Geduld

Romys Nacht- und Tag-Buch 125

Still, verschoben, wartend. Wenn ich die Stellung der beiden Stühle auf meiner Terrasse betrachte, rührt sich in mir ein seltsames Gefühl. Geduld – dieses Wort kommt mir als Erstes in den Sinn. Lange habe ich gezögert, mich gefragt, ob es die passende Überschrift für dieses Nacht- und Tag-Buch wäre. Und auch: Warum nur denke ich gerade beim Anblick der beiden Stühle an dieses Wort? Vielleicht, weil auch sie sich – so wie ich – in einer Ausnahmesituation befinden. Nicht so stehen, wie es der Gewohnheit entspricht. Die Zeit nach der OP ist für mich anspruchsvoller als gedacht. Mich in Geduld zu üben, fällt mir nicht leicht.

Sonntag, 22. Juni

Aus dem Feuerkorb am Teichrand lodern die Flammen in den abendlichen Himmel. Plaudern, trinken und ein gemütliches Zusammensein. Hundegebell und Froschquaken. War das eine Fledermaus oder eine Amsel? Nein, die Eule habe ich nicht gesehen. Sie flog hinter meinem Rücken. Ich habe nur das Staunen in den Augen gegenüber bemerkt. Ein Gartenfest in einem Nachbargarten. Ausgiebig feiern wir den längsten Tag des Jahres. Kann das wirklich sein, dass die Tage ab jetzt schon wieder kürzer werden?

Montag, 23. Juni

Ich kann mich an kein Jahr erinnern, an dem ich so ausgiebigen dem Kirschengenuss gefrönt habe. Verwöhnt von meinen Nachbarn bekomme ich fast täglich Kirschen, in kleinen, tagesfrischen Portionen. Ich nehme sie zu mir wie eine Medizin und zelebriere jeden Bissen genussvoll. Zuerst bestaune ihre glänzende Schönheit und dann genieße ich das weiche Knacken, die strömende Saftigkeit mit dem feinen und unvergleichlichen Geschmack

Dienstag, 24. Juni

Alles geht langsamer als ich es gerne hätte. Wie gerne würde ich schon wieder ohne Krücken unterwegs und schmerzfrei sein, mit dem Radl dahin flitzen, den Haushalt ohne Mühe schaffen. Es fällt mir schwer, mit den momentanen Einschränkungen zu leben, anzunehmen was ist. Geduld ist nicht meine Stärke. Aber ich lerne täglich, – achte auf mich, reflektiere und rede liebevoll mit mir selbst. Es wird schon wieder … Schritt für Schritt.

Mittwoch, 25. Juni

Das sei eine Heimsuchung, meinte sie, als ich ihr die mitgebrachten Einkäufe bezahlen möchte. Auf mein Stirnrunzeln reagierte sie mit einem herzlichen Lächeln. Da wo sie herkomme, in Oberösterreich werden kranke Familienmitglieder, Bekannte oder befreundetet Menschen heimgesucht. Eine Heimsuchung sei ein Besuch, bei dem benötigte Lebensmittel als Geschenk mitgebracht würden, erklärte sie mir. Zusätzlich hat die liebe Uli auch noch eine Auswahl von ihren selbst gebackenen Kuchenspezialitäten mitgebracht. Von jetzt an hat das Wort Heimsuchung für mich eine neue Prägung.

Donnerstag, 26. Juni

Täglich schau’ ich den Kürbissen beim Wachsen zu. Im Frühjahr habe ich ein wenig Erde vom Kompost im Hühnergehege auf mein Hochbeet gestreut. Salate, Kresse und Radieschensamen ausgestreut. Für ein paar Wochen war ich bestens versorgt mit frischem Grün und saftigem, leicht scharfem Rot. Mit der Komposterde sind Kürbissamen ins Hochbeet eingewandert. Unterdessen haben sie alles überwuchert. Mit der Hilfe von Schnüren lasse ich sie hinauf auf den Hartriegelstrauch wachsen. Ihre gelben Bäuche runden sich und ich bin neugierig, welche Sorte sich hier den Raum erobert. Am liebsten wären mir die Hokkaidos.

Freitag, 27. Juni

In den vergangenen Wochen brauchte es einiges an Disziplin, um täglich an meinem Nacht- und Tag-Buch weiterzuschreiben. Gerade in schwierigen Zeiten ist dieses Dranbleiben nicht leicht: das Festhalten an alltäglichen Momenten, das Weitererzählen trotz Erschöpfung. Es ist mein Weg, dem Tag ein Echo zu geben, dem Erlebten eine Stimme. Gestern hat mir eine Leserin geschrieben: „Für mich sind deine Erzählungen jedes einzelne Mal eine heilsame Wohltat. Ich tauche ein – fast meditativ – in jedes deiner Wortbilder und empfinde Resonanz. Es macht sich eine Ruhe in mir breit, ein Innehalten, ein lesendes Lauschen.“
Solche Nachrichten berühren mich – und sie ermuntern mich zum Weiterschreiben.

Samstag, 28. Juni

Jeden Tag mache ich mein Knie-Reha-Programm. Ich kühle das Knie mit Eis, mache Topfenwickel, massiere die Narbe mit drei verschiedenen Elixieren, lasse das Knie von der Motorschiene zwischen -0,5 und +120 Grad durchbewegen, mache Übungen auf dem Rücken oder Bauch liegend, stehend und sitzend, dehne, strecke und beuge. Dann drehe ich Spazierrunden, kurze jetzt schon ohne, – und längere mit den Krücken. Diese Rekonvaleszenz ist schon fast ein Vollzeit-Projekt.


Wer schreibt hier?

Ich bin Romy Pfyl.

Als Autorin und Bloggerin veröffentliche ich wöchentlich Alltagsmomente in meinem Nacht- und Tag-Buch. Neben Kurzgeschichten arbeite ich an einem Romanprojekt.

Meine Texte verbinden präzise Naturbeobachtungen mit persönlichen Reflexionen und erzeugen so einen eindringlichen, emotionalen Raum.

www.romy-pfyl.com



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4 Kommentare

  1. Liebe Romy,
    vielen Dank für deinen Blogbeitrag. Ich kann deine Ungeduld, das Gefühl, dass alles langsamer geht als gedacht, gewünscht, gut verstehen. Auch mein Fuß heilt nicht so schnell, wie ich gehofft habe. Interessant fand ich die „Heimsuchung“ deiner Nachbarin: Ich kannte diese positive Bedeutung des Wortes bislang nicht, sondern nur die negative. Wieder was gelernt … und vielleicht nutze ich die Steilvorlage für einen eigenen Blogbeitrag. Liebe Grüße aus Norddeutschland nach Österreich Eva

  2. PS: Ich hoffe, dass ich mich ab Dienstag zumindest zeitweise krückenfrei bewegen kann. Und im Gegensatz zu dir mag ich überhaupt keine Kürbisse. 🙁 🙂

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