Morgenstern und Sichelmond

Morgenstern und Sichelmond

Romys Nacht- und Tag-Buch 78

Wenn die Nacht und der Tag einander begegnen, der Morgenstern und der Sichelmond noch am Himmel stehen und der Horizont sich langsam rötet, liegt eine angenehme Frische in der Luft.
Die Hitze dieser Tage ist herausfordernd. Am besten wäre es, die Aktivitäten in den frühesten Morgen zu verlegen.

Sonntag, 28. Juli

Brennend heiße Tage. Jede, auch die klitzekleinste Aktivität treibt den Schweiß aus den Poren. Da ziehe ich mich lieber ins abgedunkelte, kühle Schlafzimmer zurück und lese. Von den Büchereien Wien habe ich mir Yellowface von Rebecca F. Kuang als E-Book ausgeborgt. Die Geschichte zieht mich sofort hinein und ich lese gebannt, will wissen wie es weiter geht und höre immer nur kurz mit dem Lesen auf, wenn ich mir was zum Trinken hole oder mich der Hunger in die Küche treibt. Ich folge der vielschichtigen Hauptfigur um alle Ecken, Wendungen, staune über teilweise absurde und doch nachvollziehbare Aktionen. Nebenbei erfahre ich viel übers Schreiben, Schreibprozesse und den Literaturbetrieb.

Montag, 29. Juli

Weiterarbeiten an meinem Memoir- Projekt. Welche Geschichten möchte ich erzählen? Welchen Fragen gehe ich nach? Wie baue ich das Ganze auf? Welchem roten Faden folge ich? Ich sortiere die bereits geschriebenen Szenen mit Post-its, orientiere mich an der Lebenslandkarte an der Wand und schreibe einen groben Ablauf. Erster Akt, zweiter Akt, dritter Akt … Welche Themen stehen im Fokus? Handlungen und Hindernisse, Erlebnisse, Erkenntnisse, Krisen und Veränderungen. Wie ein buntes Band zieht mein Leben an mir vorbei.

Dienstag, 30. Juli

Die Pflanzen-App sagt mir, dass mein Zwetschkenbaum eine Pflaume sei. Irgendwer hatte ihn mir ursprünglich, mit viel Überzeugungskraft, als Zwetschke vorgestellt. Beim Recherchieren im Internet wird klar, es ist eine Pflaume … süß, rund, aromatisch, weiches rötliches Fruchtfleisch, das sich bisweilen schlecht vom Kern löst. In einem deutschen Artikel lese ich, dass man sich nicht wundern solle, wenn die Österreicher zur Pflaume Zwetschke sagen, das sei dort üblich, auch seien die Übergänge zwischen Pflaume und Zwetschke durch die vielen Kreuzungen fließend. Pflaume klingt in meinen Ohren freundlicher und zugänglicher. Das hat vielleicht auch mit meinen schweizerischen Prägungen zu tun. In meinen Erinnerungen prallte das Wort Zwetschge genau dann auf meine Ohren, wenn ich nicht das von meinem Gegenüber Gewünschte getan habe.

Mittwoch, 31. Juli

Morgenstern und Sichelmond. Um halb fünf in der Früh machen wir uns auf den Weg. Ein wenig kühl ist es noch um diese Zeit und der offene Himmel verspricht einen Flug mit klarer Sicht. Ich sitze am kleinen ovalen Fensterchen und kann mich fast nicht sattsehen. Wir fliegen über die Alpen und ich staune ins gefaltete Gesicht der Erde hinein. Schneefelder und Gletscher. Ein blau schimmernder Stausee zieht sich durch ein langes Tal. Oben in dieser weiten Höhe erzählen wir einander, was uns gerade beschäftigt. Nach dem Aussteigen in Mailand schlägt uns die Hitze entgegen. Meine Enkelin entpuppt sich als begabte Reiseführerin. Mit dem Bus geht es ins Stadtzentrum. Der Weg zu unserer Unterkunft wird über Snapchat für die zwei später Anreisenden dokumentiert und wir haben viel zu lachen. Unsere Wohnung liegt hoch über den Straßen.

Donnerstag, 1. August

Mittags treffen meine Tochter und die mittlere Enkelin ein. Sie sind mit dem Zug aus dem Tessin hergefahren. Ein gemeinsames Essen in einem römischen Spezialitätenrestaurant mit einer großen Auswahl an wunderbaren Pastaspezialitäten. Die großen Portionen überfordern uns. Mit der Hitze vermindert sich der Appetit deutlich. Am Tisch quirlt es. Wir haben einander in dieser Konstellation schon lange nicht mehr getroffen. Zu viert, aus drei Generationen. Es gibt viel nachzuholen. Alle reden durcheinander. Zuhören nur noch in Fetzen. Lebendiges und energiegeladenes Parlieren. Vielleicht ein wenig zu laut. Eine Dynamik mit explosiver Kraft. Das alles muss sich wohl noch ein wenig einpendeln.

Freitag, 2. August

Rote Eier mit weißem Kreuz. Eierpecken beim Frühstück. Meine Tochter hat diese Spezialität aus der Schweiz mitgebracht. Am ersten August ist der schweizerische Nationalfeiertag. Die Eier in der Früh sind mehr ironischer Scherz oder vielleicht ein verspäteter Osternachklang. Aber wer weiß, vielleicht werden sie ins Familienbrauchtum aufgenommen. Viel wichtiger ist, meine mittlere Enkelin wird an diesem Tag sechzehn Jahre alt. Zur Feier des Tages fahren wir mit dem Zug an den Comersee. Dort mieten wir uns ein Motorboot, genießen den frischen Fahrtwind und bestaunen die Bergwelt ringsherum. Wir fahren idyllischen Dörfern entlang, machen ab und zu einen Halt und springen ins Wasser. Das heißt, ich nehme das Leiterchen hinten am Boot und meine Tochter macht von vorn einen Kopfsprung.

Samstag, 3. August

Gestern Morgen, frühstücken in einer Kaffeebar. Später geraten wir nach Chinatown und durchstreifen die Geschäfte. Ich finde den lang gesuchten Sonnenhut in passender Form. Meine Enkelin durchforstet beglückt einen Schmuckladen mit unzähligen Kettchen, Ringen, und Anhängern. Das Angebot ist riesig. Kleider und chinesisches Design. Meine Tochter meint, dass es ihr reicht, mit den Augen einzukaufen. Die chinesischen Laute und der Geruch um uns herum beamen uns gefühlsmäßig zurück in die Zeit in Südchina vor sechs Jahren. Ein freundliches Lachen als wir uns in einem Geschäft auf Chinesisch bedanken. Immer wieder locken die kulinarischen Genüsse. Diese sparen wir uns für den Abend auf. Wir sind noch satt von unserem italienischen Frühstück.

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