Lob des Schattens

Romys Nacht- und Tag-Buch 126

In der Hitze dieser Tage wird der Schatten zu meinem Zufluchtsort – zu einem Rückzug ins Innere, wo ich die Langsamkeit als neue Qualität entdecke und mich ab zu dem gemütlichen Nichtstun hingebe. Im Dämmerlicht scheint die Zeit aufgehoben.

Sonntag, 29. Juni

In den letzten Tagen hörte ich mir alle Lesungen mit den anschließenden Kritikrunden vom Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis an. Stundenlange Direktübertragungen auf 3Sat, inspirierende Texte und spannende Gespräche. Heuer habe ich mitgefiebert und mich beeindrucken lassen. Bei der Publikumswertung wählte ich den Text von Natascha Gangl. Überzeugt hat sie mich mit ihrer einzigartigen Sprachkunst, die wohl nur aus intensivem Zuhören geboren werden kann. Mir gefällt, dass sie der Vielsprachigkeit Österreichs eine Bühne gibt und ganz besonders beeindruckt hat mich ihr Mut neue Wege zu gehen.

Montag, 30. Juni

Mitte Juli werde ich für vier Tage in der Schreibwerkstatt Waldviertel am Kurs über erlebte und erzählte Gefühle mit Gustav Erst teilnehmen. Dafür sollte ich bis zum 2. Juli ein Textbeispiel einsenden. Gestern habe ich einen Text über die Scham überarbeitet und dabei wieder von neuem entdeckt, wie sehr ich diese Arbeit liebe. Das Feilen an der Sprache, das Feintunen des Erzähl-Tons, das Klären der Perspektiven und das Achten auf Verständlichkeit. Immer wieder fällt mir etwas Neues auf, eine bisher noch nicht gesehene, gehörte Unstimmigkeit.

Dienstag, 1. Juli

Draußen wütet die Sonne. Tagsüber ziehe ich mich ins Innere zurück. Im Haus wartet ein Rest der kühlen Frische vom Lüften in der Früh. Die Rollos sind unten, – schummriges Licht. Es ist weder hell noch dunkel. Auch die Temperatur bleibt im Dazwischen. Weder kühl noch heiß. Hier drin dämmert der Tag vor sich hin. Mir fehlt das Gefühl für den Morgen, den Mittag, den Abend und ich versinke in der Zeitlosigkeit dieser Tage.

Mittwoch, 2. Juli

Ich sitze im verdunkelten Wohnzimmer. Ein Online Treffen mit meinen beiden Schreibkolleginnen. Erst tauschen wir uns aus, dann wird geschrieben und zum Schluss lesen wir einander unsere Texte vor. Weil es langsam auch hier drin zu warm wird, habe ich rechts und links vom Bildschirm zwei PET Flaschen mit gefrorenem Wasser hingestellt. Nach einer Stunde zeigt das Thermometer zwei Grad weniger. Mitten im Vorlesen meines Beitrags fällt plötzlich das Internet aus. Die Glasfaserbohrer sind noch immer am Werk. Das nächste Mal wird es einfacher, – im August treffen wir einander live in Kärnten.

Donnerstag, 3. Juli

Weil ich nach der Knie-OP nicht in der Lage war, die Orchideen im Fenster zu gießen, habe ich sie in einer großen Plastikschüssel vereint an einem zugänglicheren Ort platziert. Scheinbar gefällt ihnen dieses Urwalddämmerlicht und die dürftige Pflege. Sie überraschen mich mit täglich neuen Blüten. Eine üppige Buntheit, die mir dabei zuschaut, wie ich im Bett meine Übungen mache und mit der Motorschiene die Beweglichkeit des Knies trainiere.

Freitag, 4. Juli

Am Abend sattle ich meinen Drahtesel und stelle ihn raus auf den Gehsteig. Ich nehme all meinen Mut zusammen und steige auf. Mit dem linken Fuß gebe ich der Pedale Schwung und los gehts. Jetzt ist das rechte operierte Bein dran. Es fühlt sich ein wenig steif an. Aber es funktioniert. Ich radle los. Sitze oben, wie eine Königin mit einem lächelnden Herzen. Wenn das rechte Bein ganz oben ist, spüre ich einen leisen Schmerz. Mute ich ihm zu viel zu? Ich ändere die Position vom Fuß. Jetzt geht es leichter. Ohne Schmerz. Meine übliche Runde, die ich erst mit Krücken, dann ohne – und jetzt mit dem Fahrrad mache … Wie schnell fliegt sie vorbei.

Samstag, 5. Juli

In meinem Hintergarten wächst ein weiterer Granatapfelbaum. Er begleitet mich seit über zwanzig Jahren. Eine Freundin hatte mir diese – aus einem handelsüblichen Granatapfel gezogene – Pflanze als klitzekleinen Sämling geschenkt. Viele Jahre lebte er als Zimmerpflanze im Haus. Dann durfte er drei Sommer lang den Garten des Waldhäuschens im Burgenland genießen. Beim Einzug ins Haus im Weinviertel pflanzte ich ihn in die Erde. Von da an trotzte er auch den Wintern im Freien. Seit der Pflaumenbaum, der ihn einst beschattete, bei einem Sturm einen Ast verlor, fällt mehr Licht auf seinen Platz. Das hat er genutzt. Heuer ist er zum ersten Mal übervoll mit seinen roten Wunderblüten.


Wer schreibt hier?

Ich bin Romy Pfyl.

Als Autorin und Bloggerin veröffentliche ich wöchentlich Alltagsmomente in meinem Nacht- und Tag-Buch. Neben Kurzgeschichten arbeite ich an einem Romanprojekt.

Meine Texte verbinden präzise Naturbeobachtungen mit persönlichen Reflexionen und erzeugen so einen eindringlichen, emotionalen Raum.

www.romy-pfyl.com



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2 Kommentare

  1. Ach wie gut zu lesen, dass es deinem Knie schon wieder ein bisschen besser geht Romy! Nach den brüllenden 37 Grad vergangene Woche sitze ich hier bei winterlichen 11 Grad im Zirkuswagen am Campingplatz. Und lese mich durch deine Blogbeiträge.

    Deine Granatapfelbaumblüten haben es mir angetan. Was für eine gute Idee, sie einfach selbst zu ziehen! Wenn ich das nächste Mal im Süden bin, nehme ich mir eine reife Frucht mit nach Hause und probiere das. Wenn es die Feigen langsam schaffen, dann sollten sich auch die Granatäpfel akklimatisieren.

    Ich schicke dir sehr herzliche Grüße

    Lisa

    1. Liebe Lisa,
      falls du mal in meine Gegend kommst, gebe ich dir ein paar Granatapfelkerne vom Vorgartenbäumchen mit. Diese brauchen dann wahrscheinlich nicht so viele Jahre bis zur Blüte und sie fruchten zuverlässiger.
      Ich bin schon gespannt auf deine Experimente.
      Liebe Grüße
      Romy

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