Vorwintertage

Herbstastern im Vorwinter

Romys Nacht- und Tag-Buch 43

Die verblühten Herbstastern leuchten mit ihren weißen feinen Sternen durch die düsteren Tage. Der Winter lässt nicht mehr lange auf sich warten. Manchmal fallen erste Flocken. Noch ist es zu warm und so sind die zarten Schneedecken innert kurzer Zeit wieder weggeschmolzen. Freitagnacht ist es dann endlich so weit, pünktlich zum ersten Advent wird uns ein Wintereinbruch beschert.

Sonntag, 26. November

Heute werde ich gemeinsam mit meiner mittleren Enkelin die Unterlagen für die Steuer sortieren. Vor einiger Zeit fragte mich eine Bekannte, was mein nächstes Kunstprojekt sein werde. Ich sagte ihr: „die Steuer“. Sie lachte herzlich und ich war über mich selber verblüfft. Humor zu diesem Thema ist etwas Neues für mich. Diese Vorbereitungsarbeiten machten mir jedes Mal Bauchschmerzen. Mit den Zahlen pflege ich seit meiner Kindheit ein feindliches Verhältnis. Ja und warum nicht, es zu einem Kunstprojekt machen. Wenn ich es auf diese Weise angehe, bin ich neugierig, engagiert und viel entspannter.

Montag, 27. November

Meine Enkelin kommt zum Mittagessen. Es gibt ein Gemüsecurry mit Reis. Ich genieße das Kochen und richte uns einen sonntäglichen Tisch her. Meistens esse ich allein. Zu zweit macht es noch mehr Freude. Meine Enkelin liebt die Sortierarbeiten für die Steuer. Heuer macht sie es zum zweiten Mal und so kennt sie sich schon ein wenig aus. Sie geht das ganze mit viel Power an. Ich bin so froh über diese Hilfe. Ihre Augen sind flinker und schärfer als meine. Gemeinsam mit ihr macht die Arbeit Spass.
Später transportieren wir einen Teil der Birkenholzscheite auf die Terrasse. Das Eichenholz habe ich aufgebraucht. Das Birkenholz mit seiner weißen papierähnlichen Rinde bringt eine neue sanfte Qualität in meinen Wohnraum.

Birkenholzscheite im Weidenkorb
Birkenholzscheite im Weidenkorb

Dienstag, 28. November

Wirre Träume heute Nacht …
„Ein Haus direkt am Main“. Warum kommt Kerstin bloß auf die Idee, mir sowas anzubieten? „Es ist eine einmalige Gelegenheit“, insistiert sie. „Es ist ein Haustausch und kostet dich nur hunderttausend Euro an Investition. Du musst dich in den nächsten Stunden entscheiden“! Aber ich fühle mich todmüde, ausgelaugt, mein Knie schmerzt und ich kann und will einfach nicht mehr. Außerdem, woher soll ich jetzt so plötzlich das Geld zaubern und ein Haus zum Tauschen?
Die Party, zu der ich eingeladen bin, lockt mich gar nicht. Einem Physiotherapeuten im Nirgendwo habe ich mein Leid geklagt. Er hat keine Zeit. Flirtet mit einem Mädchen und lässt mich links liegen. Ein Arzt sagt etwas zum Zustand meines Knies. Ich hab es nicht verstanden und der Physiotherapeut hat nicht zugehört. „Komm morgen wieder“, meint der Physiotherapeut. „Um welche Zeit?“, frage ich. „Eigentlich habe ich gar keinen Termin frei“, antwortet er.

Mittwoch, 29. November

In Kaisermühlen geht nichts mehr weiter. Eine Störung bei der U-Bahn, die wohl länger dauern wird. Ich fahre in einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft per Taxi nach Kagran. Hier habe ich einen Termin für eine Magnet-Resonanz-Tomographie beim linken Knie. Die Bilder kann ich mir gleich mitnehmen. Neugierig, wie ich bin, schaue ich sie mir noch am Untersuchungsort an. Ich staune, wie viele Bilder gemacht wurden. Irgendwie schaut das Knie im Inneren mit dem neuen Gelenk ein wenig düster und unheimlich aus. Draußen regnet es, als ich das Gebäude verlasse. Vor mir ist eine mehrspurige Kreuzung mit regem Feierabendverkehr. Es ist schon dunkel und die unzähligen Lichter in allen Farben, bezaubern mich mit ihrem flirrenden Spektakel. Ich gehe durch den Regen und staune über das warme Glücksgefühl, das mich durchströmt.

Donnerstag, 30. November

Von schräg oben leuchtet ein abnehmender, aber noch ziemlich voller Mond durch das Fenster. Neben mir ein heißer Kakao aus Hafermilch mit Kardamom. Und als ob das noch nicht genug der Gemütlichkeit wäre, knistert hinter mir das Feuer im Holzherd.
Der Kamm von Alissa, meinem potenziellen Brüter-Huhn, ist in letzter Zeit ein wenig blass geworden. Bis jetzt habe ich gedacht, dass sie einfach durchs Mausern ein wenig geschwächt ist. Gestern Vormittag sehe ich, dass sie sich immer wieder hinsetzt und ein wenig wackelig auf den Beinen ist. Ich bringe ihr warmes Wasser und frische Vogelmiere. Am Nachmittag ist sie schon wieder munterer und wacker am Fressen.

Zwei Hühner
Alissa und Ginger

Freitag, 1. Dezember

Der Augenarzt verordnet mir zwei Wochen Ruhe, kein Krafttraining und keine Anstrengungen. In der Früh habe ich realisiert, dass ich auf dem linken Auge wie durch einen Schleier sehe. Die Untersuchungen ergeben ein Problem beim Glaskörper. Also sage ich den Termin fürs Rückentraining ab und richte es mir auf der Couch in der Wohnwerkstatt gemütlich ein. Erst höre ich mir eine Radiosendung auf Ö1 an. Ein Gespräch von Romana Schmidt-Kunz mit dem Autor Daniel Schreiber. Mir gefällt die aufmerksame und achtsame Art dieses Gespräches. Ich reserviere mir bei den Büchereien Wien sein Buch übers Alleinsein. Später tauche ich mit einem Hörbuch in die Kindheit von Virginia Woolf ein. „Skizze der Vergangenheit“, gelesen von Sophie Rois. Sie liest ruhig und lässt den Worten und Sätzen Raum. Ich bin fasziniert von ihrer leicht heiseren Stimme, die so gut zu diesen Texten passt.

Abend in der Wohnwerkstatt
Geschichten lauschen, Radio hören und den gemütlichen Vorwinternachmittag genießen

Samstag, 2. Dezember

Gestern mit der Uli den zweiten Wiener Gemeindebezirk erkundet. Ein Spaziergang im Regen. Vorbei an meiner alten Wohnung im 5. Stock eines altehrwürdigen Hauses in der Großen Mohrengasse, einem neuen koscheren Lebensmittelgeschäft bewacht von einem Polizisten und meinem ehemaligen Atelier in der Glockengasse. Angekommen an unserem Ziel bewundern wir zuerst einen Innenhof mit Pawlatsche, bevor wir uns in die Gaststätte wagen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. An den Wänden Plattenhüllen mit Hits aus unserer Jugendzeit. Ihre längst vergessene Ästhetik erinnert daran, wie lange das schon her ist. Dann steht es vor uns, das weltbeste Gulasch. Österreichisches Umami, das auf der Zunge zerschmilzt. Was für ein Glück. Darauf haben wir uns schon lange gefreut.

Uli mit Gulasch
Uli im Gulasch-Glück

4 Kommentare

  1. Liebe Romy, das Foto der Herbstastern ist so wunderschön! So habe ich meine noch nie gesehen, meine altern irgendwie anders 😀 Ich hoffe deinem wunderschönen Huhn geht es bald wieder besser. Und alles Gute für deine Augen! Ganz herzliche Grüße aus dem in eineinhalb Stunden tief verschneiten Kärnten, in dem wir heuer so lange auf die gefrorene weiße Pracht gewartet haben! Lisa

    1. Da hast du einen feinen Blick, liebe Lisa. Ich habe sie direkt nach der Blüte (oder noch blühend?) ausgerissen und auf der Terrasse in einem Kübel ohne Wasser stehen gelassen. Normalerweise fliegen die kleinen Sämchen davon und es bleibt nur das Gerippe übrig. Danke für deine lieben Wünsche und herzliche Grüße aus dem tief verschneiten Weinviertel. Romy

    1. Genau so ist sie, meine Traum-Kerstin … zugreifen tun … das Haus am Main ist nicht schlecht. Hinten Land und vorne Stadt. Ein liebliches Holzhaus, das ein wenig baufällig ausschaut. Der Garten ist eher langweilig, aber da würde ich sicher Leben hineinbringen. Interessant, wie konkret (Nacht) Träume sein können …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert