Romys-Nacht-und-Tag-Buch-42
Gewachsenes bestaunen und wachsendem zuschauen. Meine kleine Welt ist in beständiger Bewegung. Hier steht nichts still. Dieses immerwährende Werden und Vergehen ist pausenlos.
Sonntag, 19. November
Rotkraut Scheiben aus dem Backrohr. Das klingt doch verheißungsvoll. Und ich werde nicht enttäuscht. Sie schmecken köstlich. Den besten Moment erlebe ich allerdings beim Schneiden. Wundervolle Muster treffen auf meine staunenden Augen. Eine zauberhafte, interessant gewundene Spirale wird sichtbar. Es ist berührend schön, wie sich Gewachsenes entwickeln kann.
Am Vormittag mache ich einen Spaziergang zu einer Wiese außerhalb des Ortes. Dort werden 500 Bäume und Sträucher gepflanzt. Groß und klein ist am Graben und Werken. Ich werde Zeugin der Geburt eines kleinen Waldes. Ich freue mich dabeizusein und bin schon gespannt, wie er sich über die Zeit entwickeln wird.
Montag, 20. November
Die Nacht wächst zunehmend in den Tag hinein. Am Morgen beim Aufwachen ist es noch dunkelschwarze Nacht. Seit Neuestem bleibe ich dann noch ein wenig liegen und genieße die Bettwärme. Heute beim Aufstehen sage ich laut: „guten Morgen, du kalte dunkle Nacht“. Das bringt mich ins Lächeln und hebt die Stimmung. Dann Tee kochen und Feuer machen. Bald verbreitet sich eine angenehme Wärme. Ich setze mich an den Laptop. Neben mir steht eine Tasse Schwarztee mit Hafermilch. Dann beginne ich zu schreiben.
Dienstag, 21. November
Auf ihrer Nase sitzt eine Brille mit kleinen, runden Vergrößerungsgläsern. Meine Zähne werden inspiziert. „Sie sind eine Beißerin“, konstatiert die Zahnärztin. „Die Schäden an den Zähnen sind schon gut sichtbar“. Jetzt hat sie mich durchschaut, denke ich. Diese schlimmen Taten verübe ich nur in der Nacht. Wenn ich aufwache, realisiere ich, dass meine Zähne fest aufeinander gepresst und mein Kiefer steif ist. Tagsüber beiße ich nie auf die Zähne. Auch nicht, wenn ich mich zum Beispiel anstrenge, ärgere oder wütend werde … In der Nacht herrschen scheinbar andere Verhältnisse. Ich würde gerne wissen, was mich dann veranlasst, so intensiv auf die Zähne zu beißen.
Mittwoch, 22. November
Für morgen ist frostiges Wetter angesagt. Also ernte ich die letzten Granatäpfel, welche noch am Bäumchen zurückgeblieben sind. Das tut mir jetzt fast ein wenig leid. Oft werden sie von Passanten bewundert. Mit seinen großen roten Kugeln würde der Granatapfel auch als Weihnachtsbäumchen durchgehen. Das wäre ein sehr spezieller Vorgarten-Schmuck für die Adventszeit. Aber die Früchte schmecken einfach zu köstlich, als dass ich sie einfach nur zur Dekoration hängen lassen möchte. Fünfundzwanzig dieser Wunderkugeln sind heuer an diesem kleinen Bäumchen gewachsen. Sie haben den ganzen Sommer gebraucht, um so groß und rot und schmackhaft zu werden.
Donnerstag, 23. November
Gerade sind die ersten Sonnenstrahlen angekommen. Sie verzaubern mit ihrem warmen Licht die Baumwipfel im Hintergarten. Die Blätter der Trauerweide sind in den letzten Tagen goldgelb geworden. Es gibt aber immer noch erstaunlich viel Grünes für diese Jahreszeit. Kriecherl, Flieder, Hartriegel und der frisch ausgetriebene Holunder lassen sich Zeit mit der Herbstfärbung. Ich bin gespannt, wie sie auf den Frost reagieren werden.
Jeden Morgen beim Frühstücken beobachte ich die Vögel am Futterhäuschen. Manchmal kommt sogar der Buntspecht zu Besuch. Er klammert sich seitlich ans Futterbrett und kommt auf diese Weise zu den viel begehrten Sonnenblumenkernen. Ab und zu höre ich, vom alten Apfelbaum im Nachbargarten, sein Klopfen.
Freitag, 24. November
Die Mystikerin in mir … Was für ein Thema! Ich treffe mich mit Susanne Online zum gemeinsamen Schreiben. Ein Gedicht bohrt sich in meinen Kopf und will geschrieben sein. Nach dem Schreiben unterhalten wir uns über Gedichte und Haikus. Ich schätze diesen Austausch aus dem Schreiben heraus. Durch die gemeinsamen Themen entstehen Gespräche von wundersamer Breite und Tiefe. Nach dem Treffen schreibe ich weiter. Erinnerungen an eine andere Zeit in meinem Leben und die Verbindung zum jetzt. Das Thema hat mich gepackt.
Samstag, 25. November
Das intensive Schreiben und Nachdenken hat mich wohl ein wenig erschöpft. Ich gönne mir einen faulen Tag. Also so ein richtig gemütlich fauler Tag ist es dann doch nicht geworden. Eher ein zielloses Herumtun. Ein Tun ohne Sinn und Zweck. Manchmal muss ich mich nach dem Schreiben eines Blogartikels, der in die Tiefe geht, wieder neu sammeln. Beim biografischen Schreiben tauche ich in alte Zeiten, in alte Geschichten ein. Das fordert seinen Tribut. Ich brauche Zeit, um wieder im Hier und Jetzt zu landen.
Liebe Romy,
ich freue mich immer sehr über dein Nacht-und-Tag-Buch… über deine bildhaften Schilderungen, die mir eigentümlich vertraut vorkommen..
Ich bewundere deine Konsequenz, die Gedanken und Gefühle auch in der Art festzuhalten bzw. loszulassen und zu teilen..
Und ich ‚beneide‘ euch (im positiven Sinn), die ihr in eurer Schreibgruppe so mit-und aneinander und an jeweils euch selbst wachst..
Ich erinnere mich daran, dass ich mich sehr angesprochen gefühlt hab damals, … und gleichzeitig auch ‚wusste‘ aus irgendeinem Grund schaffe ich das zeitlich und von meiner Energie zu dem Zeitpunkt her nicht..
Im Nachhinein weiß ich auch, dass ich es tatsächlich nicht (zu meiner Zufriedenheit.. bzw in der Präsenz und dem Ausmaß, wie es nötig und für mich ‚richtig‘ wäre) zuwege gebracht hätte..
Der Tod meines Vaters und alle damit verbundenen Gefühle, alle Erinnerungen, Sorgen, Ängste,.. Wut, Zorn, Trauer, Verzweiflung, Liebe, Sehnsüchte, Wünsche, Anstrengungen, Bemühungen, .. das Toben, Wüten, Aufbauen, Niederreißen… -alles gleichzeitig und wirr jedoch auch klar da..- kosten mich viel Kraft.
Jahrzehntelanges Rettenwollen.. ich fühle die Erschöpfung.. und finde mich in vielen Passagen, in der gleichen Weise, die Schätze der Natur zu sehen, von Wahrnehmungen erstaunt zu sein..und in vielen Worten-Gedanken-Gefühlen wieder..
Danke dafür!
Alles Liebe.
Liebe Sabine,
Danke für deine Worte! Ich freue mich, dass meine Nacht- und-Tag-Bücher in dir auf lebhaftes Interesse und Resonanz stoßen.
Ich wünsche dir alles Liebe und viel Kraft nach dem Verlust deines Vaters. Möge die Natur und deine Pflanzenliebe dir helfen, Frieden zu finden und wieder in deine Kraft zu kommen.
Herzlich Romy