Romys Nacht- und Tag-Buch 13
Manchmal empfinde ich es als Privileg, eine Träumerin zu sein. Einen großen Teil meiner Zeit verbringe ich mit Lesen, Schreiben und Träumen. Und die Träume realisieren sich. Auf diese Art kam ich zu meinem Häuschen, zum blauen Wunder der Cyanotypie, den Workshops, meinem Studium und jetzt gerade träume ich davon Kraulen zu können. Ein zweiter Traum ist es, gemeinsam in einer Gruppe zu lesen, zu schreiben und darüber zu kommunizieren.
Sonntag, 30. April
Viele feine Begegnungen, ein lebendiger Austausch und engagiertes kreatives Tun. Ich bin erfüllt vom wunderschönen Workshop-Tag bei KreArt in Krems. Ich denke da sind ein paar neue begeisterte Cyanotypistinnen geboren worden. Der Tag beschert uns ein klassisches Aprilwetter mit Sonne und Regen im schnellen Wechsel. Cyanotypierte Regentropfen geben den Bildern eine zusätzliche Qualität. Das ist meine Neuentdeckung des Tages. Und dass es auch ganz fein ist, in lebendiger städtischer Umgebung zu cyanotypieren. Hier gibt es Gespräche mit interessierten Passanten und Werkstatt-Besucher*innen, Belichten auf Kopfsteinpflaster, gemeinsames Schmausen bei angeregter Unterhaltung in der nahen Pizzeria und die besondere Atmosphäre der Altstadt.
Montag, 1. Mai
Meine Mutter verstand es immer wieder uns Kinder, mit Liedern, Gedichten, Geschichten und ihren speziellen Erfindungen in ein Zauberland zu versetzen. Sie entwickelte unzählige Spiele und Überraschungen zu den verschiedensten Gelegenheiten. Zum Ersten Mai gab es ein spezielles Lied, welches sie nur an diesem Tag sang. Ich habe es noch immer im Ohr, mit der begeisternden Stimme meiner Mutter … am erschte Tag im Maie … so fängt es an. Es geht um ein Kind, das am ersten Tag im Mai in den Garten hinaus geht und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. „Mutter, Mutter, es hat geschneit“, ruft es. Alle Bäume und Sträucher sind plötzlich weiß geworden. Aber nein, es sind die Blüten, welche sich über Nacht geöffnet haben …
Als Kind habe ich mir diesen plötzlich weißen Garten wunderschönen und bis ins letzte Detail vorgestellt. Ich sehe ihn noch immer vor mir. Dieses Bild hat sich tief in meine Seele eingeprägt.
Dienstag, 2. Mai
Paraphrasieren … manchmal wache ich mit einem Wort auf, das mir aus einem Traum hängen geblieben ist. Im ersten noch morgenmüden Moment fällt mir die Bedeutung nicht ein. Auch gibt es keine Traumerinnerungen, die mir helfen könnten. Paraphrasieren … einen Text in eigenen Worten wiedergeben. Ja, klar, beim Schreiben meiner Bachelor-Arbeit über die Reformpädagogik von Célestin Freinet musste ich beim Paraphrasieren gewisse Regeln beachten.
Die Geschichte vom Pferd, das getränkt wird, obwohl es keinen Durst hat, fällt mir ein. Freinet hat mit dieser Geschichte das gängige Schulsystem kritisiert, wo den Kindern Wissen eingetrichtert wird, ohne auf ihre Bedürfnisse, Interessen und ihre Lebenswelt zu achten. Eine tragische Geschichte, die unglücklicherweise nichts an Aktualität eingebüßt hat. In der Freinet Pädagogik wird der lehrergelenkte Unterricht wird durch selbstbestimmten Schülerunterricht ersetzt. In meiner Bachelor-Arbeit habe ich Ideen und Projekte dazu entwickelt, die ich später in der Berufsschule umgesetzt habe.
Mittwoch, 3. Mai
Jetzt habe ich doch tatsächlich ein wenig Muskelkater in den Schultern und Armen. Diese Körperpartien habe ich bis jetzt wenig trainiert. Bei den ersten Trockenübungen fürs Kraulen geht es um die Schulterbeweglichkeit und ich stelle erstaunt fest, wie schwer mir diese einfach ausschauenden Übungen fallen. Bei einer zweiten Vorübung geht es darum, die Arme wirklich ganz zu strecken. Auch das klingt einfach, hat aber so seine Tücken. Mit einem Kontrollgriff an meine Seite stelle ich fest, dass da noch mehr geht. Nach den Übungen staune ich darüber, wie sehr sich mein Körpergefühl und die Haltung verändert hat. Ich nehme mir vor, sie jeden Tag zu machen. Am Nachmittag dann Gleitübungen im Wasser. Dazu braucht es die richtige Haltung und Körperspannung. Auch das ist anfangs ein Desaster. Aber mit meinem beharrlichen Dranbleiben entwickle ich langsam ein Gefühl dafür. Ich sehe mich, wie ich langsam und genussvoll kraulend durch das Wasser gleite. Bis dahin ist es wohl noch ein weiter Weg.
Donnerstag, 4. Mai
Gestern Abend war ich mit einer befreundeten Nachbarin unterwegs. Wie fein ist es, sich einfach mit ein paar Schritten von zu Hause aus in einem gemütlich, urigen Heurigen wiederzufinden. In Obersdorf gibt es vier Heurigen und einer davon ist immer offen. Im Gindl schätze ich die köstlichen Kuchenkreationen. Gestern teilten wir uns eine Raffaeloschnitte. Sitzen, plaudern über dies und das und einen Radlausflug planen. Vielleicht von Wolfsthal aus, Richtung Bratilava, der Donau entlang bis zum imposanten Meulensteen Kunstmuseum oder zum Einfahren eine eher kürzere Tour zum Hexenberg? Beim Nachhausegehen bewundern wir im Licht der Straßenlaternen die Vielfältigkeit der verschiedenen Tulpensorten in den Vorgärten. Die meisten davon sind schon am Verblühen.
Freitag, 5. Mai
Das Schreiben nimmt mich zunehmend für sich ein. Im Schreiben fallen mir oft die wesentlichen Dinge ein und der Himmel klärt sich von alleine. Gerade lese ich staunend und mit zunehmender Begeisterung das Buch „Sein & Werden“, von Liane Dirks. Es handelt vom Schreiben der eigenen Biografie entlang. Es geht darum, die verborgenen Schätze ans Tageslicht zu heben und die Chancen eigener Lebensprozesse neu wahrzunehmen. Wenn wir das Ich aus dem Wir heraus begreifen, entwickelt sich eine neue Sicht auf die eigene Geschichte. Ich bekomme große Lust, mich intensiver mit dem Inhalt des Buches zu beschäftigen und gemeinsam mit anderen den anregenden Schreibimpulsen des Buches zu folgen. Darum initiiere ich eine Lese und Schreib-Gruppe. Der Austausch wird in wöchentlichen Zoom Treffen stattfinden. Zwei Interessentinnen haben sich bereits gemeldet. Im Juni möchte ich mit der Gruppe starten.
Samstag, 6. Mai
Hell schimmernd, mit verschwommenem Hof. Irgendwo habe ich gelesen, dass der Maivollmond auch Blumenmond genannt wird. Ich frage mich, welchen Einfluss Benennungen auf uns haben. Sehe, fühle, erlebe ich den Mond anders, wenn er Blumenmond genannt wird? Mich hat er gestern Abend auf dem Nachhauseweg von der Ausstellungseröffnung mit Bildern von Eva Kroner begleitet. In ihren Werken spielen Blumen und Pflanzen eine zentrale Rolle. Sie sind nicht im Hintergrund und werden auch nicht als dekoratives Element missbraucht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie es sind, die die Geschichte erzählen, den Aufbau, die Handlung und die Farbigkeit des Bildes bestimmen. Sie wirken stark, selbstbewusst und maßgebend. Das Bild mit der Gloxinie erinnert mich an meine Lehrzeit als Floristin und wie schwer ich mir tat diese Pflanze mit den zerbrechlich, samtigen Blättern zu verpacken.
Ich freue mich immer schon sehr auf eine neue Folge aus deinem Nacht-und-Tagbuch, liebe Romy. Jetzt sehe ich dich durchs Wasser gleiten wie ein Goldfisch … 😉 Das ist ein niedliches Bild.
Oh ja, lass uns im Sommer wieder beim Heurigen unter dem großen Baum sitzen und munter plaudern. Das ist so ein besonderer Ort. Danke für die Erinnerung!
Liebe Grüße
Kerstin
Liebe Kerstin
Heute habe ich mich im Hallenbad schon eher ein wenig wie ein Goldfisch gefühlt. Aber ich denke, dass mein Anblick eher kein niedlicher war … doch wer weiß?
Grüße aus dem regennassen Weinviertel
Romy