Blau, Grün und Schatten-Grau

Licht und Schatten

Romys Nacht- und Tag-Buch 53

Im Vorfeld meiner zweiten Knie-Operation erlebe ich eine Achterbahn der Gefühle. Manchmal schlafe ich schlecht. Zuweilen bin ich ruhig und voller Zuversicht. Licht und Schatten liegen nah beieinander. Das eine bedingt das andere …

Sonntag, 4. Februar

Die Sonnenstrahlen schräg über den Bäumen zaubern glitzernde Punkte in die zarten Trauerweidenäste. Im Garten in der Sonne sitzen, Kaffeetrinken und plaudern. In der Nacht habe ich gestern seit langem wieder einmal eine Eule gehört. Wir tauschen uns aus über dies und das. Über die Hühner, das Eichhörnchen, das auf einen Besuch im Hühnergarten war und den Frost, der vor kurzem hier noch alles steif gefrieren ließ. Am Vormittag war ich in Wien im Schreibworkshop. Ausgiebiges und konstruktives Text-Feedback geben und nehmen für unsere Personal-Essays. Ein interessanter und tiefgründiger Austausch über einen weiten Bogen von Themen.

Frost auf der Wiese
Vor Kurzem war es hier noch frostig

Montag, 5. Februar

Überarbeiten und Feinschliff, waren die gestrigen Inhalte im Schreibworkshop. Zum Schluss raucht mir der Kopf. Zu Hause werde ich das Ganze für mich nochmals sortieren. So viele Themen tauchen mit dem Schreiben auf. Das ist ein weiter Weg, denke ich. Aber ich werde es mit Geduld und Schritt für Schritt angehen. Für mich ist vorerst das Wichtigste, wohlwollend mit mir umzugehen und dranzubleiben. Zu Hause dann ein langer und tiefer Nachmittagsschlaf. Beim Aufwachen bin ich irritiert. Warum ist es so hell? Im ersten Aufwachmoment dachte ich, dass es schon Morgen ist.

Dienstag, 6. Februar

In drei Tagen werde ich operiert. Ich bin ein wenig angespannt. Meine Haushaltshilfe ist krank und kann heute nicht kommen. So viel ist zu organisieren. Weil ich allein lebe, brauche ich zu Hause Hilfe in der ersten Zeit nach der OP. Mittags kommt „Essen auf Rädern“ und für Transporte gibt es das „WOLKI-mobil“. Ich habe schon Termine für Physiotherapie und Lymphdrainage. Eine Freundin fährt mich am Donnerstag mit ihrem Auto ins Krankenhaus. Von anderen abhängig zu sein, fällt mir schwer. Kurz habe ich mir überlegt, heute aufzuräumen und selber das Häuschen durchzuputzen. Aber das ist wohl keine gute Idee. Im Moment schmerzt fast jede Bewegung. Ich hoffe so sehr, dass es bald besser wird.

Mein Schreibplatz
Mein Schreibplatz, im Arbeitsflow hinterlasse ich ein Chaos

Mittwoch, 7. Februar

Meine mittlere Enkelin kocht heute für mich. Sie möchte ein türkisches Rezept ausprobieren. Vor kurzem war sie in Istanbul. Sie erzählt mit großer Begeisterung. Die Atmosphäre, die Menschen, das bunte Leben, die Architektur und auch die Kulinarik bringen sie ins Schwärmen. Auf Instagram sehe ich ihre Fotos. Mir gefallen der Blick und der Ausdruck ihrer Bilder. Meine Enkelinnen erobern das Leben, jede von ihnen auf ihre eigene Art. Sie gehen auf Entdeckungsreise, probieren aus und sind neugierig. Ich schwinge mit, genieße ihr Wachsen und ihre junge, frische Lebendigkeit.

Türkisches Essen
Eine türkische Atmosphäre am Mittagstisch und ein köstliches Geschmackserlebnis …

Donnerstag, 8. Februar

Eigenartige Träume begleiten mich bis in den frühen Morgen hinein. Eine Ahnung und eine Stimmung, verwischte Bilder, die eilig davonhuschen und sich nicht fassen lassen. Seit einer Woche schreibe ich direkt nach dem Aufstehen vier A4-Seiten von Hand in mein Notizheft. Im schnellen Handschreiben taucht Unbewusstes auf. Es ist vielleicht so ähnlich wie ein direktes Träumen aufs Papier.
Freewriting nennt sich diese Methode und es gibt verschiedene Varianten davon. Die Idee der Morgenseiten wurde von Julia Cameron entwickelt. Früher habe ich das öfters über längere Zeiträume praktiziert. Jetzt bin ich gespannt, welche Schätze oder Ungeheuerlichkeiten diesmal auftauchen. Ich werde sie einfach aus der Feder strömen lassen. Wie kleine Fische schwimmen sie übers Papier und verschwinden dann wieder im Nirgendwo.

Freitag, 9. Februar

Ankommen, Zettel ziehen und warten. Formulare ausfüllen und dann ein weißes Plastikarmbändchen mit meinem Namen. Nun bin ich markiert und kann nicht mehr verloren gehen. Spätestens ab jetzt weiß ich, dass es ernst gilt. Mittags dann Grießschmarren mit Apfelkompott und vorher eine Fleischstrudelsuppe. Es schmeckt mir erstaunlich gut. Grießschmarren habe ich schon seit Jahren nicht mehr gegessen. Dieser ist mit Vanille gewürzt. Nachthemd anziehen und mich mit der Mechanik des Bettes vertraut machen. Vom Gang her ein ständiges Stimmenrauschen. Später Blutabnahme, mein Knie wird markiert und ich bekomme einen Infusions-Zugang für die OP. Willkommen im Krankenhausalltag.

Samstag, 10. Februar

Im Operationsaal hat es kühle 19 Grad.„Auf Befehl unserer Landeshauptfrau“, meint mein munterer Betten-Transporteur.„Wir müssen sparen.“ Ich werde in aufheizbare Tücher gehüllt. Mein Körper wird hin und her gerückt und verkabelt. Der Reihe nach stellen sich die zwei Narkoseärzte, und die Assistenzärztin vor. Rings um mich viele helfende Hände. Dann begrüßt mich der Chirurg. Die Flüssigkeit, die in meine Armvenen tropft, macht mich benommen. Und dann bin ich weg.
Die ersten Bilder, die blau verschwommen auftauchen, halte ich eine längere Weile für einen Traum. Als sie dann scharf und schärfer werden, wird mir klar, dass ich wieder in der Wirklichkeit gelandet bin.

14 Kommentare

  1. Ich freue mich sehr, dass die OP überstanden ist und du sogar schon darüber schreibst. Ich wünsche dir schnelle Heilung und dass dein Knie wieder komplett funktionsfähig wird.
    PS.: Blauer Himmel über Wien und Sonnenschein! 🌞
    LG Uli

  2. Im Herzen bei dir liebe Romy, gute Heilung nun für dein Knie ❤️

    Und Danke dir für die Erzählung deiner Tage vor der OP. Dein aufmerksames Schreiben in der neuen Umgebung wird sicher sehr spannend, ich freu mich schon drauf!

    Lisa

  3. Ganz erstaunlich, wie du, kaum aufgewacht nach der OP, pünktlich auf die Minute dein Nacht-und-Tagbuch veröffentlichst … Ich freue mich, dass die OP gut gelaufen ist und drück die Daumen, dass nun alles gut wird mit deinem Knie.
    Die begeisterten Reiseerlebnisse deiner Enkelin kann ich gut verstehen. Ich war von Istanbul damals auch sehr angetan. Eine faszinierende Stadt.
    Alles Liebe
    Kerstin

    1. Nachdem meine Bettnachbarin uns heute Nacht nicht schlafen gelassen hatte, habe ich die Zeit benutzt, um fertig zu schreiben.
      Alles hat seine Vor- und Nachteile.
      Ein schönes Wochenende wünsche ich dir
      Romy

  4. Liebe Romy, ich wünsche Dir alles Gute für Deine Genesung und sende Dir viel gute Energie und Zuversicht❤️🌞. Die Erzählung über Deine Enkelinnen und wie sie die Welt erobern gefällt mir sehr.
    Liebe Grüße, Susanne

  5. Liebe Romy, gute Besserung für dein Knie und danke für deine Tag-und Nacht-Bücher. Es ist so angenehm, am verregneten Sonntag auf der Couch zu sitzen und deine Geschichten zu lesen.
    Liebe Grüße

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