Romys Nacht- und Tag-Buch 17
Manchmal tut sich unverhofft eine neue Tür auf. Die Knieoperation im Januar hat mich in Bewegung gebracht. Wenn ich auf diese Woche zurückschaue, dann staune ich, wie viel Platz das Trainieren in meinem Alltag einnimmt. Es fühlt sich an wie das Erforschen eines altbekannten und dann doch wieder überraschend neuen Gebietes.
Sonntag, 28. Mai
In meinem Häuschen hat vor vielen Jahren eine passionierte Gärtnerin gewohnt. Sie ist schon längst gestorben. Gestern beim Rasenmähen habe ich an sie gedacht. An manchen Stellen lasse ich eine Wiese wachsen. Am Rand bei der Ziegelmauer entfaltet sich jetzt eine größere Kolonie von Glockenblumen. Ich denke, dass ich diese der Vorbesitzerin verdanke. Genauso wie die Blausterne und die Traubenhyazinthen, welche die Wiese im Frühling in ein bezauberndes Blau tauchen. Erst zeigen sich kleine, zart verstreute Sternchen und nach und nach wachse blaue, großen Flächen. Ganz hinten, zum Bach hinunter erblühen auf großen Büschen die ersten prachtvollen, pinkfarbenen Rosen. Auch sie sind ihr Vermächtnis.
In meinem Leben habe ich an vielen Plätzen gegärtnert und unzähligen Pflanzen einen neuen Ort gegeben. Ich stelle mir vor, wie sie dort weiter wachsen und Freude verbreiten.
Montag, 29. Mai
So menschenleer hatte ich die Halle mit den Geräten noch nie erlebt. Am Pfingstsonntag-Nachmittag trainieren wohl nur die Freaks. Ich habe einen Termin für ein begleitetes Krafttraining und finde es angenehm, dass ringsumher so wenig los ist. Zum Krafttraining bin ich ursprünglich durch eine Osteoporose Diagnose bekommen. Das Bild meiner Mutter als jahrelange Schmerzpatientin, mit einbrechenden Rückenwirbeln und ganz zum Schluss im Rollstuhl sitzend, hat mir Beine gemacht. Es hat mich dazu motiviert, mit aller Kraft am Aufbau meiner Muskeln zu arbeiten. Überraschenderweise gehe ich gerne zum Training. Ich profitiere davon auf vielen Ebenen. Weil ich regelmäßig zweimal die Woche trainiere, hat mir jetzt der Trainer zwei Pläne zum Abwechseln erstellt. Er erklärt mir neue Geräte zum Arm, Brust und Schulterstärken. Davon werde ich sicher auch beim Kraulen profitieren. Wer hätte gedacht, dass ich im Alter noch zum richtigen Sportfreak werde?
Dienstag, 30. Mai
Spontan lade ich meine Nachbarin zum Mittagessen ein. Die wuchernden Kräuter und die bunten Salate animieren mich zu kulinarischen Kreationen. Ich finde es wunderbar, dieses Pfingstwochenende zu Hause mit Schmausen, kurzen Radausflügen und Garten genießen zu verbringen. Am Abend gibt es in ihrem Garten ein Gläschen Frizzante. Wir legen unsere Küchen- und Gartenschätze auf den Tisch. Ein spontanes Festessen nimmt seinen Lauf. Staunen über die verschiedenen Geschmacksrichtungen und die bunte Vielfalt.
Unterwegs mit dem Radel kaufe ich mir an einem Stand am Straßenrand Pfingstrosen in fünf verschiedenen Farbnuancen. In einer Lösswand nisten auch heuer wieder unglaublich viele Bienenfresser. Sie zählen zu Europas buntesten Vögeln. Jedes Jahr fliegen sie Anfangs Mai aus Afrika zum Brüten hierher. Schon von weitem hören wir ihren schönen Gesang. Im schrägen Sonnenlicht leuchten ihre Flügel golden und wir sind gebannt von der Schönheit dieses Augenblicks.
Mittwoch, 31. Mai
Es hat geklappt. Gestern um 17 Uhr haben wir einander zum ersten Mal auf Zoom getroffen. Wir haben uns vorgestellt, über unsere Wünsche und Ziele geredet und gemeinsam überlegt, wie wir unser großes Projekt angehen möchten. Wir möchten das Buch „Sein und Werden“ von Liane Dirks lesen und den Schreibimpulsen folgen. Es ist eine spezielle Art von Biografie-Arbeit, die wir damit angehen werden. Es geht darum, eine neue Perspektive auf die eigene Geschichte zu entwickeln und das ich aus dem Wir heraus zu begreifen. Wir machen uns gemeinsam auf diese Reise ins Ungewisse. Wir, das sind fünf Frauen von Norddeutschland bis Kärnten, Künstlerinnen aus verschiedensten Sparten. Ich bin so froh, dass ich den Mut gehabt habe, dieses Projekt zu initiieren.
Donnerstag, 1. Juni
Schreiben, auch unterwegs. Der erste Schreibimpuls vom Sein & Werden Buch bringt mich ins Forschen und Nachdenken. Mich beschäftigt das Thema den ganzen Tag. Wann beginnt das Menschsein? Was macht es aus? Was unterscheidet uns von den anderen Tieren? Auch im Zug nach Wien, beim Warten auf meine Feldenkrais Stunde, lese, schreibe, forsche ich. Ich entscheide mich dafür, einen Blogartikel zum Thema zu machen. „Der Kostbarkeit des Mensch-Seins auf der Spur.“ Die für mich schon gewohnte Struktur eines Blogartikels mit Zwischenüberschriften und Bildern hilft mir dabei, das Thema zu sortieren und fokussiert zu bleiben.
Freitag, 2. Juni
Austausch auf Zoom mit meiner Kraul-Trainerin. Sie erklärt mir die neuen Übungen. Ich schätze es sehr, auf meinem Weg zum Kraulen eine so nette und persönliche Begleiterin zu haben. Einarmiges Kraulen ist jetzt angesagt. Immerhin! Bis jetzt waren es hauptsächlich Gleit, -Dehn- und Atemübungen. Der Nichtschwimmerbereich ist mein Übungsrevier. Gleiten in Seiten, -Rücken- und Bauchlage. Kraulen im Stehen, Kopfdrehen und Atmen. Manchmal schlucke ich Wasser und komme ins Husten. Wenn ich daran denke, wie das, was ich hier tue, wohl von außen aussieht, komme ich ins Schmunzeln. Aber ich habe gar keine Zeit, um darauf zu achten, ob das wohl jemand komisch findet. Ich bin voll darauf konzentriert, das Element Wasser auf diese neue Art zu erkunden. Schon als Kind hat es mir Freude gemacht, das Wasser und die Möglichkeiten, wie unser Körper sich darin bewegen kann, auszuprobieren. Das kommt mir jetzt zugute.
Samstag, 3. Juni
Seit Mitte Januar unterstützt mich ein neues Kniegelenk dabei wieder ins Gehen ohne Hinken und Schmerzen zu kommen. Ich war überrascht, wie gut alles lief. Zwei Wochen nach der Operation habe ich bereits angefangen, ohne Krücken zu gehen und nach drei Wochen startete ich die ersten Fahrversuche mit dem Rad. Von da an ging es stets bergauf bis … ja bis mir hartnäckige und ausdauernde Gelenkschmerzen dazwischen kamen. Sie waren auch in meinem neuen Knie und so wurden meine Bewegungen zaghafter und ich traute mir weniger zu. Seit gestern probiere ich, beim Gehen in die Weite und nicht mehr auf den Boden vor mir zu schauen. Und plötzlich ist wieder Beschwingtheit und Freude da. Auch beim Treppengehen löse ich ab und zu die Augen von der Treppe direkt vor mir. Und siehe da, es geht leichter, mit mehr Kraft und auch der Schmerz verfliegt.
Ich freue mich so über deine Fortschritte beim Kraulen und dass der Online- Schwimmkurs tatsächlich funktioniert. Super, dass du so enthusiastisch trainierst.
Und du warst wieder bei den Bienenfressern. Dein Bericht hat mich schon im letzten Jahr fasziniert. Die möchte ich auch gerne mal sehen.
Danke für die Einblicke in deine Woche.
Bis zum August sind die Bienenfresser noch hier. Dann fliegen sie zurück nach Afrika. Also hast du im Juli die Möglichkeit diese faszinierenden Vögel live zu erleben 🙂