Tulpenstiel-Frühling

Rote Tulpe

Romys Nacht- und Tag-Buch 62

Die für mich prägende Farbe dieses Frühlings ist rot. Rot wie die Tulpen meiner Kindheit. Erinnerungen an eine erste Begegnung mit dieser Blume: „Dieser Frühling ist so satt und dick wie ein Tulpenstiel.“ Damit beginnt die Geschichte. Tulpenstiel-Frühling habe ich sie genannt.

Sonntag, 7. April

Manchmal berühre ich mit dem Schreiben essenzielle Punkte. Gestern habe ich einen Text über den steten Wandel und die Unmöglichkeit etwas festzuhalten geschrieben. Die Natur ist eine Meisterin des Wandels. In ihr kann ich die Schönheit und auch den Trost finden. Veränderung ist die einzige Konstante unseres Lebens. Dieser Gedanke löst in mir bisweilen ein Gefühl des Schwindels aus.
„Verweile doch, du bist so schön.“ Gerade muss ich an diesen Satz aus Goethes Faust denken. Zum ersten Mal habe ich ihn aus dem Mund eines japanischen Verehrers gehört. Das war in London und ich war gerade zwanzig geworden.

Montag, 8. April

Ein Sonntagsbrunch im Garten unter der Weide. Freundinnengespräche und die Hühner beobachten. Zu dritt jagen sie der Pavina hinterher. Sie hat ein Erdbeerstückchen im Schnabel. Kürzlich haben mir die Nachbarbuben Löwenzahn gebracht. Die Hühner sind gierig nach dem diesem frischen Grün. „Der Löwenzahn ist die Schokolade der Hühner“, meint der Ältere von ihnen. Später füttern wir sie mit getrockneten Mehlwürmern, die sie uns aus der Hand fressen. Das ist eine kleine Mutprobe, bei der man die Schnäbel auf der Handfläche deutlich spüren kann. Ginger duckt sich. Das ist ihr Zeichen, dass sie gerne aufgehoben und gekuschelt werden möchte. Ich gebe sie dem Jüngeren in den Arm. Er streichelt das Huhn sanft und lächelt selig.

Brunchtplatz

Dienstag, 9. April

Den Juni werde ich in Berlin verbringen. Ich beginne, Pläne zu schmieden … Vielleicht ein spezielles Berlin Tagebuch führen oder Berlin Bilder mit Worten malen. Mich mit Schreibkolleginnen austauschen wäre schön, vielleicht gemeinsam einen Literaturabend besuchen. Neue Kulinarik entdecken und durch Parks schlendern. Mein Kieser Krafttraining in einer Berliner Filiale wieder aufnehmen und mit dem Fahrrad unterwegs sein. Die Pflanzenwelt in den Ritzen und Plätzen dieser Großstadt dokumentieren. Oder einfach faul sein und den Berliner Vorsommer genießen.

Mittwoch,10. April

Schon von weitem leuchten sie mir entgegen, rot und grün. Die Tulpen auf meiner Terrasse sind ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Der Wind, die Sonne und das Wasser haben sie in die Länge wachsen lassen. Die roten Blüten öffnen sich weit und lassen ihr Innerstes sehen. Ihre blau gestreifte und gelb gezackte Mitte wird durch das von hinten kommende Licht transparent gemacht. Diese rote, im Wind tanzende Fröhlichkeit hebt meine Stimmung.

Tulpe

Donnerstag, 11. April

Auch meine Nächte sind bisweilen rot. Rot wie der Schmerz und rot wie die Traurigkeit. Der Ischiasnerv hat sich eingeklemmt. Beim Gehen wird mir manchmal schlecht, weil es dabei zwickt und schmerzt.
Das Schreiben der Kindheitsgeschichten rührt an alte Wunden und lang vergessene Traurigkeit schleicht sich in mein Herz. So verbringe ich die Nacht im Inneren aufgewühlt und der sonst so zuverlässige Schlaf will einfach nicht kommen.

Freitag, 12. April

Zum Glück geht das Radeln trotz des eingeklemmten Ischias. Ich bin froh, hinauszukommen und die Bewegung an der frischen Luft tut mir gut. Ich liebe es unterwegs den Tieren zuzuschauen, den Alpakas und den Schafen auf der Weide. Öfters setze ich mich beim Stidl am Dorfrand auf die Bank. Wie auf einer Arche Noah leben dort die verschiedensten Tiere in wohlwollender Eintracht zusammen. Es gibt unzählig viele Hähne, trotzdem habe noch nie einen Kampf oder Streit beobachtet. Platz ist genug da und wohl auch ausreichend viel zum Fressen. Wahrlich paradiesische Zustände sind das.

Tiere beim Fressen

Samstag, 13. April

Und noch einmal Geburtstag nachfeiern. Wiener Freunde haben sich mit dem Fahrrad auf den Weg zu mir hinaus gemacht. Auf der Terrasse sitzen, schmausen, plaudern und den schon lauen Abend genießen. Ich bekomme ein kleines, leeres Büchlein geschenkt. Ein angenehmes Format, das gut in meiner Hand liegt. Die Farbe seiner Hülle führt mich mit einem sanften Rosa ins Innere, wo cremeweißes Papier darauf wartet gefüllt zu werden. Manchmal machen mir so schöne Bücher Angst, ihnen gerecht zu werden. Dieses werde ich in irgendeiner Form mit meinem Berliner Erleben füllen und ich freue mich darauf.

2 Kommentare

  1. Mir gefällt die Formulierung „Rot wie der Schmerz und rot wie die Traurigkeit“ sehr gut; der Schmerz ist durch die Zeilen hindurch zu spüren. Ich hoffe, der eingeklemmte Ischiasnerv hat sich wieder ausgeklemmt. LG – Uli

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