Romys Nacht- und Tag-Buch 73
Gemeinsames Unterwegssein und Entdecken. Die Stadt tut mir gut. Das quirlige Leben um mich herum weckt lang verschüttete Lebensgeister. Jeden Tag gehe ich weite Strecken zu Fuß, entdecke neue Ecken und lasse mich auf die unzähligen Abenteuer der Großstadt ein.
Sonntag, 23. Juni
Morgendliches Müsli-Glück auf dem Balkon. Seit ein paar Tagen gibt es hier die steirische Art. Mit von der Nacht verstrubbeltem Haar und noch ein wenig Schlaf in den Augen, sitzen wir in der frischen Luft, plaudern und finden langsam in den Tag hinein. Samstag und Sonntag ziehe ich mich tagsüber zurück. Ein Online-Schreibwochenende vom Memoir-Kurs. Intensives Weiterarbeiten an unseren Texten. Ein paar Nebel lichten sich und langsam bekomme ich eine Ahnung, worum es geht. Ist es das Gefühl anders zu sein und der tiefe Wunsch dazuzugehören? Ein Grundthema, das öfters mitschwingt, wie eine Hintergrundmusik oder ein immer wieder auftauchendes Muster.
Montag, 24. Juni
Sonntagnachmittag im Mauerpark. Sobald der Online-Kurs beendet ist, radle ich hin, um mich mit Gabi und ihrer Tochter zu treffen. Wir gehen zum Freiluft Karaoke und setzen uns weit oben in die Ränge des gut gefüllten Amphitheaters. Die Menschen ringsherum sind in Partylaune. Es wird geklatscht und mitgesungen. Wer sich traut und unten auf dem runden Platz das Mikro ergreift, hat auf alle Fälle gewonnen. Alle Darbietungen werden vom Publikum freundlich aufgenommen. Es ist, ein sich wöchentlich wiederholender Kult der besonderen Art. Nach den intensiven Schreibstunden tut es wohl, den Kopf auf diese leichte und fröhliche Art auszulüften.

Dienstag, 25. Juni
Die Kasperlefiguren aus Gummi ziehen meine Augen auf sich. Faszination und ein leichtes Grausen, beim Wiederbetrachten der Fotos vom sonntäglichen Flohmarkt. Kindliche Nostalgie mischt sich mit aktuellem Erleben. Unterwegs in den Straßen von Berlin werden meine Antennen zunehmend feiner. Die verschiedenen Charaktere, die Rollen und die Eigenart der Menschen, denen ich begegne, ziehen mich in ihren Bann. Was zeichnet sich in den Gesichtern und in der Art der Bewegungen ab? Was in der Art sich zu kleiden? Manchmal vermischt sich alles, das Rotkäppchen wirkt ein wenig frech und der böse Wolf gutmütig. Auch ihnen begegne ich in den Straßen.
Mittwoch, 26. Juni
Feiner Geruch vom geschwärzten Eichenholz und Lichtspiele an der Wand. Wir verweilen, teilen unsere Eindrücke, das Staunen und die Faszination. Ein Teehaus, ein Pavillon, eine Art Gefäß zum Lob des Schattens. Ein Raum wie ein Gedicht. Am Vormittag sind nur wenige Besucher in der Ausstellung von Edmund de Waal. Die großen schwarzen Keramikgefäße wechseln mit dem hereinfallenden Licht ihre Farbe, leuchten rötlich, beige, braun und manchmal in zartem Altrosa. Wir klopfen gegen die mächtigen Gefäße und lauschen dem wechselnden Klang.

Donnerstag, 27. Juni
Berlin ist nicht leise. Vielerorts ist es laut, sehr laut. Aber überall gibt es Bäume, überall höre ich Vögel. Mein Ohr ist auf die Vogel-Frequenz eingestellt und filtert jeden Piepser, jeden Gesang heraus, führt ihn auf direktem Weg an mein immer lauschendes Ohr. Wenn die Feuerwehr oder die Polizei durch die Straßen rast, dann ist es vorbei mit dem Ohren-Glück. Dann wird es so laut, dass selbst die Vögel verstummen. Noch in keiner Stadt habe ich so schrille Sirenen gehört. Wahrscheinlich müssen sie hier diesen alles durchdringenden Ton benutzen, um sich Gehör zu verschaffen.
Freitag, 28. Juni
Ich bin schon ein wenig Reise fiebrig und Abschieds dusselig. Wohnung putzen und Koffer vorbereiten. Ein letztes Mal schweißtreibendes Krafttraining beim hiesigen Kieser. In der Stadt kocht die Sommerhitze. Noch einmal durch die Straßen gehen, Eis essen, beim Vietnamesen sitzen. In einem kleinen Geschäft eine dunkelblaue Baumwollhose aus Nepal kaufen. Am Nachmittag, Blitz, Donner und prasselnder Regen. Der Gummibaum drückt sich ans südliche Küchenfenster. Er wäre wohl gerne draußen, in dieser triefenden Nässe. Die Sehnsucht ist ihm anzumerken.

Samstag, 29. Juni
Aufstehen um halb fünf. Anziehen, Kaffee und dann das Gepäck vier Stockwerke und acht Treppen hinunter hieven. Ich teile es auf ein paar Taschen auf, trage es einzeln hinunter und packe es erst im Gang vor der Haustür in den großen Reisekoffer. Morgenstille in den Straßen. Im S-Bahnhof Taubengurren. Letzte Fahrt mit den Berliner Öffis. Noch einmal die Spree sehen und innerliches Abschied nehmen. Der Zug kommt pünktlich. Dunst über den Feldern und eine milchig weiße Sonne. Im Rucksack wartet mein Frühstück. Ein Hafermus mit Kompott-Früchten.
Was für ein wunderschönes Foto von dir mit deiner wilden Lockenfrisur! Steht dir richtig gut! Es freut mich sehr, dass ihr das Karaoke-Event im Mauerpark mitbekommen habt. Ein ganz besonderes Erlebnis! Und ja, an die schrillen Sirenen den ganzen Tag werde ich mich auch nie gewöhnen, zucke jedes Mal zusammen, halte mir die Ohren zu und bin genervt. Die habe ich vier Wochen in Obersdorf nie gehört und es sehr genossen. Nun wünsche ich dir eine gute Heimreise und freue mich auf unser Wiedersehen! Bis später!
Danke Kerstin, ich freue mich schon sehr auf das Nachhause kommen, auf euch, den Garten und die Hühner 🙂
Liebe Romy,
Ich wünsche dir eine gute Heimreise. Schön, dass du die Ausstellung von Edmund de Waal nochmal genießen konntest.
Liebe Grüße,
Antje
Danke Antje, die Atmosphäre war schon beim ersten Mal direkt im Anschluss ans Künstlergespräch sehr besonders. Ich habe an dich gedacht und auch es beim zweiten Mal genossen.
Liebe Grüße
Romy
Ganz still habe ich deine farbigen, melodiösen und einfühlsamen Berlinberichte in mich aufgesogen und mich mit dir mitgefreut. Komm gut heim und wir hören uns hoffentlich bald 🙋♀️👑
Lisa
Fein, liebe Lisa, dass du mich in deinen Gedanken in Berlin begleitet hast.
Auf bald
Romy
Der sehnsüchtige Gummibaum…- ich kann ihn förmlich spüren..
Der Mut der Singenden, deine tanzenden Locken beim Frühstücksmüsli..- sie stehen dir übrigens sehr gut, finde ich😊!
Das Bild vom sirenenerfüllten, lauten Berlin hat mich an mein ‚Paralleluniversum‘ denken lassen.. In dem war es in den vergangenen Wochen -insbesondere in der letzten auch extrem laut und hektisch.. Schule mit 450-500 Menschen drin, je nachdem, wer aller noch von außen dazukommt in den letzten Tagen.. bis gestern.
Und jetzt gerade ..endlich Stille.
Ich habe deine Schilderungen mit jeder Faser aufgesogen und bin eingetaucht in deine Bilder .. und fein berührt..
Danke dafür, liebe Romy! Ich wünsche dir eine gute Heimreise und ein zufriedenes Ankommen in Obersdorf!
..Und ich freue mich auf ein Wiedersehen!
Liebe Grüße
Sabine
Ich freue mich auch, liebe Sabine, auf unser Treffen und auf die Goldfische, die bald wieder meinen kleinen Teich besiedeln werden.
Liebe Grüße
Romy
Alle meine Pflanzen blicken auch sehnsüchtig, ja, wohin eigentlich? Es gibt für sie kein Entrinnen. Sie sitzen in der Falle. Dabei habe ich mich immer so bemüht! -:)
Ohlala ich glaub’, du brauchst eine Pflanzenbetreuerin …