Romys Nacht- und Tag-Buch 114
Genährt von Erde und Licht erscheinen sie zuverlässig. Jahr für Jahr weihen sie uns ein in das Mysterium von Leben, Tod und Wiedergeburt, lassen uns staunen und andächtig werden. Die Blüten der Bäume erfreuen Sinne und Herz.
Sonntag, 6. April
In Japan hat die Kirschblüte eine beinahe heilige Bedeutung. Sie wird als ein Symbol vergänglicher Schönheit, gefeiert und verehrt. Am frühen Morgen beim Hinausgehen auf die Terrasse werde ich von der aufgehenden Sonne und den frisch geöffneten Pfirsichblüten empfangen. Ein magischer Augenblick, in dem ich die Verehrung dieser Schönheit zutiefst begreife. Auch wir sollten jetzt hinausgehen, uns unter blühende Bäume setzen, schauen, staunen und das Wunderbare dieser verheißungsvollen Zeit genießen.
Montag, 7. April
Heute würde meine Mutter ihren Geburtstag feiern. Seit bald vier Jahren ist sie nicht mehr unter uns. Wenn ich durch meinen Garten gehe, ist sie oft neben mir. Wir bewundern gemeinsam das Geschehen und besprechen, was zu tun ist. Von ihr habe ich die Freude am Gärtnern mitbekommen. Sie hat mir die Grundlagen beigebracht, Liebe, Respekt und einen achtsamen Umgang mit den Pflanzenwesen. Wenn ein Mensch stirbt, lebt das, was er in die Welt gebracht hat, in uns weiter.
Dienstag, 8. April
In meiner Gefriertruhe gibt es noch immer Weingartenpfirsiche vom letzten Jahr. Zur Erntezeit habe ich jeden Tag eine große Schüssel mit den gelben Früchten beladen. Ab und zu nehme ich ein Packerl raus und koche mir ein Kompott. Im Herbst waren die Äste so schwer beladen, dass es zu Brüchen kam. Auch heuer hält sich der Baum nicht zurück. Noch dichter stehen die Blüten auf seinen Ästen. Sie werfen ihre Schatten auf meinen Paravent am Wohnzimmerfenster. Daneben strahlen die rosaroten Blütentupfen vor einem hellblauen Himmel.

Mittwoch, 9. April
Hoch über Wien drehen wir unsere Runden. Ich habe mich in Fahrtrichtung gesetzt. Trotzdem ist da ein schwindeliges Gefühl. Wenn ich zum Rand in der Mitte schaue, staune ich, wie schnell wir uns drehen. Oben im Restaurant vom Donauturm treffen wir einander zum nachmittäglichen Schreiben. Aber zuerst müssen wir die Aussicht bewundern. Meine Schreibkollegin berichtet von ihren Rutsch-Abenteuern vom letzten Besuch. Hier oben gibt es die Möglichkeit durch eine transparente Röhre spiralförmig zur unteren Plattform zu sausen. So etwas wäre mir dann doch zu waghalsig – die Aussicht von unserem Arbeitsplatz in die Tiefe ist mir Herausforderung genug.

Donnerstag, 10. April
Gestern gönnte ich mir einen Lesetag. Dazwischen habe ich zum Kopfauslüften alle Fenster geputzt, das immerhin …
Würde ich alle Bücher, die ich je gelesen habe, in Regale einsortieren, so wären nicht nur die Wände meines Hauses gefüllt, sondern vermutlich auch die einiger Nachbarhäuser. Geschichten trösten, begleiten und erhellen das Leben. Bücher sind ein Geschenk an die Lesenden. Sie lehren, das Leben aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, lassen uns wachsen, mitfühlen und neue Wege entdecken.
Freitag, 11. April
Es gibt Tage, da fühle ich mich wie ein rohes Ei. Ich wache auf und stehe neben mir, schaue mir zu, wie ich dies und das mache, innerlich gespannt und unrund. Sind es die Weltnachrichten, die in mir ein Gefühl des Absurden erzeugen oder ist es der drängende Frühling, der sich Raum schaffen will?
Etwas mit den Händen zu tun, das ist das beste, um solche Tage zu einem guten Ende zu bringen. In der Erde wühlen – oder so wie gestern an meiner Skulptur weiter arbeiten und im Schlafzimmer den Spiegel aufhängen, der schon seit ewigen Zeiten in einer Ecke steht und darauf wartet.

Samstag, 12. April
Meine Ast-Skulptur ist wieder um ein Stück gewachsen. „Bitte sprich mit mir“, habe ich sie genannt, als ich sie vor vielen Jahren kreierte. Über die Zeit hat sie sich in Wind und Wetter nach und nach aufgelöst. Vor zwei Wochen habe ich damit begonnen, sie von neuem aufzubauen. Ein wenig wird es noch dauern, bis sie so sein wird, wie ich sie gerne hätte. Ob ich sie dann endlich mit mir sprechen wird? Wer weiß!
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