Momente von überraschender Schönheit

Geerntete Granatäpfel

Romys Nacht- und Tag-Buch 39

Die Schönheit ist überall zu finden. Manchmal überrascht sie mich ganz unerwartet. Sie wohnt im Moment. Wenn ich genau hinschaue, kann ich sie entdecken.

Sonntag, 29. Oktober

Gestern habe ich mich mit der Uli im Gasthaus Hansy getroffen. Gemeinsam feiern wir den Wochenausklang mit Plaudern und Schmausen. Uli probiert auf meine Empfehlung hin das Gulasch. Wie immer, wenn wir zusammen sind, blitzen die Gespräche und es geht rege hin und her. Übers Schreiben, Bloggen, gutes Essen und über die wahren Abenteuer, die in Wien meistens gleich ums nächste Eck warten. Wir schmieden neue Pläne. Ein mir altbekanntes, versteckt gelegenes Wirtshaus im Zweiten Wiener Gemeindebezirk wird der Ort unseres nächsten Treffens sein. Dort gibt es das wienbeste, österreichbeste, ja wer weiß, vielleicht sogar weltbeste Gulasch.

Montag, 30. Oktober

Mein Huhn Mareike begrüßt mit ihrem falkenartigen Krächzen den Morgen. Manchmal ist sie sich wohl nicht so ganz sicher, ob sie ein Hahn oder eine Henne ist. Ein Ei hat sie noch nie gelegt.
Durch mein Schlafzimmerfenster leuchtet der volle Mond aufs Bett. Gestern bin ich übers Land geradelt. Bei einer Spazierrunde unterhalb des Wartbergs habe ich einen Granatapfelbaum entdeckt. Seine Blätter sind leuchtend gelb und ich zähle drei rot glänzende und wunderschöne Granatäpfel. Zum Ausrasten setze ich mich auf einen Stein am Wegrand. Mein Blick geht über die diesige Landschaft. Am Himmel eine müde Sonne und ein rötliches Schimmern am Horizont.

Herbstsonne
Eine müde Sonne am Himmel

Dienstag, 31. Oktober

Manchmal ist lesen so etwas wie eine essenzielle Nahrung für mich. Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann führt mich mit seiner Essay-Sammlung, Abendspaziergang mit dem Kater zurück in urheimatliche Gefilde. So begrüße ich die Mythen, meine alten Hausberge, besuche das Kloster Einsiedeln und verbringe zusammen mit dem Jubilar Gottfried Keller einen Abend auf der Terrasse vom Hotel Sonnenberg in Seelisberg. Für mich ist das ein nostalgischer Spaziergang durch meine Kinder- und Jugendwelt. Thomas Hürlimanns Art zu schreiben, packt und berührt mich. Er ist neun Jahre älter als ich. Trotzdem sind wir fast von derselben Generation. Das ebnet mir den Zugang und das Verständnis.

Mittwoch,1. November

Schreiben über das Wissen der Nacht. Ein neuer biografischer Blogartikel entsteht. Mit dem Schreiben und Nachdenken wachse ich in das Thema hinein. Was mich die Nächte lehren. In die Tiefe der Erinnerung zu tauchen, bringt immer wieder Überraschendes zum Vorschein. Ich vertraue meiner Intuition und lasse mich von ihr leiten. Sie führt mich in altbekannte, aber auch in ganz neue Gebiete. Im Schreiben eröffnen sich mir bisher ungesehene Zusammenhänge. Das macht es so wertvoll für mich.

Hauptstraße bei Vollmond
Nächtens unterwegs auf der Hauptstraße in Obersdorf

Donnerstag, 2. November

Ein strahlender Sonnentag zu Allerheiligen. Die Farben in der Landschaft feiern den Martini-Sommer mit einer eigentümlichen Intensität. Durch die schräge Sonne werden die Schatten in die Länge gezogen. Am Nachmittag sitze ich im Zug von Wien nach Hause. Die Gegend zwischen Wien und Wolkersdorf ist flach und mit ihren Industriegebieten wenig ansprechend. Hier ist viel Langweiliges, aber auch ausgesprochen Hässliches zu Hause. Trotzdem liebe ich es, mit dem Zug hier unterwegs zu sein und der Landschaft beim Vorbeiflitzen zuzuschauen. Immer wieder erlebe ich dabei Momente von überraschender Schönheit.

Im Zug Blick aus dem Fenster
Momente von überraschender Schönheit

Freitag, 3. November

Die Wassertropfen am Fenster glänzen silbern im Licht der Straßenlaterne. Ich erinnere mich an Geträumtes … Irgendwo auf einem Bauernhof gibt es einen Wasserschlauch, den ich unbedingt brauchen würde. Unglücklicherweise wohnt dort ein böser Hund. Darum getraue ich mich nicht hinzugehen. Ich diskutiere mit mehreren Menschen. Wir suchen gemeinsam nach Lösungen. Der Traum verschwindet im Nebel der Nacht und so weiß ich nicht, wie es weiter gegangen ist.
Gestern habe ich vom Granatapfel die unteren Äste weggeschnitten. Jetzt kann er sich zu einem Bäumchen entwickeln und seine Äste über dem Blumengarten ausbreiten.

Granatapfel
Granatapfelernte

Samstag, 4. November

Die frisch geernteten Granatäpfel lege ich auf das Thymian-Polster und die gleich daneben sprießenden Jungpflanzen. Sonne, Wind, Regen und die fleißigen Helferinnen aus der Insektenwelt haben dazu beigetragen, diese wundervollen Früchte wachsen zu lassen. Hier liegt die gesammelte Kraft des letzten Sommers. Der Garten vereinigt mich mit dem Lauf der Zeit. Die Früchte lassen mich dankbar an den vergangenen Sommer denken und die sprießenden Jungpflanzen verbinden mich mit einer verheißungsvollen Zukunft.
Mit meinem inneren Auge sehe ich sie vor mir … die Nachtkerzen mit den fein duftenden gelben Trichter-Blumen, die Jungfer im Grünen geschmückt mit blauen Sternenblüten und die Primel mit ihrem samtigen Rot. Sie wird die erste sein und im noch fast nackten Garten den Frühling begrüßen. Dann wird der Vorgarten von einem Meer von blauen Jungfern überzogen. Und im Sommer dann, wenn die Tage wieder heiß werden, öffnen sich die Blüten der Nachtkerzen in der Dämmerung. Sie öffnen sich so schnell, dass ich ihnen dabei zuschauen kann.

4 Kommentare

  1. Liebe Romy,
    so eine reiche Ernte an Granatäpfeln hast du? Herzlichen Glückwunsch! Wie schön sie leuchten. Ich mag ihre majestätischen Krönchen 👑.
    Wenn ich die Augen schließe, kann ich Mareike bis hier hin hören. Einen lieben Gruß an die lieben Hühner! 🐓
    Habe den Hürlimann-Link geöffnet und gelesen. Ich glaube, das ist ein schönes Weihnachtsgeschenk für einen lieben Freund. Will aber auch selber mal reinlesen.
    Weißt du, was mich beim Lesen deines Tag- und Nacht-Buchs besonders freut? Dass du Auslassungszeichen jetzt immer eingebettet in Leerzeichen platzierst. Das empfinde ich ähnlich ästhetisch wie Granatäpfel im Thymianbett. 😉
    Hab ein schönes Wochenende! Meines beginnt immer Samstagmorgen mit einem Kaffee im Bett und der Lektüre deines Tag- und Nachtbuchs. 😊
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Wie schön, liebe Kerstin, dass meine Zeichensetzung jetzt sogar deine Lektorinnen Ästhetik in die Freude bringt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir dabei wahrscheinlich das Rechtschreibprogramm unter die Arme gegriffen hat. Wenn ich Auslassungszeichen und Leerzeichen höre, kommt mein Hirn bis zum heutigen Tag immer noch in eine schulisch ausgelöste Stressreaktion.
      Ja, die Hürlimann Lektüre kann ich dir auch als Nichtschweizerin sehr empfehlen. Seine Art zu Schreiben berührt mich sehr.
      Es ist ein schönes Gefühl und es freut mich, dass dein Wochenende in Berlin immer mit dem Lesen meines Nacht- und Tag-Buches beginnt.

      Ganz liebe Grüße
      Romy

  2. Ich freue mich schon sehr auf das weltbeste Gulasch. In Gedanken nenne ich uns „die Wirtshausliteratinnen“.
    Ich liebe deine Hühner-Geschichten – mein Wunsch: mehr! 🙂
    LG – Uli

    1. Wirtshaus-Literatinnen oh lala!
      Gerne erinnere ich mich an unser erstes literarisches Gespräch im Freiluft-Beisel am Gänsehäufel.
      Ja und ich freue mich auch schon auf unser nächstes Treffen.
      Ein schönes Wochenende wünsche ich dir.

      Liebe Grüße
      Romy

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