Urwaldfeeling

Romys Nacht- und Tag-Buch 74

Im Garten wächst es so üppig wie noch nie. Warmes Wetter und viel Regen lassen die Pflanzen wuchern. Es ist ungewöhnlich grün für diese Jahreszeit. Die heißfeuchte Luft verbreitet ein Urwaldfeeling.

Sonntag, 30. Juni

Zu Hause ein herzlicher Empfang. Winkende Arme. Kerstin im bunten Sommerkleid und Nadja in einer kurzen Lederhose. Ein wenig sind sie in diesem Monat zu Weinviertlerinnen geworden, sind mit der Gegend vertraut geworden, haben das Häuschen, die Terrasse und den Garten mit Lust bewohnt. Ein zart weißer Vorhang über dem Terrassenbett hält die nächtlichen Gelsen fern und für das morgendliche Kaffeevergnügen gibt es einen Milchschäumer. Geschenke von Nadjas Mutter als Dank für mein Blumengießen in Berlin. Alles ist in piekfeiner Ordnung und wartet darauf, dass ich mich hier wieder ausbreite und niederlasse. Am Abend feiern wir beim Heurigen Abschied und Ankommen, tauschen uns über unsere Wohnungstausch-Abenteuer aus und empfinden es als großen Gewinn für beide Seiten.

Montag, 1. Juli

Morgenfrühes Winken und Abschied nehmen. Im Vorgarten gerade noch offen und leuchtend gelb, die Nachtkerzen und daneben, in einem geheimnisvollen blau, begrüßen die ersten Wegwarteblüten diesen noch frischen Tag. Ich sortiere mich in ein neues zu Hause sein hinein. Ein Teil von mir hängt noch in Berlin. Später, schweißtreibende Hitze und ein erlösender Regen. Zögerlich erst und dann ein heftiges Niederprasseln. Auf der Straße, neben dem Gehsteig, fließt ein kleiner Bach.

Dienstag, 2. Juli

Manchmal schlüpfen meine Träume sofort beim Aufwachen zurück ins Vergessen. Zurück bleiben das Gefühl, die Atmosphäre, ein paar Bilder, eine Ahnung und ein paar Fitzelchen. Darauf folgt mein verzweifelter und meist vergeblicher Versuch, sie wieder zusammenzubasteln. Kurz vor meinem heutigen Aufwachen hat mir jemand einen Auftrag gegeben. Daran erinnere ich mich noch. Wir waren unterwegs in einer eigenartig verlorenen Landschaft und unterhielten uns über dies und das. Er meinte, das, was ich mache, hätte politische Dimensionen und ich sollte meine Botschaft singen. „Aber ich kann doch nicht singen“, meinte ich. „Vorlesen ist langweilig“, entgegnete er.

Mittwoch, 3. Juli

Meine Schreibkolleginnen sind aus Wien angereist. Ein Treffen bei mir auf der Terrasse. Brunchen, Schreiben und Feedbacken.
Zuerst ein gemeinsames durch den Garten gehen. Gestern habe ich hier den Weg frei geschnitten. Von allen Seiten wuchert es schon fast urwaldmäßig zu. Die Äste, schwer von den vielen Früchten, ragen tief hinunter. Der Zwetschgenbaum und der Kriecherl sind voll behangen. Dann Schmausen, frische, hausgemachte Marmeladen, ein köstlicher Kirschkuchen, Paradeiser, Gurken und Schafkäse, plaudern, lachen und nach dem Essen, ernsthaftes Arbeiten an unseren Texten.

Donnerstag, 4. Juli

Im Sommer an den Winter denken. Der Holzherd hat mir beim letzten Einheizen mit Rauchzeichen schon deutlich gezeigt, dass eine gründliche Reinigung angesagt ist. Ich trage die Abzugsrohre, die Herdplatte und die Reinigungsklappe nach draußen, reinige erst im Inneren des Herdes die Abgaskanäle und bürste dann draußen die Rohre und Platten aus. Dann wird alles wieder zusammen montiert. Der Herd ist das Zentrum, so etwas wie das Herz meines Häuschens und es ist ein gutes Gefühl, dass jetzt wieder alles in Ordnung ist. Beim Blick in den Spiegel sehe ich ein mein rußiges Gesicht, auch die Arme sind geschwärzt. Mit Seife und Lappen wird alles wieder hell.

Freitag, 5. Juli

Die schiefen und welligen Böden sind herausfordernd. Nach einem ersten Stolpern übe ich mich in Aufmerksamkeit. Im Kunsthaus Wien war der Hundertwasser am Werk. Er meinte, dass die gerade Linie den Untergang der Menschheit einleitet und baute Häuser, in welchen das Geschwungene und Runde Programm ist.
Im dritten und vierten Stock gibt es die beeindruckende und wunderschön gestaltete Ausstellung Into the Woods, zu sehen. Installationen aus Totholz, sichtbar gemachte Mykorrhizen, ein Spaziergang durch den heimatlichen Bödmerenwald. Ich verweile und stöbere in den aufgelegten Büchern. Am meisten beeindruckt mich der Lebensbaum eines indigenen Künstlers aus dem südamerikanischen Urwald, berührend, zart und lebendig aufs Papier gebracht.

Samstag, 6. Juli

Ein wenig Urwald kultiviere ich auch bei mir im Haus. In meinem Schlafzimmerfenster blüht es, was das Zeug hält. Noch nie sind bei mir gleichzeitig so viele Orchideenblüten aufgegangen. Der Urwald war schon in meiner Kindheit ein Sehnsuchtsort. Unerfüllte Träume suchen sich ihren eigenen Weg. Das Bild vom Urwald in meinem Kinderbuch war paradiesisch. In mir ist es in all diesen Jahren weitergewachsen, prächtig, üppig und wundervoll.

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