Berliner Blau

Kornblumen

Romys Nacht- und Tag-Buch 70

Schon ein paar Tage nach meiner Ankunft in Berlin öffnen sich auf dem Balkon die Kornblumen. Diese zart scheinenden Blümchen wurden früher von den Bauern gefürchtet. Beim Schneiden des Korns wurden durch die zähen Stängel dieses Ackerunkrautes die Sensen schnell stumpf. Kornblumen bestechen vor allem durch ihre einzigartige Farbe, Kornblumenblau, Preußisch Blau, Berliner Blau …

Sonntag, 2. Juni

Der Himmel über Berlin. Ein Stück davon gehört jetzt einen Monat lang mir. Aufstehen und sieben Schritte zum Balkon gehen. Ich sitze am kleinen grünen Holztischchen und staune in den Morgenhimmel. Es ist ein gutes Gefühl, hier zu sein. Später radle ich gemeinsam mit Kerstin zum samstäglichen Bauernmarkt. Buntes verlockendes Gemüse, Käse, Pilze und Räucherfisch. Sie zeigt mir die Spezialitäten vom Prenzlauer Berg. Fahren über Kopfsteinpflaster. In den Straßen Lindenduft.

Himmel über Berlin

Montag, 3. Juni

Der Sonntag ist ereignisreich. Kerstin und Nadja fahren los nach Obersdorf. Unterwegs haben sie 70 km nach Berlin eine Panne. Abschleppdienst, ein Hotelzimmer im Spreewald und Autoreparatur organisieren. Am Dienstag wird es voraussichtlich weiter gehen. Hennenbetreuung zu Hause organisieren. Bei den Hühnern ist alles in Ordnung. Ausgiebiges Frühstücken unter den Linden mit Tochter und Enkelin, die Mittags wieder zurück nach Österreich fliegen. Am Nachmittag radle ich zum Mauerpark, mache eine kurze Schnupperrunde durch den Flohmarkt und relaxe dann in meiner neuen blauen Hängematte zwischen zwei Birken.

Dienstag, 4. Juni

Einpendeln in Berlin. Ich richte mich ein und erkunde die Umgebung. Stadtradwege erfordern eine hohe Aufmerksamkeit. Ampeln, vorbei flitzender Verkehr, andere schnellere oder langsamere Radfahrerinnen. Interessantes Blühen auf den Grünstreifen. Nein, jetzt nicht hinschauen. Diesen Ort erkunde ich ein anderes Mal. Ich bin unterwegs zum Kieser Training in der Ostseestraße. Ich werde hier wieder ein regelmäßiges Krafttraining aufnehmen. Fein, dass mein Fitnesstempel überall seine Filialen hat, auch in Berlin.

Mittwoch, 5. Juni

Eine Chronologie der Ereignisse erstellen. Das ist eine der Aufgaben bis zur nächsten Einheit des Memoir-Buch-Kurses. Meine vorläufige Schlüsselszene findet im Januar 2020 statt. Der Augenblick der Begegnung mit dem japanischen Staudenknöterich am Ufer des Russbaches. Die plötzliche Erkenntnis, wie folgenreich dieser Moment war und wie sehr er die nächsten Jahre geprägt hat. Ich überlege aus der Perspektive der drei folgenden Jahre heraus, zu schreiben. Diese Aufgabe fordert mich. Mithilfe meiner damaligen Facebook Einträge beginne ich diese Zeit vor dem Hintergrund der Pandemie, meiner damals beginnenden Bewegungseinschränkungen und der nachfolgenden Neuroborreliose zu rekonstruieren. Unglaublich, was ich damals trotzdem alles geschafft habe. Eine sehr kreative Zeit, mit zahlreichen Ausstellungen, den neu erstellten Online-Kursen, künstlerischen Aktivitäten und vielem mehr.

Donnerstag, 6. Juni

Scherenklang, dieser Name löst in mir Wohlgefallen aus. Ich entschließe mich hier meinen Haaren eine frische Form geben zu lassen. Es ist schön, um meinen Kopf herum wieder die Haare zu spüren. Die überraschend aufblühenden Locken geben mir ein lang vermisstes und wieder neu entdecktes Gefühl, so ähnlich wie ein zusammen gebauschter Heiligenschein. Also werde ich meinen Haaren diesen Sommer die Freiheit geben, sich neu zu entfalten und ihre Antennen ausfahren zu lassen. Hier beim Scherenklang bekommen sie die besten Startbedingungen dafür.

Freitag, 7. Juni

Einfach mal mit der U2 losfahren und schauen, wo ich aussteigen will. Stadtmitte … mitten hinein? Oder doch nicht? Ich fahre zum Potsdamer Platz. Dort in der Nähe ist der Tiergarten. Ein Spaziergang vielleicht? Beim Auftauchen aus der Unterwelt überwältigt mich eine strenge großstädtische Atmosphäre mit steil aufragenden Hochhäusern. Unten, ein im Vergleich dazu winziger Markt mit lauter Musik, kleinen Ständen mit Spezialitäten aus aller Welt, Kitsch, Kleider und Kulinarisches. Dann Promenieren im ruhigen Tiergarten-Grün. Überraschenderweise lande ich am Brandenburger Tor. Bunt leuchtende Seifenblasen im Nachmittagslicht und zart schwingende Geigenmusik. Ich lasse mich mit treiben, kurz nur, dann steige ich in die nächste S-Bahn und fahre zurück in mein Berliner Zuhause.

Samstag, 8. Juni

Am Mittwochabend sind Kerstin und Nadja endlich glücklich in meinem Häuschen gelandet. Sie schicken mir ein Video vom gut eingerichteten und wohl gefüllten Arbeitsraum. Den Hühnern geht es gut, höre ich, Alissa brütet fleißig weiter. Unterdessen liegen neun Eier im Nest. Scheinbar haben Pavina und Ginger neue Eier dazu gelegt. Küken werden aus ihnen zwar keine schlüpfen, doch Kerstin meint, dass sie von außen die Bruteier schützen. Nächste Woche ist der Schlüpftermin und wir sind alle schon sehr gespannt.

8 Kommentare

  1. Guten Morgen, Romy!
    Das klingt alles sehr nach Aufbruchstimmung und Spätfrühling. Ich bewundere Deinen Entdeckergeist. Bei Neuroborreliose blieb ich kurz hängen…habe ja selbst Lime Borreliose, da kann ich mich ja vielleicht mal mit Dir austauschen.

    Liebe Grüße,

    Antje

    1. Liebe Antje,
      Ich freue mich schon sehr auf deinen Besuch hier bei mir in Berlin.
      Da wird sicher auch Zeit sein, gemütlich auf dem kleinen Balkon zu sitzen
      und uns über dies und das auszutauschen …

  2. Guten Morgen, liebe Romy,
    wie schön, Berlin durch deine Brille wahrzunehmen. Das Berliner Blau der Kornblumen auf meinem Balkon. Dass Bauern Kornblumen fürchten, wusste ich nicht. Ein schönes Bild mit den Seifenblasen vorm Brandenburger Tor!
    Den Hühnern geht es gut. Gestern lag ein befruchtetes Ei zerbrochen im Nest. Hoffentlich schaffen es ein paar der Küken. Hier war gestern Starkregen und ab morgen wird fünf weitere Tage regnen. Hoffentlich überflutet der Rußbach hier nicht alles. Ich wünsche dir eine wunderbare Zeit in Berlin! Genieße es!
    Liebe Grüße aus Obersdorf
    Kerstin

    1. Danke liebe Kerstin, ja, es ist schon eine feine Sache, so ein Wohnungstausch … Einfach mal eine ganz neue Perspektive einnehmen.
      Die Chance auf Küken wird kleiner, mit jedem zerbrochenen Ei. Mal sehen …

  3. Ganz herzlichen Dank für deinen ersten wunderbaren berlinblauen Bericht liebe Romy – und ebenso herzliche Grüße an deine lektorierende Haussitterin in Österreich 🙋‍♀️🎈☀️

  4. Danke für deine wundervollen Beobachtungen und das Teilen deiner Erlebnisse, liebe Romy!
    Ich reise und entdecke mit dir mit..😊
    Wunderschön, das Seifenblasenbild- was für eine tolle Szene😃!
    Und unvergleichlich -das Kornblumen/-Berliner Blau..🤩(danke für deine ‚Randinformationen‘ immer!)
    Hoffentlich gibt’s für Kerstin auch bald Kükengelb☺️.
    Liebe Grüße an alle!
    Sabine

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