Im Fluss sein

Neue Donau
Unterwegs zur Massage, Reichsbrücke mit Blick auf die neue Donau

Romys Nacht- und Tag-Buch 40

Wie immer hat der Blick aufs Wasser etwas Heilsames. Es hilft mir, aus dem Stockenden und Zögerlichen herauszukommen und mich wieder dem Fließenden zuzuwenden.

Sonntag, 5. November

Kürzlich habe ich unterwegs am Straßenrand bei einem Bauern einen Sack mit Sonnenblumenkernen gekauft. Sehr zur Freude meiner Gartenvögel. Es sind vor allem die Meisen, die seither mein Futterhaus eifrig frequentieren. Von der Küche aus beobachte ich sie beim Fressen. Einige von ihnen kommen bis auf die Terrasse und machen hier, direkt vor mir, ihre lustigen Kapriolen. Ob sie wohl spüren, dass ich sie beobachte? Ich liebe diese kleinen vorwitzigen Kerle. Auch zwei Kleiber sind seit neuestem meine Gäste. Sie sind gerne dort zu Hause, wo es abgestorbene Bäume gibt. Sie bestätigen mich in meinem Entschluss, den dörren Teil vom Zwetschgenbaum in Ruhe zu lassen.

Montag, 6. November

Ein gemütlicher Sonntag mit Lesen und Faulenzen. Gegend den Abend mache ich mich auf den Weg zu einem Spaziergang. In den Vorgärten abblühende Sommerblumen. Eine überirdisch blaue Trichter-Winde streckt mir ihre letzte Blüte entgegen. „Blauer Himmel“ heißt diese Sorte. Sie wirkt an diesem Herbstabend ein wenig verloren. Eine Fülle verschiedenster Christenthemenarten werden mit Hingabe gepflegt. Mit ihrem Charme und dem eigentümlichen Geruch haben sie sich vor langer Zeit von China aus aufgemacht, um uns hier den Herbst zu versüßen. Der abendliche Himmel lockt meinen Blick weg vom Boden. Die Kellergasse erstrahlt in einem rötlichen Licht. Ich bin fasziniert von den ziehenden Wolken und den schnell wechselnden Licht-Stimmungen.

Kellergasse im Abendrot
Obersdorfer Kellergasse im Abendlicht

Dienstag, 7. November

Es ist zum verrückt werden … manche Bewegungen mit dem operierten Knie schmerzen und es will und will einfach nicht besser werden. Trotz Training, Massage und vieler Bemühungen. Das Knie knackt und manchmal blockiert es, weil sich wahrscheinlich ein Narbengewebe eingeklemmt hat. Anschließend ist das Gelenk gereizt und die Beschwerden nehmen zu. Oft bin ich ratlos, wie ich weitermachen soll. Trainiere, bewege ich mich zu viel, zu wenig? Was kann ich tun, damit es endlich besser wird?

Mittwoch, 8. November

Eigentlich habe ich damit gerechnet, im November am zweiten Knie operiert zu werden. Nun verzögert es sich, weil es im Krankenhaus Kapazitätsprobleme gibt. Mir ist das recht, weil ich mich vorher darum kümmern möchte, mein bereits operiertes Knie ins möglichst unbehinderte und schmerzfreie Bewegen zu bringen. Gestern war zwischen dem Training und der Massage ein Zeitfenster. Also habe ich mir im Gasthaus ein Menü geordert. Anschließend (ausnahmsweise) einen Kaffee getrunken. Lesen, Sitzen und das rege Kommen und Gehen beobachten. Ich genieße es für mich alleine und trotzdem unter vielen Menschen zu sein. Die Stadt und ihr vielfältiges und quirliges Leben tun mir gut.

Wien, Czeninviertel
Mich dem fließenden Leben der Stadt anvertrauen

Donnerstag, 9. November

Schreiben über die Liebe, eine legendäre Porzellandose, rote Schuhe, meinen Großvater und über die Bedeutung meines Namens … Gestern habe ich meinen 100ten Blogartikel veröffentlicht. Das Schreiben bringt Erinnerungen ins Fließen.
Am Nachmittag eine Walking-Runde durch die Weinberge. Die Reben erstrahlen im intensiven, herbstlichen Licht und ich staune über die vielfältigen Farbnuancen der Wein-Blätter. Wind, Wetter und Insektenbesuche haben auf jedem einzelnen Blatt ihre Spuren hinterlassen.

Herbstfärbung Rebenblatt
Sichtbare Spuren eines intensiven Sommers

Freitag, 10. November

Unsere biografische Schreibgruppe ist nach einer längeren Sommerlethargie zu neuem Leben erwacht. Zum ersten Mal sind bei unserem wöchentlichen Zoomtreffen alle dabei. Neue Texte werden geschrieben. In unserer geschlossenen Facebookgruppe wird eifrig gelesen und kommentiert. Das biografische Schreiben lässt uns weit in unsere Kindheit zurückgehen und wirkt bis in unsere Gegenwart, bis in unser alltägliches Leben hinein. Wir unterstützen einander, am Schreiben dranzubleiben. Das Austauschen wirkt ermutigend und inspirierend.

Samstag, 11. November

Der elfte November lässt mich in Gedanken ein paar Jahrzehnte zurückschweifen. Als junge Frau arbeitete ich in einem Blumengeschäft in der Nähe vom Hirschenplatz im Zürcher Niederdorf. Dort startete jeweils pünktlich am 11. 11. um 11 Uhr 11 die Fastnacht mit einem Guggemusik-Konzert. Das war für mich schon damals ein komisches Gefühl von Unzeitig. Die Fastnacht gehört für mich in den Winter. In meinen Kindheitserinnerungen liegt Schnee, wenn in Schwyz die Nüssler tanzen. Wenn ich an sie denke, höre ich das Trommeln. Das ist ein Urklang der tief in mir etwas lebendig werden lässt. Er weckt die Sehnsucht nach einer Zeit, die es vielleicht nie gegeben hat.

6 Kommentare

  1. Hach liebe Romy, so schön, deine Berichte unmittelbar aus deinem Leben! Mein vor vielen Jahren operiertes Skiunfallknie liebt es, wenn ich Hagenbuttenpulver zu mir nehme. Vielleicht mag dein Körper das ja auch? Es soll kollagenbildend sein.. Wir hören und lesen uns demnächst! Lisa

    1. Danke Lisa, das Hagebuttenpulver dümpelt in meinem Regal so vor sich hin … Jetzt wird es zu neuen Ehren kommen.
      Ich freue mich darüber, dass du meine Berichte so regelmäßig liest und dass sie dein Wohlgefallen genießen.
      Alles Liebe dir
      Romy

  2. Ein wunderbarer Artikel, liebe Romy! Und fantastische Bilder!
    „Ich genieße es für mich alleine und trotzdem unter vielen Menschen zu sein.“
    Genau das macht für mich auch die Stadt aus – durch die Gassen und Straßen zu streifen oder irgendwo Rast zu machen und den Trubel beobachten.
    Ich freue mich schon auf deine weiteren Artikel – auch deine biografischen Texte.
    LG – Uli

    1. Liebe Uli, für mich war das eine neue Erkenntnis … wie gut mir manchmal dieser Trubel tut und dass nicht nur die Natur, sondern auch das Stadterleben mich wieder in meinen Fluss bringen kann.
      Liebe Grüße
      Romy

  3. Danke liebe Romy!
    Deine kurzen Berichte wirken so leicht und sind für mich inspirierend.
    Auch ich mag es, mich mit dem Fluss zu verbinden. Am liebsten am Fahrrad am Fluss entlang fahrend! …und irgendwie komme ich dann dadurch auch wieder ins Fluss.

    So wunderbar, wie Du mit Worten spielst – so poetisch!
    Meine Liebklingszeile ist: „Eine überirdisch blaue Trichter-Winde streckt mir ihre letzte Blüte entgegen. „Blauer Himmel“ heißt diese Sorte. Sie wirkt an diesem Herbstabend ein wenig verloren.“
    Mein Lieblingswort: die lustigen Kapriolen der Kleiber.

    Liebe Grüße
    (…und alles Gute fürs Knie!)

    1. Danke Gina für deine guten Wünsche.
      Ich freue mich sehr, dass meine Texte für dich inspirierend sind. Es war so fein, wie du an den Tagen der offenen Ateliers so plötzlich aufgetaucht bist und wir einander endlich „leibhaftig“ kennenlernen durften.

      Ganz liebe Grüße
      Romy

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