Die Geschichte vom brennenden Weihnachtsbaum

Weihnachtsbaum

Verdienst oder Versehen?

In dieser Geschichte geht es darum, warum mein Bruder Feuerwehrmann geworden ist. Dass es so gekommen ist, habe ich heimlich immer als meinen Verdienst gesehen. Ob er das wohl auch so sieht? Ich weiß es nicht. Es kann gut sein, dass es andere Gründe gibt, die ihn dazu bewogen haben, diesen Weg zu gehen. Auch trifft es die Wahrheit nicht so ganz, wenn ich von meiner Seite von Verdienst spreche. Vor allem dann nicht, wenn man die genaue Geschichte kennt. Denn eigentlich war der Auslöser eine Unachtsamkeit, ein Versehen …

Der Weihnachtsbaum

Traditionell wird bei uns der Weihnachtsbaum bis zum Dreikönigstag am sechsten Januar stehen gelassen. Ein paar Tage vorher sitzt die ganze Familie gemeinsam beim Abendessen. Ich bin neun Jahre alt, mein Bruder ist vier. „Können wir heute nochmals die Kerzen am Weihnachtsbaum anzünden“, bettle ich. Ich bekomme eine Schachtel Zündhölzer und gehe vorfreudig in die Stube. Es macht mich stolz, dass ich das letzte Zusammenkommen der Familie am Weihnachtsbaum vorbereiten darf. Ich zünde die erste Kerze an, dann die Zweite, die Dritte … plötzlich steigt eine steile Flamme vor mir auf. Das Schreien ist vor dem Denken da … ich schreie so laut ich kann. Augenblicklich stürzt mein Vater in die Stube. Zum Glück schafft er es, das Feuer schnell zu löschen. Das war ein ziemlicher Schreck für uns alle.

Mein Bruder mit vier Jahren
Mein Bruder mit vier Jahren

Das Trauma und seine Auflösung

Am meisten erschreckt hat sich mein kleiner Bruder. Das realisieren wir allerdings erst am nächsten Tag. Als wir am Abend wieder bei Tisch sitzen und das Abendessen zu uns nehmen, jammert er plötzlich. Er hebt seine Füße hoch vom Boden. „Meine Füße, heiß, heiß … es brennt.“ Das geht noch ein paar Tage so weiter. Der Schreck hat sich bei ihm förmlich eingebrannt.
Zum Glück hat er von seiner Patin zur Weihnacht ein Spielzeug-Feuerwehrauto geschenkt bekommen. Er spielt mit Hingabe. Feuer und Feuer löschen sind allgegenwärtig. Ich denke, dass in dieser Zeit der Keim gelegt wurde, zum Wunsch, später Feuerwehrmann zu werden.

Mein Bruder als Feuerwehrmann
Mein Bruder als Feuerwehrmann

Ein berufener und engagierter Feuerwehrmann

Mich hat es immer beeindruckt, wenn mein Bruder bei der Feuerwehr Pikett-Dienst hatte. Diese ständige Bereitschaft loszufahren und Hilfe zu leisten, wo immer sie auch gebraucht wird. Mein Bruder hat eine Lehre als Autospengler gemacht. Später hat er sich darauf spezialisiert, Feuerwehrautos auszurüsten. Er ist Feuerwehr-Instruktor geworden und Feuerwehrkommandant vom gesamten Talkessel Schwyz. Jetzt ist er im Führungsstab und leitet Kurse bei der Air Zermatt. Dort bereitet er als Instruktor Feuerwehrleute aus der ganzen Schweiz auf den Umgang mit dem Helikopter vor.

Mein Bruder im Hubschrauber
Mein Bruder bei der Air Zermatt

Wenn das Herz sich weitet

Wenn das Herz sich weitet, entsteht aus Angst und Schrecken Mitgefühl. Viel Wasser ist unterdessen den Bach hinuntergeflossen, seit jenem Abend zwischen Neujahr und dem Dreikönigstag. Aber die Erinnerung an den brennenden Weihnachtsbaum ist noch sehr lebendig in mir. Unterdessen ist aus meinem kleinen Bruder ein gestandener Mann geworden. Er hat sein Herz am rechten Fleck. Rettungseinsätze und sinnvolles Helfen sind zentrale Inhalte in seinem Leben. Mit Engagement und Leidenschaft geht er seinen Weg.


Hat dir diese Geschichte gefallen?
Weitere BIOGRAFISCHE BLOGARTIKEL findest du auf dieser Seite:
https://romy-pfyl.com/biografisches-schreiben/


12 Kommentare

  1. Liebe Romy, einfach unglaublich, was du schon alles bewirkt hast! Mit der Geschichte vom brennenden Weihnachtsbaum hast du dich einmal mehr selbst übertroffen. Tolle Fotos von deinem Bruder – als Vierjähriger und als erwachsener Mann. Auf gut österreichisch würde ich sagen: Des is so a fescher Kampel (Kampü)!

  2. Beeindruckende Geschichte, liebe Romy! Hat dein Bruder sie gelesen? Wie hat sie ihm gefallen? Wie großartig, dass dieses traumatische Erlebnis ihn zu seinem heldenhaften Beruf gebracht hat. Wunderschön geschrieben und bebildert!

  3. Hallo Schwesterherz
    Danke für die schönen Worte und die Geschichte. Sehr gut geschrieben. Immer wieder interessant, deine Geschichten. Umso schöner, wenn ich darin vorkomme.
    Gruß dein Bruder

    1. Lieber Kari,

      es hat mir große Freude gemacht, diese Geschichte aus unserer Kindheit hervorzuzaubern. Und nochmals Danke für die schönen Fotos.
      Herzliche Grüße von deiner Schwester Romy

      Und ja, es war schon höchste Zeit, dass du endlich einmal in einer meiner Geschichten vorkommst.

  4. Liebe Romy, lieber Bruder, das ist eine dieser Geschichten, bei denen mir das Herz aufgeht. Ich rieche den brennenden Baum. Ich kann mich ins traumatisierte Kind einfühlen, das später den Weg zur Feuerwehr einschlägt. Und in die Schwester, die den Brand auslöst. Ich muss schmunzelnd an den kleinen Drachen Grisu denken, der so gern Feuerwehrhauptmann werden will und dann in seiner Begeisterung alles abfackelt. Sehr herzliche Grüße! Lisa

  5. Liebe Romy,

    mir gefällt besonders der Satz: Wenn das Herz sich weitet, ensteht aus Angst und Schrecken Mitgefühl. Ich glaube, das brauchen wir heutzutage mehr denn je, denn es brennt in der Welt mehr als nur ein Baum. Auch wenn ein brennender Weihnachtsbaum durchaus ein Alptraum und gar nicht leicht zu löschen ist.

    Liebe Grüße in die Schwyz!
    Steffi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert