Augustschnee

Romys Nacht- und Tag-Buch 133

Hat mir die Fantasie einen Streich gespielt, wenn ich meine, an einem Morgen im August leise rieselnden Schnee zu hören? Vielleicht war es das Kinderlied, das sich in mein Ohr geschlichen hat – oder das Schreiben über meine Kindheit hat in mir die Zeiten durcheinandergebracht.

Sonntag, 17. August

Einkaufen am Sonntag? Kein Problem. Ich brauche frisches Gemüse, Topfen und Joghurt. Im Selbstbedienungsladen vom Milchbauern gibt es seit neuestem auch Eis im Becher. Diesmal widerstehe ich. Es ist mir noch zu früh dafür. Also nur Bauerntopfen und Naturjoghurt aus dem Automaten. Auf dem vor dem Eingangstor aufgestellten Tisch, zwei Häuser weiter, warten auf mich Butterfisolen, Petersilie, Feldgurke und ein gelbes Tomatenwunder.

Montag, 18. August

Die Ohrhörer sind für mich noch ungewohnt. Beim Walken höre ich einen Podcast von Schreibzeug. Es geht um das Wiedergeben von Gefühlen in einem Text. Wie lassen sie sich ausdrücken, ohne das Wort selbst zu nennen? Gefühle werden nicht direkt ausgesprochen, sondern angedeutet, spürbar gemacht, mitschwingend vermittelt. Zum Beispiel durch Bilder, Gesten, Atmosphären. Oder über Körperempfindungen, das Wetter, die Beschreibung der Umgebung.

Dienstag, 19. August

Es ist wohl der Geburtstagssekt, der mich so leicht dahinschweben lässt. Ich muss ein wenig aufpassen beim Gehen … schauen, dass alles klappt, ich die richtigen Wege wähle, im passenden Tempo, den Zug rechtzeitig erreiche, der mich sicher nach Hause bringt. Es war ein feiner Abend, innige Gespräche und viel Wiedersehensfreude. Ein Blumengeschäft mit hohen Räumen und exklusivem spartanischem Interieur. Rund um uns Blumenschönheiten und Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Mittwoch, 20. August

Schreiben am Morgen heißt die Veranstaltung auf Zoom. Ich treffe mich für eine Stunde mit Mitschreibenden von der Textmanufaktur. Ich arbeite an einem Text in dem es um eine Kindheitsangst rund um Sünde, Beichte und Tod geht. Einige Stellen möchte ich ergänzen, präziser schreiben, damit es auch für Menschen aus einem anderen Umfeld verständlich wird. Das gemeinsame Schreiben hilft mir leichter in den Fluss und ins konsequente Dranbleiben zu kommen. Nachdem wir uns zum Schluss noch kurz über unsere Erfahrungen ausgetauscht haben, arbeite ich weiter, bis ich mit dem Resultat zufrieden bin.

Donnerstag, 21. August

Ein paar erste Tropfen, dann ein gleichmäßiges Tröpfeln. Der Regen klingt wie leise rieselnder Schnee. In mir Bilder aus einer fernen Zeit. Ich bin ein Kind, ein schneeseliger Tag, in einer Zeit, in der ein weißer Winter eine Selbstverständlichkeit war. Unterdessen klopfen die Tropfen fester auf das Dach über der Terrasse. Die Schneebilder verschwinden so leise wie sie gekommen sind. Das warme Zwiebelsäckchen auf meinem Ohr fühlt sich angenehm an. Es soll den Ohrschmerz vertreiben.

Freitag, 22. August

Mein Schweizer Slang lässt sich nicht verleugnen. Auch nach bald dreißig Jahren in Österreich werde ich sofort enttarnt. „Ah, du bist eine Schweizerin!“ Und dann die Frage: „Und von wo?“ – „Aus Schwyz“, sage ich. „Ja, ich weiß, aber von wo?“
Dann erzähle ich die Sage von Swito und Sven, zwei Brüdern aus Schweden. Sie hätten den Talkessel urbar gemacht, und aus Swito sei Schwyz geworden. Später ging der Name vom Ort auf den Kanton – und schließlich auf die ganze Schweiz über.

Samstag, 23. August

Das zweite gelbe Wunder dieser Woche wächst – wie jedes Jahr – zuverlässig in meinem Vorgarten. Nun habe ich begonnen, die Weingartenpfirsiche zu ernten. Wenn ich die Äste schüttle, fallen die reifen Früchte herab, und ich sammle sie ein. Jeden Tag füllt sich ein Sieb. Kurz in kochendes Wasser getaucht, lassen sie sich mühelos schälen. Ich halbiere sie und friere sie ein. Schon jetzt freue ich mich darauf, sie auch in der dunklen Jahreszeit leuchtend gelb in meinem Morgenmüsli zu genießen.

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