Morgendliches Amselglück

Morgendlicher Blick aus dem Fenster unseres Zimmers

Romys Nacht- und Tag-Buch 54

Pünktlich zum Tagesanbruch singt die Amsel. Sie nimmt mich mit auf eine Reise und erzählt mir Geschichten vom Frühling. Der Krankenhausalltag ist herausfordernd. Lange unruhige Nächte. Viel Schmerz und Leid um mich herum.

Sonntag, 11. Februar

Zum Sonntagsfrühstück gibt es Striezel. „Lassens ihna schmecka“. Meine Nachbarin schnauft laut und schnell. Ihr Becken ist gebrochen. Manchmal hat sie fürchterliche Schmerzen. Dann schreit sie laut, „oh weh, oh weh, oh weh.“ Ein scharfes Putzmittel kriecht in meine Nase. Um uns herum geschäftiges Tun. Ich bin noch ein wenig schlaftrunken. Gestern habe ich mit den Krücken erste Schritte gewagt. Vom Gang her Stimmen, leise, laut, manchmal schreit wer. Sachen werden herumgerückt und herumgeschoben, eine lautstarke Diskussion und dann wieder beständiges Stimmenrauschen.

Montag, 12. Februar

Die Amsel habe ich heute in der Früh nicht gehört. Am Montag meldet sich der Alltag zurück. Von der Straße unter dem Fenster ab und zu lautes Brummen. Dann beständiges Auto-Rauschen. Montage haben eine nüchterne Farbe. Wie war die Nacht? Meine Nachbarin links hat gut geschlafen. Fragt, warum die Patientin auf der anderen Seite so laut war. Irgendwann in der Nacht haben sie sie aus dem Zimmer hinausgeschoben. Schmerzen und lautes Debattieren. Wirres Jammern. Beruhigen, Schschtt … und ein wenig zureden. Die Pflegenden geben Schmerzmittel, betten sie um, hüllen in Schaumstoff. Das Zimmer ist leer, ohne sie.

Thermokrug und Wasserflaschen
Der Thermokrug und die Wasserflaschen

Dienstag, 13. Februar

Das Essen ist ein Lichtpunkt. Es bringt lebendige Energie und Farben. Einen neuen Geschmack und Botschaften aus der Welt von außerhalb. Ich staune über meinen Appetit. Der Alltag in unserem Krankenzimmer ist anstrengend. Mehrmals am Tag drehe ich Runden durch die Station. Das Gehen mit den Krücken geht erstaunlich leicht. Ich habe ein Bedürfnis nach Bewegung. Die Gänge in der Station sind zumeist menschenleer. Die Türen zu den Zimmern stehen offen. Männerzimmer, Frauenzimmer. Aus jedem Zimmer atmet eine andere Atmosphäre. Schicksalsgemeinschaften für ein paar Tage. Ein intimer Raum mit fast unbeschränktem Austausch. Kein Platz für Geheimnisse.

Abendhimmel über Kornneuburg

Mittwoch, 14. Februar

Mein nächtliches Bett schaukelt sanft. Mal wird der Rücken sachte emporgehoben, dann die Beine abgesenkt. Die Bewegung mit der Motorschiene hat sich in mein Körpergedächnis eingebrannt. Die Ohropax verstärken die eigenen Atemgeräusche. Das laute, heftige Schnarchen meiner Nachbarin bewegt sich zurück in einen leeren Raum. Die zwei Baldriantabletten entfalten langsam ihre Wirkung. Meine Kopf-Bilder verwischen sich und ich falle in einen unruhigen Schlaf. Nicht lange … Um halb eins kommt die zweite Bettnachbarin zurück von der Notoperation. Ihr Bett wird in unser Zimmer geschoben. Stimmen, Licht und Geschäftigkeit. Dann wieder Dunkel und warten auf den Schlaf.

Donnerstag, 15. Februar

Zum ersten Mal seit Tagen Alleinsein und Ruhe. Ich sitze am Gang an einem Tisch, mit Ausblick in den Himmel und die Stadt. Eine Schreib-Kollegin hat mich um Feedback für einen ihrer Texte gebeten. Hier in meinem neuen Refugium lese ich ihre Geschichte. Sie ist interessant für mich und spannend, beschreibt eine Vorgarten-, Vogel-, Haus- und Insel-Welt, die ich gut kenne. Neue und altbekannte Bilder mischen sich in meinem Kopf. Beim Feedback geben lerne ich viel, auch für mein eigenes Schreiben.
Später nehme ich den Notizblock und schreibe mir die Erlebnisse und Abenteuer der letzten Tage von der Seele …

Porträt am Gang
Schreiben tut gut

Freitag, 16. Februar

Anziehen und Schuhe schnüren. Ich werde von der Rettung nach Hause gebracht. Vor dem Krankenhaus wartet eine Kolonne von Rettungswagen. Ich atme erleichtert in den frischen Nachmittag hinein. Während der Fahrt staune ich von hinten durch ein Fensterchen zur Führerkabine, hinaus in die Landschaft. Häuser flitzen vorbei und weit hinten sehe ich die sonnenglänzenden Hügel des Weinviertels. Ein Polster mit gelb blühenden Krokussen streckt sich mir aus meinem Vorgarten entgegen. Die Schneeglöckchen lassen ihre weiß nickenden Köpfchen sanft vom Wind bewegen. Eine innig, freudige Begrüßung. Wie schön ist es, wieder zu Hause zu sein.

Samstag, 17. Februar

Noch ist es dunkel. Durch das Fenster im Bad erblicke ich einen hell leuchtenden Stern. Die Sonne hat mich gestern Nachmittag nach draußen gelockt. Ihre Strahlen wärmen mich bis ins Innerste. Einladung in den Nachbargarten. Plaudern und Sonne genießen. Mit den zwei kleinen Buben Späße treiben. Ich führe ihnen eine Pantomime vor. Zeige ihnen, wie ein guter Freund von mir Krapfen isst. Er öffnet seinen Mund weit und schiebt dann blitzschnell den ganzen Krapfen hinein. Bei geschlossenem Mund schiebt er den Krapfen hin und her. Umständliches Kauen mit vielen Grimassen und dann nach und nach schlucken. Die zwei Buben kugeln sich vor Lachen.

20 Kommentare

  1. Oh Romy ich bin so froh zu hören dass du wieder daheim bist!

    Und das mit Frühlingsgrüßen aus deinem Vorgarten, mit Amselgesang und Kinderlachen.

    Ich wünsche dir weiterhin eine gute Reise Richtung Heilung, Bewegung und ein gutes Leben, auch zu Fuß ❤️🎉✨

    Lisa

  2. Liebe Romy, deine Bilder und Worte tragen soviel Farbe in sich. Das ist wunderbar. Danke dafür und alles Gute für deine Heilung. ☀️Nadja

  3. Du beschreibst deinen Krankenhausalltag so treffend, dass ich die Atmosphäre spüre und deine schnarchende Bettnachbarin förmlich höre. Wie gut, dass du jetzt wieder Daheim bist und mit der Christl im Garten sitzen kannst. Liebe Grüße!

  4. Liebe Romy, schön war‘s Dein Tagebuch zu lesen. Hatte endlich mal Musse dafür. Das aufmerksame und achtsame Wahrnehmen von allem was Dich umgibt, das Aufgenommene völlig wertfrei zu äussern, in treffende und poetische Worte zu fassen, lässt mich Anteil nehmen. Sich in Deinem Stil ein Stück weit zu Hause zu fühlen, im Lesen angeregt werden Dich zu begleiten. Das gelingt nicht jedem Text.

  5. Liebe Romy, du schreibst so schön, vielen Dank, dass du deine Eindrucke mit uns teilst. Gute Besserung und liebe Grüße
    Natalia

  6. Dein Text vom 16. Februar erinnert mich an die Geschichte einer Mörderin. Nach ihrer Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe wurde sie nicht direkt vom Gericht zur Haftanstalt gebracht, sondern die Vollzugsbeamten hatten Mitleid mit ihr und schenkten ihr eine kleine Stadtrundfahrt, sodass sie ihre Heimatstadt noch einmal sehen konnte. Denn es war klar, dass sie diese Straßen und Gebäude für viele Jahre oder vielleicht auch niemals wieder sehen würde.
    Für mich ist diese Geschichte – und deine Erzählung über die Fahrt nach Hause – so ein Moment, wo wir etwas, das wir immer sehen und als gegeben annehmen, plötzlich in einem ganz anderen Licht und viel klarer sehen.

    1. Liebe Uli
      ja die Zeit im Krankenhaus war manchmal ein bisschen so wie ein Abtauchen in die Unterwelt. Solche Erlebnisse wirken als Augenöffner. Bewirken einen neuen Blick auf Altbekanntes. Wenn ich durchs Weinviertel fahre, bin ich immer wieder glücklich darüber hier zu sein.

  7. Liebe Romy, ich liebe Deine Alltagsbeschreibungen. Die Poesie der kleinen Dinge. Dass Gefühl, wenn sich der Moment in Worten konserviert. Wenn er als Eindruck, als ferne Erinnerung vom Synapsenwerk eingefangen wird. Was bleibt ist ein warmes Gefühl, ein Mitgefühl für all die Protagonisten. 🥰

  8. Liebe Romy,
    schön, dass die OP gut verlaufen ist und du wieder zuhause bist – und uns allen, die deine Geschichten lesen und deinen Gedanken und deinen Wahrnehmungen folgen, ein bisserl Poesie in den Tag und in die Nacht zauberst. Alles Gute!

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