Romys Nacht- und Tag-Buch 120
Oft stellt sich inmitten des Grünen ein tiefes, fast instinktives Gefühl von Zugehörigkeit ein. Grün wirkt beruhigend, erdend und ausgleichend – es steht für Wachstum, Leben und Regeneration. In der Natur umgeben von Grün zu sein, kann das Nervensystem entspannen, Stress reduzieren und ein Gefühl von innerer Weite und Geborgenheit hervorrufen.
Sonntag, 18. Mai
Endlich, aufatmen, frische Luft und ein glücklich flatterndes Herz. Mein Bett steht wieder draußen auf der Terrasse. Die warme Winterdecke tut ihr Bestes, um dem noch kühlen Maiwetter zu trotzen. Behagliches Ausstrecken und lauschen. Eifrige Vögel und das im Wind leise scheppernde Dach. Vor meinen Augen entfaltet sich das Hinaus in Leuchtgrün. In der Dämmerung gleiten lautlos zwei Eulen vorbei – Ich schaue in diesen wild wuchernden Hintergarten und erfüllt, vom jährlich wiederkehrenden Glück, entweicht mir unvermittelt ein behagliches Seufzen.
Montag, 19. Mai
Am Sonntagabend treffe ich mich mit Uli in der Stadt. In der Kulisse einem altehrwürdigen Wiener Gasthaus mit Bühne werden uns die welt-längsten Sacher-Würstel serviert. Dazu Senf, frischen Kren und knuspriges Brot. Wir lassen es uns gut gehen, trinken dazu ein frisch gezapftes rotes Bier, plaudern über dies und das und warten auf den Auftritt von Hans-Peter Arzberger mit seinem Programm. Als Eintritt haben alle BesucherInnen eine Ressource mitgebracht, die sie nicht mehr benötigen. Es folgt ein feines Unterhaltungsprogramm mit nachhaltiger Wirkung, bei dem einem das Lachen ab und zu im Hals stecken bleibt.

Dienstag, 20. Mai
Ich habe zwei neue Begleiter. Die chinesischen Terrakotta-Figuren stehen auf meinem Fensterbrett zwischen den Orchideen. Es sind Nachbildungen der kleinen Armee-Krieger-Statuen aus der Qin-Dynastie. Am Ressourcen Flohmarkt sind sie mir zwischen all den anderen Dingen sofort aufgefallen. Erst zögerte ich, aber als ich sie dann in meinen Händen hielt, wollten sie mit mir kommen. Terrakotta Krieger stehen für Kraft, Loyalität, Selbstdisziplin, Macht, Schönheit und Mut, lese ich, als ich im Internet nach diesen Figuren suche. Diese Eigenschaften verbreiten sie auch auf ihre direkte Umgebung und natürlich auch auf die Betrachtenden.

Mittwoch, 21. Mai
„Schönheit wird die Welt retten“, schrieb Dostojewski einst.
In meinem Vorgarten wird eifrig daran gearbeitet. Jeden Tag hat eine neue Schönheit ihren Auftritt. Ich hoffe, dass ihr beharrliches Wirken etwas beitragen kann. Nach dem Regen erscheint die erste Blüte des Klatschmohns. Aus ihrem strahlend roten Blumengesicht perlt ein Kinderlachen. Sie hat wohl den kleinen Regenschubs gebraucht, um sich hinauszuwagen. Nun thront sie aufrecht auf dem fein behaarten, sich zärtlich windenden Stängel. Die zarten, noch leicht knittrigen Blütenblätter vibrieren im kühlen Wind. Ich weide meine Augen an ihrer einzigartigen und zerbrechlichen Pracht.

Donnerstag, 22. Mai
Lesend reise ich in andere Zeiten und Orte. 1914 – der Erste Weltkrieg beginnt. Viele Kinder in Europa wurden damals von ihren Eltern ermutigt, Tagebuch zu führen. Große Zeiten seien angebrochen, eine Wende stehe bevor – zum Besseren oder zum Schlechteren, das wusste niemand. Was dann geschah, war so überwältigend, dass wohl der Stift in ihren Händen ins Stocken kam. Und doch schrieben sie weiter. So ist es heute möglich zu lesen, wie Anaïs Nin, Alfred Hitchcock, Marlene Dietrich und viele andere diese Jahre erlebten. Sonya und Yury Winterberg haben daraus ein Buch gemacht, das Geschichte aus der Sicht von Kindern erfahrbar macht: Kleine Hände im großen Krieg.
Freitag, 23. Mai
Die Nachbarin hilft mir beim Rasen mähen und meine Enkelin kommt. Sie übernimmt das Tragen über die Treppen und die Arbeiten in der Höhe. So ganz selbstständig bin ich noch nicht. Am gebrochenen Knöchel trage ich Tag und Nacht eine Schiene. Den Garten, die Terrasse und das Haus möchte ich gut vorbereitet haben für die Zeit nach der Knie-OP am 30. Mai. Schon drängt die Zeit. Am Wochenende reise zu einer Schreibkollegin nach Krems in eine Villa am Stadtrand. Dort werden wir uns für drei Tage dem intensiven Schreiben und dem Weiterarbeiten an unseren Buchprojekten widmen.
Samstag, 24. Mai
Morgendliches Froschquaken vom nahen Gartenteich. Aus dem Zwetschgenbaum höre ich ein Amsel-Lied. Und mit ihrem ununterbrochenen, ein wenig scheppernd klingenden Schwatzen lassen mich die Spatzen wissen, dass sie da sind.
In der Nacht war es besonders kalt – die Nachrichten hatten sogar vor Frost gewarnt. Doch so schlimm wurde es nicht. Unter zwei Decken eingekuschelt, war mir wohlig warm.
Wer schreibt hier?
Ich bin Romy Pfyl.
Als Autorin und Bloggerin veröffentliche ich wöchentlich Alltagsmomente in meinem Nacht- und Tag-Buch. Neben Kurzgeschichten arbeite ich an einem Romanprojekt.
Meine Texte verbinden präzise Naturbeobachtungen mit persönlichen Reflexionen und erzeugen so einen eindringlichen, emotionalen Raum.
www.romy-pfyl.com
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