Frühlingserwachen

Romys Nacht- und Tag-Buch 108

Das Licht der aufgehenden Sonne hinterlässt auf den Baumkronen einen rötlichen Schein. Der Nussbaum auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich bereits in den Startlöchern. Wenn ich ein Stethoskop an seinen Stamm halten würde, könnte ich mit etwas Glück, die Bewegung des aufsteigenden Baumsaftes hören. Nach dem Winter beginnt er, Wasser und Nährstoffe aus den Wurzeln in die Krone zu transportieren.

Sonntag, 23. Februar

Kalt-windiges Wetter draußen, drinnen gemütliche Stubenwärme. Trotzdem hat mich der blaue Himmel samt unermüdlichem Sonnenschein in der Mitte des Nachmittags hinaus gelockt. Es zieht mich hinauf zum Wald, zu den Kiefern hinter der neu angelegten Schmetterlingswiese. Hier ist noch alles im Winterschlaf. Dann weiter auf dem kiesigen Weg unterhalb eines Gehölzstreifens. Eine Bank zwischen den Sträuchern bietet eine windgeschützte Pause. Hinter mir eine Begegnung von Winter und Frühling, kahle Äste neben wucherndem Grün. Ein Stelldichein von zartgrüner Vogelmiere und Kerbel.

Montag, 24. Februar

Am frühen Nachmittag fällt leichter Regen. Also rüsten wir uns mit wasserdichten Hosen und Jacken aus meinem Fundus aus. Eine Wanderung durch den Wald hat sich meine mittlere Enkelin gewünscht und so wandern wir zu dritt, Tochter, Enkelin und ich. Aufwärts steigend, durch ein Birkenwäldchen, kommen wir ins Schwitzen. Der Regen hat aufgehört. Im Wald ist es unglaublich still. Nur ab und zu dringt der Ruf eines Vogels an unser Ohr. 13’600 Schritte zeigt die App zum Schluss. Das gemeinsame Essen mit Gemüsesuppe, Linsencurry, Basmatireis und Süßkartoffeln ist ein würdiger Abschluss dieses schönen drei-Generationen-Ausflugs.

Dienstag, 25. Februar

Beim Schreiben tauchen immer wieder neue Aspekte auf, ergeben sich überraschende Zusammenhänge. Erinnerungen an Situationen, welche die Entwicklungen für mich nachvollziehbar machen. Das Leben ist ein spannendes Terrain. Ich staune darüber, wie prägend Erlebnisse sein können. Vor allem auch die, die schon lange vergessen waren. Gestern schrieb ich über den Religionsunterricht als Neunjährige bei einem alten und wohl schon verwirrten Pfarrhelfer und über die danach folgenden Höllenängste, die mich nächtens plagten.

Mittwoch, 26. Februar

Im Vorgarten geschieht Wundersames. Trotz grauer Tristesse und kühl nebligem Wetter beginnt ein zartes Sprießen. Meine im Herbst neu eingepflanzte Mini-Rose setzt mutig feine rötliche Knospen an. Gleich daneben erste Primelblüten. Und kaum lässt sich die Sonne blicken, öffnen sich die gelben Kelche der Krokusse. Die Wildtulpen haben schon zu Weihnachten damit begonnen, ihre kräftig grünen Blätter sprießen zu lassen. Und direkt neben dem Stamm vom Weingartenpfirsich wächst ein rundliches Polster mit den Lieblingsblumen meiner frühen Kindheit, zart nickenden Schneeglöckchen.

Donnerstag, 27. Februar

Wunderliche Träume. Wo kommen all diese Bilder her? Eigenartige Landschaften mit diversen Bedrohungsszenarien. Heute Nacht eine Schipiste, wo es fast senkrecht in die Tiefe geht. Irgendwie habe ich es trotzdem geschafft, unten anzukommen. Aber dann ein großer Schreck. Ich realisiere, dass ich mich verirrt habe. Wie komme ich je wieder zurück? Ich bin in einem fremdartigen Dorf gelandet, ärmlich und trotzdem eigenartig schön. Skurriles Geschehen rund um mich. Eine Freundin rast mit einem Schlitten eine steile Bahn hinunter. Unmöglich, dass sie das überlebt. Unten angekommen richtet sie sich auf und lacht. Ein paar Familienmitglieder sind auch angekommen. Wir bereiten uns vor und ich bekomme Hilfe für den Nachhauseweg.

Freitag, 28. Februar

Am Stefansplatz ist die Hölle los. Nach dem Aussteigen aus der U-Bahn werde ich von Menschenmassen umwühlt. Im dichten Gedränge fühle ich mich unwohl. Auch oben am Graben quirlt es. So flüchte ich mich rasch in eine der Seitengassen. Nach dem mittäglichen Training meldet sich der Appetit. Da erinnere ich mich an das Café im jüdischen Museum. Als ich im ersten Bezirk in einem Blumengeschäft als Geschäftsführerin arbeitete, habe ich da öfters meine Mittagspausen verbracht, die Ruhe genossen und fein gespeist. Auch diesmal werde ich nicht enttäuscht. Bald taucht meine große Enkelin auf. Auch ihr schmeckt der Couscous Salat und wir starten gestärkt in den gemeinsamen Nachmittag.

Samstag, 1. März

Das warm gelbe Leuchten lässt mich genauer hinschauen. Die Flechten am Holunderstrauch haben schon ein dichtes Polster gebildet. Es brauchte Jahre, bis es so weit war. Dieses Gewächs, das eine Symbiose zwischen Pilz und Alge ist, wächst unendlich langsam. Auf dem Foto, das ich mit dem Portrait Modus meines Handys aufgenommen habe, entdecke ich die becherförmigen Auswüchse mit hellem Rand und dunkler Mitte. Von bloßem Auge hätte ich dieses schöne Detail nicht entdeckt.

Ein Kommentar

  1. Der Email-Link zu deiner Ende-Februar-Story war in meinem Spam-Ordner gelandet.., und so lese ich ihn etwas verspätet..
    und tauche nochmal ins Geschehen von vor 3 Wochen ein..
    Stimmt, auch hier bei mir war das Gemisch Licht-Luft-Feuchtkälte-Sonne besonders.
    Danke für dein genaues Hinschauen und Schildern…
    Ich bin in Resonanz, liebe Romy!

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