Vom Gehalten-Sein

Nachthemd

Romys Nacht- und Tag-Buch 122

In der Zeit nach der Knie OP ist die Kunst des Humors eine bewährte Begleiterin. Sie hilft zuverlässig beim Umschiffen gefährlicher Klippen, hält mir die Hand, wenn mein Kopf Karussell fährt und Ängste drohen.


Sonntag, 1. Juni

Vom Flur her Klappern und Stimmengewirr. Hier ist ständig was los. In der Früh ist mir Übel und ich werde den ganzen Tag nicht richtig wach. In diesem Dämmerzustand lasse ich mich von den Geräuschen um mich herum mittragen. Für uns wird rund um die Uhr gesorgt. Am Vormittag kommt der Orthopäde, der mich operiert hat, entfernt Verband und die Drainage vom Knie. „Das schaut sehr schön aus“, meint er. Skeptisch betrachte ich die ein wenig runzelige, blau-violett verfärbte Haut und die lange Naht mit den Metallklammern. „Ja, wenn sie das sagen, dann wird es wohl so sein“, entgegne ich.

Montag, 2. Juni

Erste Schritte mit dem Rollator. Ein wenig wackelig, aber es geht. Jetzt wird auch der Katheter entfernt. Nach drei Tagen reglosem Liegen auf dem Rücken bringt das die große Erleichterung. In unserem Zimmer entsteht nach und nach eine lustige Weiberschicksalsgemeinschaft. Wir haben unseren Spass miteinander. In den letzten Tagen haben viel voneinander mitbekommen, sind gemeinsam durch Schmerzen und diverse Unpässlichkeiten hindurchnavigiert. Da tut das Lachen über unsere Kalamitäten besonders gut.

Dienstag, 3. Juni

Wolf Haas: Eigentum, gelesen. Ein großartiges, witziges und berührendes Buch über seine Mutter. Das Buch hat mich gleich hineingezogen. Genial wie durch diese ellenlangen Muttermonologe, ihre Sprache, ihre Wiederholungen, ihre Art zu erzählen, die Bilder und die Atmosphäre dieser Zeit oft bedrückend lebendig werden. Die Großväter, die Väter, die Söhne. Von der Vergeblichkeit und dem Paradoxen des Eigentumserwerbs. Es ist viel Humor in diesem Buch und ganz viel Österreich, was den Humor öfters mal tief schwarz färbt. Oft hab ich laut gelacht in meinem Krankenhausbett und manchmal ist mir das Lachen im Hals stecken geblieben.

Mittwoch, 4. Juni

Schon am frühen Morgen werden die petrol-blauen Vorhänge zugezogen, die Fenster geschlossen. Heute wird es heiße 31 Grad. Regen gestern, ein weit offenes Fenster und Spaziergänge am Gang mit Krücken. Am Abend setze ich mich für eine Weile auf die Klinikterrasse neben die aufblühenden Lavendelbüsche. Vom Wind verwischte Wolkenschleier, dazwischen ein kleiner bleicher Mond. Beim Zurückkommen ins Zimmer fotografiere ich unser Fenster zur Welt mit dem Blauglockenbaum und der Schwarzföhre. In meiner Jackentasche duftende Lavendelblüten.

Donnerstag, 5. Juni

Umgeben vom tagtäglichen Krankenhauseinerlei, bin ich unbemerkt in den Juni hineingerutscht. Ich fühle mich gehalten vom täglichen Rhythmus der Verrichtungen um mich herum und den Ausflügen auf die Terrasse. Dort tanke ich ein wenig Sonne, lasse mich vom Wind erfrischen, schaue den Schwalben zu und plaudere mit Leidensgenoss*innen. Gestern hat mir die Servicefrau vom Getränkeautomaten meinen Kaffee hinausgebracht, einen brenn-heißen Cappuccino im braunen Plastikbecher bis über den Rand gefüllt, mit hellem Schaum. Nach dem faden koffeinfreien Krankenhauskaffee ist das ein heißersehnter Muntermacher.

Freitag, 6. Juni

In der Früh bekommen wir eine der Mord – und Totschlag-Gratiszeitungen ans Bett geliefert. Mein Tageshoroskop verheißt mir, zweisame Stunden in Harmonie und ein ganz besonderes Einkaufserlebnis.
Mittags schon, – die erste Zweisamkeit, – ein fröhlich junges Gesicht vis a vis im Nachhause-Transport mit der Rettung. Wir fragen einander nach unserem Tun, erzählen und lassen uns durch die Landschaft chauffieren. Dann ein cooler Wolkimobil-Fahrer der mich zu Hause abholt, bis hinein in die Apotheke begleitet und mir bei meinem Einkaufserlebnis beisteht. Später, – mit einer Nachbarin die Straße auf und ab promenieren, plaudern und das explosiv bunte Geschehen in unseren Vorgärten besprechen. Am Abend dann, ein langes inniges Freundinnen-Gespräch am Telefon …
Was für ein Tag! – gleich viermal harmonische Zweisamkeit und ein spannender Medikamenten-Einkauf. Ich glaub’, ich sollte öfters Horoskope lesen.

Gratiszeitung

Samstag, 7. Juni

Ich überlege mir einen neuen Briefkasten zu kaufen und meinen alten den Wildwespen zu überlassen. Seit dem zeitigen Frühjahr lockt sie das leuchtende Gelb und der regengeschützte Innenraum. Viermal haben sie hier drin mit einem neuen kunstfertigen Nestbau begonnen. Viermal sind sie dabei gestört worden. Ich hatte Bedenken, dass ein Briefträger oder eines der Nachbarskinder gestochen werden, also mussten die Nester entfernt werden. Ich Laufe der Zeit realisiere ich aber, dass diese Wespenart wohl eher friedfertig ist. Wenn ich den Briefkasten öffne und sie vertreibe, bleiben sie ruhig, reagieren nie aggressiv. Also – falls sie der Mut und die Ausdauer noch nicht verlassen hat und sie wieder zu bauen beginnen, bekomme ich einen neuen Briefkasten.


Wer schreibt hier?

Ich bin Romy Pfyl.

Als Autorin und Bloggerin veröffentliche ich wöchentlich Alltagsmomente in meinem Nacht- und Tag-Buch. Neben Kurzgeschichten arbeite ich an einem Romanprojekt.

Meine Texte verbinden präzise Naturbeobachtungen mit persönlichen Reflexionen und erzeugen so einen eindringlichen, emotionalen Raum.

www.romy-pfyl.com



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