Sich durch das Leben staunen

Cyanotypie mit Allium
„Wiesenblick“ Cyanotypie auf Baumwolle © Romy Pfyl 21

Romys Nacht- und Tag-Buch 14

Staunen ist die Basis meines Tuns. Daraus entwickeln sich Ideen, die manchmal plötzlich da sind und bei anderen Gelegenheiten Zeit brauchen, um zu wachsen. Daraus realisieren sich meine Bilder, Cyanotypien oder Objekte. Für mich ist es besonders schön, wenn die entstandenen Arbeiten sich auf den Weg machen, neue Räume erobern und neues Staunen hervorrufen.

Sonntag, 7. Mai

Vor genau einem Jahr hatte ich im Schloss Wolkersdorf im Rahmen der Gartengenusstage eine Ausstellung. Diese wurde rege besucht und ich habe auch ein paar Cyanotypien verkauft. Auch die größte Cyanotypie, die ich bisher gemacht habe, fand ihren Weg an die Wand in einer Craniosakral-Praxis. Sie hängt dort, wie für diesen Platz gemacht.
Wenn man auf die Cyanotypie schaut, hat man das Gefühl in einer Wiese zu liegen und in den Himmel zu schauen. Solche Bilder gelingen mir oft aus dem Impuls eines Augenblicks heraus. Andere Werke entwickeln sich über Wochen in meinem Inneren, werden sozusagen ausgebrütet, bis ich mich ans Realisieren und Umsetzen mache.

Montag, 8. Mai

Vor der Terrasse wächst ein kleines Feld mit Taglilien. Auf ihren lanzettlichen Blättern perlen bei Regenwetter die Wassertropfen. Die Blütenknospen gebe ich gerne zum Wok-Gemüse und einmal habe ich mit ihren Blüten einen hellroten wohlschmeckenden Sirup eingekocht. Im Herbst sind die hohen Blütenstängel trocken geworden und ich ziehe sie heraus. Ich bin angetan von ihrer Leichtigkeit, der fein getüpfelten Oberfläche und den schwungvollen Bewegungen. Anstatt auf dem Kompost landen sie bei mir an der Wand als Triptychon. Hier wirken sie auch durch ihre Zwischenräume und erstaunen die Betrachter durch ihre sonst so leicht übersehene Schönheit. Gestern hat sich der Triptychon auf den Weg in die Steiermark gemacht. Jetzt lädt mich die leere Wand dazu ein, etwas Neues zu kreieren.

Taglilien Tryptichon
Triptychon mit Taglilienstängeln, © Romy Pfyl 2019

Dienstag, 9. Mai

In meinem Garten wachsen Löwenwunder. Der Löwenzahn ist ein Meister der Assimilation. Hoch auf den Bergen habe ich schon klitzekleine Löwenzähnchen gesehen. Hier, an einem schattigen und durch Pflanzenreste gut gedüngtem Platz kreiert er riesenhafte Schattenblätter. Einer der Löwenzahn-Stängel dreht ein paar Extrarunden. Er liebt das Ringelspiel. Was hat ihn wohl dazu bewogen, in Spiralen zu wachsen?
Gestern war ein Gartengenusstag. Meine Salate sind zu Schönheiten herangewachsen. Das ist so schnell gegangen. Man kann ihnen förmlich beim Wachsen zusehen. Der erste ist schon erntereif.

Gestern war ein Gartengenusstag. In meinem Garten wachsen Löwenwunder.

Mittwoch,10. Mai

Als Kind war ich eine richtige Wasserratte. Schwimmen gelernt habe ich im Lauerzersee. Zu Fuß sind wir den langen Weg von der Obermatt nach Seewen in die „Badi“ gegangen. Der Nichtschwimmer-Bereich war durch mit Ketten verbundenen dünnen Baumstämmen gesichert. Dort tummelten wir Kinder uns oft so lange, bis unsere Lippen von der Kälte blau waren und die Mutter uns energisch an Land holte. Wir übten Purzelbäume unter Wasser, vorwärts und rückwärts, bis wir nicht mehr wussten, wo unten und wo oben war. Immer wieder fiel uns etwas Neues zum Ausprobieren ein. „Kannst du den toten Mann“, riefen wir einander zu und dann wetteiferten wir, wer von und am längsten flach auf dem Rücken und bewegungslos auf dem Wasser liegen kann.
Daran habe ich mich gestern Nachmittag wieder erinnert, als ich im Hallenbad als Vorübung für das Kraulen, das Gleiten mit möglichst wenig Wasserwiderstand übte. In diesem Augenblick rutschte ich in der Zeit zurück und war plötzlich wieder Kind.

Donnerstag, 11. Mai

Der erste Gang am Morgen geht immer an ein gewisses Örtchen. Hier erlebe ich die Jahreszeiten, die Nacht und den Tag, die Sorgen und die Freuden. Sobald das Wetter einigermaßen warm ist, steht das kleine Fenster offen. Als ich zum allerersten Mal dort saß, im neu gemieteten Häuschen, beobachtete ich eine Amsel auf dem nahen Fliederstrauch. Da wurde mir schlagartig klar, dass ich glücklich sein würde in diesem Haus. Heute ist der frühe Himmel grau getigert und der rötliche Horizont macht mir den Tag schmackhaft. Das üppige Mai-Grün wärmt mein Herz. Aus der Nacht komme ich oft ein wenig desorientiert hierher und es ist genau dieser Ausblick, der mich wieder in die Welt zurückzieht.

Fenster mit Sicht in den Garten
Der frühe Himmel, grau getigert, mit rötlichem Horizont

Freitag, 12. Mai

Heute vor 42 Jahren ist mein Sohn auf die Welt gekommen. Ein Nachtkind, das morgens um drei Uhr mit seiner Ankunft eine unbändige Freude auslöste. Beim Treppenaufstieg zu unserer damaligen Wohnung wuchs ein Flieder. Während der Schwangerschaft und dann als das Treppensteigen zunehmend anstrengend wurde, dachte ich jedes Mal beim Vorbeigehen: „Wenn der Flieder blüht, wird das Kind auf der Welt sein“. Ein Mai-Kind und jetzt ein Mann in seinen mittleren Jahren. Ein Wunder, wie die Zeit vergeht und manchmal denke ich sie vergeht gar nicht. Sie steht still und wir gehen an ihr vorbei und staunen uns durch das Leben.

Samstag, 13. Mai

Irgendetwas ist passiert. Sissi ist verschwunden und auch die kleine Smilla zeigt sich nicht mehr. Nur den Nemo sehe ich manchmal aus der Tiefe leuchten Er lässt sich aber nicht an die Oberfläche des Wassers locken, nicht mit rufen und auch nicht mit Futter. Vorgestern, nach einer stürmischen Nacht, lagen die großen hölzernen Wurzelstücke, die ich am Teichrand positioniert hatte, plötzlich im Wasser. Auch ein größerer Stein ist hineingefallen. Das hat meine Goldfische vielleicht so sehr erschreckt, dass sie sich in der Tiefe verstecken. Ich frage mich, ob und Sissi und Smilla überhaupt noch da sind. Was ist passiert? Sind sie im Magen eines anderen Tieres gelandet? Wer hat die Hölzer und den Stein ins Wasser befördert? Der Sturm, ein Marder, die Katze oder ein großer Vogel, vielleicht eine Eule? N’importe qui … irgendjemand, dieses Wort ging mir heute beim Aufwachen durch den Kopf. Vielleicht habe ich von den Goldfischen geträumt.

4 Kommentare

  1. Der gekringelte Löwenzahnstängel ist wirklich sehr ungewöhnlich. Wie kreativ die Natur doch ist. Sind Sissy und Smilla inzwischen wieder aufgetaucht? Ich hoffe sehr, dass sie nur verschreckt waren. Deine schönen Taglilien habe ich mir im Sommer auch schmecken lassen. Wirklich lecker.
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Der Nemo ist heute zum ersten Mal wieder an die Oberfläche gekommen. Das Rascheln mit der Futterdose hat ihn neugierig gemacht. Gefressen hat er aber nicht. Von Sissi und Smilla keine Spur … Aber Goldfische können sich geschickt auch über längere Zeit verstecken. Ich hoffe noch!

  2. Liebe Romy,
    ich bin wieder mal so schön in deine Schilderung hineingeglitten.. besser gesagt ‚abgetaucht‘ -dieses Wort war eigentlich zuerst da..
    Dann hat mir wohl mein bewertender Verstand* einen kleinen Strich durch meine Bauchsprache* gemacht..
    Es kam mir plötzlich so aufgelegt vor.. weil ja deine Fischleins auch irgendwie grad abgetaucht sind.🤔
    (Ich lasse das jetzt trotzdem so stehen und sinniere über die Zusammenhänge nach, zumal ich da seit einiger Zeit eh mit einer ziemlichen ‚Baustelle‘ zu tun hab..
    Bauch-Darm/Bauchgefühl/Verstand/Vertrauen/Kontrolle/Loslassen/..*, und gönne mir, da nochmal hinzuspüren.

    Das Gedankengehen bringt mich von einer Wortbedeutung zur nächsten, und ich nehme Zusammenhänge oder ‚Zeichen‘ wahr..

    Beim Lesen deiner Texte entschleunige ich.. geh Gedankenspazieren in inneren Bildern und finde immer Parallelen von Erlebtem, Wahrgenommenem, Empfundenem.
    Ich schwimme übrigens auch für mein Leben gern:-).
    Deine Erzählung von deinen Kindertagen und dem Zurückrutschen in diese Zeit während deiner Gleitübungen habe ich ganz stark nachempfunden.

    Als ich mir vor Jahren (leider ist das nun schon wieder sehr lang her..) auf längeren Reisen einige Tauchgänge gönnte, habe ich das Gefühl so sehr genossen.
    Dieses schwerelose Schweben und Gleiten durch eine wundersame, farben-und formenprächtige Welt, in der alles sanft hin-und herwogt, alle Unterwasserpflanzen und -tierchen.. und ich mittendrin in bunten ‚Fischschwarm-Vorhängen‘.
    Dieses Sich-diesem noch nicht so bekannten Raum-Überlassen, sich widerstandslos hinzugeben… Was für ein unbeschreibliches Gefühl.
    Und diese stille Welt (im Vergleich zur oberen, tagtäglichen), mir mein eigenes Atmen viel deutlicher machend, so hörbar.. und irgendwie beruhigend.. und diese wunderbare Erfahrung des sanften Auf-und Abgleitens, das meine eigene Atmung mit meinem schwebenden Körper da veranstaltete.. und dann bewusst so zu atmen, dass ich auf-und abwärtssteuern konnte.. einfach fantastisch 🤩!
    Den 🐠🐡🐟 gleich🥰!
    Somit schließt sich der Kreis zu Nemo und Co😉..

    Ach.. ich könnte jetzt noch lange weitertauchen.. von hier nach dort.. und einer Welt zur nächsten..
    Und da taucht schon die nächste Vision auf..
    Als Kind oder Jugendliche hatte ich meine Träume und Ideen von Berufen, die ich gerne ergreifen würde..
    Meeresbiologin.. und dann gleichzeitig als Unterwasserfotografin diese unbeschreibliche Welt in Bildern festhalten zu können ..(obwohl ich ja zu der Zeit bis dahin ‚nur‘ ein bissl Schnorcheln gewesen war..).
    Botanikerin.. oder Floristin.. Schon als kleines Mädchen bin ich gerne stundenlang durch die Felder und Hügel meiner weinviertlerischen Heimat gestreift, immer mit einem Strauß voll Wiesenblumen, die ich fein-säuberlich arrangierte😉..
    Meine Omi hat mich immer ‚Sabine, das Blümerl‘ genannt😌.. Die gemeinsame Liebe zu den Pflanzen hat uns -unausgesprochen- immer sehr verbunden💞.. und verbindet mich immer noch.. auch über ihren Tod hinaus.

    Ich nehme wahr, dass die Unterwasserwelt, das Abtauchen in die Stille und das Schweben und Treibenlassen, das Staunen (ha!! – du hast auch darüber gesprochen, fällt mir grad ein!😃).. über all die Farben und Formen dieser unserer Natur..die Achtsamkeit und Behutsamkeit, die es braucht..
    All das sind auch irgendwie bildwerdende Aspekte der Cyanotypie.. dieser blauen Welt, die sich auftut.
    Ich spüre, all das spricht mich daran so an.😌
    Und gleichzeitig erlebe ich mich in einem so sehr von Terminen und Arbeiten getriebenen Alltag und weiß, dass ich mir endlich irgendwie Zeit und Raum schaffen muss/will/möchte, auch wieder mehr in diese kreative Welt einzutauchen!!
    Atemlos hetze und arbeite ich mich durch die letzten Wochen und Monate🥵. Ich brauche/bräuchte ganz viel Disziplin, um mir diese Zeitfenster auch zu schaffen.
    Gleichzeitig bekommen diese to do-Arbeiten immer Vorrang, das nervt.
    „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ -blöder Satz😑!😉

    Puh, jetzt bin ich ganz schön ab-ge-taucht.. und dahin-geschwebt..
    🫣
    Vielleicht hab ich jetzt sogar ein bissl mir selbst geschrieben 🫢😉.

    Auf jeden Fall danke für dein Anstoßen zum Ein-und Abtauchen und dein Zuhören, liebe Romy!
    Hoffentlich tauchen Sissi und Smilla doch auch noch auf..!
    Liebe Grüße
    Sabine

    1. Danke dir liebe Sabine, Ich freue mich sehr, dass du dich gemeldet hast. Es ist so schön, von dir zu hören.
      Wunderbar, wie dein Kreativ-Pferd schreibend ins Galoppieren gekommen ist.
      Liane Dirks sagt in ihrem Buch SEIN & WERDEN, dass das Geschriebene uns anschaut,
      und Max Frisch meinte dazu „Schreiben heißt sich selbst lesen“.
      Zum Schluss schreibst du, dass du wohl ein bissl auch dir selbst geschrieben hast …
      So geht es mir auch beim Schreiben. Es ist nicht nur ein Dialog mit dem Anderen,
      sondern immer auch ein Dialog mit mir selbst.
      Liebe Sabine, ich wünsche dir alles Liebe und viele Zeitfenster um dein Kreativ-Pferd galoppieren zu lassen.
      In herzlicher Verbundenheit
      Romy

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