Romys Nacht- und Tag-Buch 109
Zwei Häuschen im Wald und zwei kleine Enkelinnen. Stundenlanges Schaukeln in der Hängematte. Sinnieren und in die Baumkronen hinein träumen. Kochen am Feuer und Bachwanderungen. Erinnerungen an diese alten Zeiten erwecken nostalgische Gefühle in mir.
Sonntag, 2. März
Ein Wochenende mit meiner mittleren Enkelin in den Waldhäuschen im Burgenland. Nach so vielen Jahren wieder gemeinsam an diesem altvertrauten Ort zu sein beschert uns beständige ah und oh’s und weißt du noch? Ich schaue zu, wie meine Enkelin auf einem umgefallenen Baum balanciert und fühle mich zurückversetzt in eine andere Zeit. Wir unterhalten uns über ihre Pläne für die vorwissenschaftliche Arbeit, reden über Nostalgie und wie sie sich ausdrückt. Sie notiert sich die wichtigsten Punkte gewissenhaft in ihr Buch. Wie in einem Zeitraffer rasen die Bilder all der Jahre an mir vorbei. Wie ist sie nur so schnell groß geworden?

Montag, 3. März
Am Abend beim Zurückfahren nach Hause sind wir beide schon ziemlich müde. Beim Park and Ride in Weppersdorf steigen wir vom Bustaxi in den Bus nach Wien um. Es bleiben uns zwanzig Minuten Wartezeit. Der abendliche Himmel überrascht uns mit einem imposant gelblich orangen Leuchten. Die Mondsichel liegt schon fast waagrecht wie ein vom Himmel leuchtender, lachender Mund. Von hinten leuchtet blass schimmernd das volle Rund des Mondes. Wir lassen uns von der Stimmung verzaubern und holen uns ein wenig Frische und Kraft für die Heimreise zurück.

Dienstag, 4. März
Voller Tatendrang richte ich mir meinen Wohnraum neu ein. Mit dem Umstellen des Schreitisches gewinne ich eine andere Perspektive auf das Geschehen. Die frühlingshaft kräftige Nachmittagssonne zaubert Baumschatten auf den Paravent mit den eingetrockneten Blüten- und Efeublättern. Noch sind die Äste Weingartenpfirsichbaum nackt. Bald werden die Knospen zu wachsen beginnen und den Baum über und über mit seinen verheißungsvollen pinkfarbenen Blüten überziehen.

Mittwoch, 5. März
Im Newsletter der australischen Künstlerin Heather Matthew lese ich von einer Ausstellung, die sich mit Themen beschäftigt, die mich in ihren Bann ziehen. Es geht um die Gegenseitigkeit und Zusammenarbeit von Menschen und Nichtmenschen, um den Prozess des gemeinsamen Denkens und Schaffens. Am meisten angesprochen hat mich die Idee von den Bäumen als Erzählerinnen von Geschichte und Ort …
Bäume sind für mich essenzielle Lebensbegleiterinnen. Meinen ersten Sommer habe ich im Kinderwagen im Baumschatten einer Birke und einer Föhre verbracht. Ich bin den Klängen des Windes in ihren Ästen gefolgt, lauschte ihren Liedern. Was fühlt ein Baumwesen? Wie ist es, sich so tief in der Erde auszubreiten und bis weit in den Himmel hinein?

Donnerstag, 6. März
Was lässt sich über ein Leben in 107 Minuten erzählen? Im Film von „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz über Maria Lassnig faszinieren mich vor allem die fragmentarische Erzählweise, die Verbindung von Körper und Kunst und die großartige Darstellung der verschiedenen Lebensalter durch Birgit Minichmayr.
Mittwochabend, Kino im Schloss. Nach einem langen Tag mit Sonne und Garten bin ich in einem schon schläfrigen Zustand. Am Handy zerstreut meine Enkelin die Unentschlossenheit. „Sicher gehst du da hin. Das kann doch nicht sein, dass du jetzt schon schlafen musst.“ Im Saal setze ich mich neben einen Bekannten und hole mir vom Buffet einen Spritzer. Plaudern und warten. Der Raum füllt sich, eine kurze Einführung noch, dann geht es los.
Freitag, 7. März
Ich stelle mir den roten Tisch hinaus unter die Trauerweide. Diese Farbe hat etwas unmittelbar Belebendes. Sofort wirkt der Garten anders. Etwas Verheißungsvolles hat Einzug gehalten. Zur Feier dieses sonnigen Frühlingstages bekommt mein Kranz aus Keramik eine neue Füllung. Mit Efeublättchen, kugeligen Fruchtständen und aus dem Blumengeschäft habe ich mir kleine orangefarbene Röschen geholt.

Samstag, 8. März
Vor dem Geschäft des Altwarentandlers sehe ich im Vorbeigehen einen Kinderwagen stehen. Es ist ein Vollplastikmodell aus den sechziger Jahren. Wir nannten sie Campingwagen und führten darin unsere Puppen spazieren. Das Rückenteil konnte vom Liegen in eine Sitzposition gebracht werden. Vor dem Bauch der Puppe lief eine Stange quer über den Kinderwagen. Sie verhinderte das Hinausfallen und war mit bunten Kugeln bestückt, die sich bewegen ließen. Damit durften unsere Puppen während unseren Ausflügen über die damals noch holperig staubigen Straßen spielen.
Liebe Romy,
ich lese deine Gedanke so gerne. Der Lassnigfilm ist wirklich beeindruckend!
Komm sanft und gut in den Frühling.
Lisa
Auch dir einen schönen Kärntner-Frühling, liebe Lisa
und Grüße aus dem Weinviertel
Romy