Romys Nacht- und Tag-Buch 76
Sommertage zu Hause und im Waldviertel. Die paar Tage im Waldviertel bringen frischen Wind und Erholung. Hier ist es wie immer ein wenig kühler als anderswo. Stundenlanges Faulenzen und Lesen in der Hängematte unter den Apfelbäumen wechseln sich ab mit kühlen Sprudelbädern in der Thaya, Spaziergängen und Entdeckungstouren mit dem Rad.
Sonntag, 14. Juli
Langsam aufwachen und in den Tag hinein schreiben. Ich bin in meinem Sommerbett auf der Terrasse und lehne mich halb aufrecht gegen das große Kissen. Gerade hat mein Goldhuhn Mareike ihren ersten krächzenden Morgenschrei gemacht. Rund um mich ein zartes Netz. Ich bin jetzt mückengeschützt. In der Nacht bewegte sich eine einsame Mücke unentwegt von rechts, links, vorn und hinten in meine Richtung und begehrte Einlass. Aber keine Chance, das Netz hält, was es verspricht.
Montag, 15. Juli
An der Wand in meiner Wohnwerkstatt hängt jetzt eine Art Landkarte mit Mindmaps und Bildern entlang des Lebenslaufes. In den letzten Tagen habe ich mich in der schattenkühlen Wohnwerkstatt intensiv mit den verschiedenen Lebensphasen beschäftigt. Durch das nochmalige Hineintauchen in die Qualität der Zeit und die Begleitumstände kann ich Beweggründe aus einer neuen Perspektive sehen und die Zusammenhänge besser verstehen. Die Karte habe ich mir als Unterstützung für Schreibprozesse gedacht. Die Erinnerungen dienen als Impulsgeberinnen für neue Geschichten. Das daraus Gesponnene geht seinen eigenen Weg, entfernt sich unmerklich von den Lebensfakten und entwickelt sich in eine andere Form hinein.

Dienstag, 16. Juli
Unten, wo früher die Wehr war, hat die Thaya eine stärkere Strömung und der Wasserstand ist niedriger geworden. Anstatt Schwimmen gibt es jetzt die Möglichkeit für ein sich Hineinlegen ins kühle Sprudelbad. Bevor ich mich traue, das auszuprobieren, schaue ich mir an, wie es die anderen machen, wo die Steine sind und wie man sich halten kann. Wie fast jeden Sommer seit vielen Jahren bin ich für ein paar Tage in der Baumühle. In dieser gelebten Einfachheit tut tagsüber jeder, was gerade ansteht, lesen, schreiben, Musik machen, malen, kreieren oder faulenzen. Am Abend dann ein gemeinsames Nachtessen und in der Nacht am Feuer sitzen, Mond schauen und plaudern.
Mittwoch, 17. Juli
Nach einem ausgiebigen Mittagsschlaf sitze ich hinten in der aufgelassenen Miststatt. Die Kopfweide, die seit vielen Jahren nicht mehr geschnitten wird, hat tüchtig zugelegt. Der Stamm wird nach oben breiter und entzweit sich dann in unzähligen Verästelungen. Noch schläfrig, falle ich in eine eigenartige Stimmung. Die Sonne leuchtet durch die lanzettlichen Blätter und wirft Schattenlichter auf den Boden. Die Äste bewegen sich nach Weidenart und lassen sich vom Wind nichts sagen. Über der Wiese liegt ein glänzender Schimmer. Weiter hinten, bei den Bäumen entlang der Thaya, entfaltet sich ein Band mit lila blühendem Wiesenstorchenschnabel und weißlich leuchtendem Bärenklau.

Donnerstag, 18. Juli
Nach dem Regen ist es kühler als sonst und so mache ich mich auf den Weg für eine lange Spazierrunde. Später dann erkunde ich die Gegend mit dem Rad. Menschenleere und gottverlassene Weite. Einmal begegne ich drei anderen Radfahrern, sonst ist hier niemand unterwegs. Ich radle über Felder, durch den Wald, hinauf und hinunter. Die Kieswege sind an manchen Stellen garstig und ich muss höllisch aufpassen, um nicht zu stürzen. Das Fahrrad habe ich mir ausgeborgt, deshalb ist es mir noch ein wenig unvertraut.

Freitag, 19. Juli
In der blauen Hängematte liegen und lesen, viel lesen. Ich recherchiere über die Pflanzen, welche nach 1492 in unseren Breiten eingewandert sind. Ab diesem Zeitpunkt gelten sie als Neophyten/ Neupflanzen. Sie kommen vom Himalaya, aus Kanada, Japan, aus dem Mittelmeerraum, ja, eigentlich aus allen Himmelsrichtungen. Einige von ihnen breiten sich in den letzten Jahren, gefördert durch die Veränderungen in unserer Umwelt, massiv aus. Sie füllen die Lücken an problematischen Stellen, wo der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Dies wird von vielen Seiten als Bedrohung für die einheimische Flora gesehen und so werden sie eliminiert und mit allen Mitteln bekämpft. Der Ton, mit dem über diese Pflanzen debattiert wird, ist oft feindselig. Er bewegt sich in einer für mich seltsam anmutenden Nähe zum Fremdenhass.
Samstag, 20. Juli
Abends erscheint der fast schon volle Mond über den Dächern und leuchtet zwischen den Bäumen hindurch. Wir sitzen am abendlichen Feuer zufrieden und satt. So wie jeden Abend haben wir köstlich gespeist. Täglich schwingt jemand anderer den Kochlöffel und so ist die Vielfältigkeit der Speisen und die exklusive Qualität garantiert. Wir reden über die Lieblingsmärchen unserer Kindheit. Beim genauen Nachfragen stellt sich heraus, dass die meisten von uns den präzisen Handlungsablauf vergessen haben. Geblieben sind die Erinnerungen an die Atmosphäre und an den Klang der Sprache. So variieren wir das Märchen vom Rumpelstilzchen ein wenig, erfinden neue Wörter und haben unseren Spaß daran.
Liebe Romy, so ein Genuss, deine kühlenden Beiträge aus dem Waldviertel beim Lesen zu spüren.
Ich schätze deinen sprachlichen Umgang rund um die Parallelen mit pflanzlichen Neophyten und menschlichen Einwanderern sehr.
Bei den Pflanzen bin ich sehr bei dir.
Hier bei mir ist es die hellrote bis fast schwarze eingewanderte Wegschnecke, die sich massig aus dem Wald Richtung Kulturpflanzen bewegt. Ich fühle mich nicht wohl, dass ich ihr einziger Fressfeind bin. Und doch – bin ich es. Sonst würde hier schon längst alles kurz und klein gefressen sein. Und ich freue mich über jede Weinbergschnecke und all die Tigerschnegel, die ebenfalls hier leben und sich freundlicher- und wohl auch angepasster Weise – auch mit Wildpflanzen begnügen. Ob die Wegschnecke das irgendwann auch von ihren Schwestern lernen wird?
Ganz herzliche Grüße aus der trockenen Hitze zwischen Alpen und friualanischen Voralpen. Ich bin dankbar für den nächtlichen Regen und die vorübergehende minimale Abkühlung 🙋♀️
Lisa
Liebe Lisa
Wer schneller als der Fressfeind laufen, wer Energie effizienter speichern und nutzen kann, der hat in freier Wildbahn einen klaren Überlebensvorteil.
Also keine Angst vor den Wegschnecken liebe Lisa … Sie werden dich schon nicht auffressen, wenn du schnell genug laufen kannst 😉
Dass sie deine zarten Pflänzchen fressen ist natürlich bitter, da kann ich deinen Unmut schon verstehen.
Liebe Grüße aus dem Norden
Romy
Wie schön, Romy, mit dir im Waldviertel dabei zu sein. Ich spüre die Entspannung und Kreativität in deinen Worten!
Danke für dein Dabeisein liebe Angela