine Zeit auf dieser Welt ein Ablaufdatum hat. Das war zwar schon immer so, aber seit meinem 65. Geburtstag ist es stärker präsent. Regelmäßig wenn ich mit meinen überbordenden Wünschen und Plänen zwanzig oder dreißig Jahre in die Zukunft denke, erscheint ein Stoppzeichen vor meinem inneren Auge. Manchmal erfüllt mich das mit einem Schrecken oder eine leise Traurigkeit schleicht sich in mein Herz.
In diesen letzten Tagen, in denen ich intensiv an meinem Memoir-Projekt gearbeitet habe, spüre ich immer mehr, dass an diesem Gedanken auch etwas Unterstützendes und Kraftvolles sein kann. Ich beginne mir zu überlegen, womit ich meine Zeit verbringen möchte und was mir wirklich wichtig im Leben ist.

8 Kommentare

  1. Liebe Romy,

    ganz sehnsüchtig freue ich mich jeden Samstag auf deinen Tag&Nacht-Text. Seit geraumer Zeit lasse ich mich von ihnen begleiten und bin jedes Mal sehr berührt über dein zartes, achtsames und doch so kraftvolles Schreiben.

    Ganz lieben Dank dafür und schöne Wochenend-Grüße von Manu

    1. Danke Angela fürs Bestärken. Ich habe vor dem Veröffentlichen schon ein wenig nachgedacht, ob ich den Schluss so stehen lassen kann. Jetzt bin ich froh, dass ich mich getraut habe …

  2. Liebe Romy,
    der Titel und dann gleich der Anblick des ausgeblichenen Kranzes hat mich irgendwie vorausspürend-ahnend in deinen Text eintauchen lassen..
    Ich musste dabei unwillkürlich auf das jeweilige Datum der einzelnen Tage achten.. und die Traurigkeit und Betroffenheit in mir ist mit deinen Zeilen weiter unten in Resonanz getreten.
    Am 4. August ist eine meiner allerliebsten Freundinnen ganz plötzlich, völlig unerwartet verstorben..
    Vorgestern hätte sie ihren 56. Geburtstag gefeiert..
    Heute war die Verabschiedung.
    Die Stoppzeichen, das Erschrecken und die Traurigkeit.. sie haben auch mich wieder mal sehr erwischt.

    Danke für alles Geschriebene, Gedachte und Geteilte, liebe Romy!
    Sabine

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