Vom Nacht- und Tagträumen

Romys Nacht- und Tag-Buch 107

Ich betrachte den über den Kiefern erscheinenden, noch fast vollen Mond. Ein wenig verwackelt von meiner nicht stillhaltenden Hand beim Fotografieren wirkt er auf dem Bild größer und voller als er in Wirklichkeit war. Hat er einen Einfluss auf mein Träumen?

Sonntag, 16. Februar

Wieder einmal Grazer Luft schnuppern. Ein gemeinsames Essen im Beisl mit einer Freundin aus alten Zeiten. Austauschen von Erinnerungen und Aktuellem. Im Kino setzen wir uns in die zweite Reihe. Als Jugendliche bin ich am liebsten möglichst direkt vor der Leinwand gesessen. Und da ist es wieder, dieses Gefühl direkt in die Bilder hinein gezogen zu werden, mittendrin im Geschehen zu sein. „Bird“ ist ein buchstäblich atemberaubender Film, mitreißend und doch voller poetischer Augenblicke.

Montag, 17. Februar

Ich träume viel in der Steiermark und zumeist ist am Morgen fast alles vergessen. Auch Mittags schlafe ich zuweilen. Da habe ich in meinem Traum eine neue Wohnung bezogen, die wunderschön, fast schon surrealistisch eingerichtet war. Aber es war so speziell dort, so ausgeformt, dass ich das Gefühl bekam, erdrückt zu werden. Die Wände in meinem Schlafzimmer waren von oben bis unten mit Holz ausgekleidet. Die starke Musterung und der dunkle Farbton ließen das Zimmer klein und eng wirken. Zahlreiche Astlöcher, die mich wie aus großen Augen betrachteten. Auch beim Schauen durchs Fenster öffnete sich keine Weite. Ein schmaler Schacht und fast noch in Griffnähe, die Wand des nächsten Gebäudes.

Dienstag, 18. Februar

Frühmorgens betrachte ich die leise vom Himmel in die Landschaft fallenden Schneeflocken und komme ins Träumen. Diese feinen Bewegungen im Raum versetzen mich in einen schwebenden Zustand, der mich auch nicht verlässt, als ich im Zug zurück nach Hause sitze. Fahren und sinnieren. Häuser und Wälder, Himmel und Schnee. Tunnel und Viadukte am Semmering. Der Zug fährt weiter über den Grenzbahnhof Breclav, dann nach Brünn, Prag und Berlin Charlottenburg. In Wien Meidling steige ich um und nehme den Zug, der mich zurück ins Weinviertel bringt.

Mittwoch, 19. Februar

Auf dem Weg zum Kaffeehaus Weidinger sitze ich in der U6. Wir stehen bei der Haltestelle Allgemeines Krankenhaus. Ein gräulich-schwarzes Plakat direkt vor mir an der Wand. Mein Blick bleibt hängen. Bestattung Teufel lese ich. Tod und Teufel, direkt vor dem Krankenhaus, wie passend, denke ich. In Wien kann man es sich aussuchen. Gehe ich zur Bestattung Himmelblau oder zum Teufel? Ob diese Wahl wohl einen Einfluss hat? Himmel oder Hölle … Die Wiener pflegten schon immer eine spezielle Beziehung zum Tod. Das Lied vom Georg Kreisler geht mir im Kopf herum: „Der Tod, das muss ein Wiener sein.“

Donnerstag, 20. Februar

Träume sind Schäume, sagte meine Mutter oft. Wahrscheinlich hat sie damit eher die Tagträume gemeint. Nachts träume ich von einem Frischgeborenen. Überall droht ihm Lebensgefährliches. Das Kind ist zäh und überlebt die schlimmsten Sachen. Einmal setzt für drei Minuten seine Atmung aus. Keine bleibenden Schäden, meint der zugezogene Arzt. Das Kind ist unglaublich frech, behände und neugierig. Einmal landet es in einem Misthaufen und sein Strampler bekommt braune runde Flecken. Eilig versuche ich, sie wegzuputzen. Kaum zu glauben, dass es gerade erst geboren wurde.

Freitag, 21. Februar

Golden gesprenkelter Sonnenglanz. Am Nachmittag gibt sich der Mühlbach der Sonnenwärme hin. An seinen Rändern ist er noch gefroren. Dickes, hell glänzendes Eis. In der Nacht ist die Temperatur auf Minus 10 Grad gesunken. So kalt war es heuer noch nie. Den ganzen Vormittag über habe ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen vom Writers Studio geschrieben. Wir haben uns online getroffen. Zum Einstieg ins Schreiben bekamen wir einen Schreibimpuls. Das jetzige ich mit dem Mädchen das ich war sprechen zu lassen, war die Idee. Ein Dialog sollte es werden. Aber mein Mädchen war still und lauschte dem, was ich zu sagen hatte.

Samstag, 22. Februar

Was ist eine glückliche Kindheit? Jede Kindheit ist glücklich und unglücklich zugleich, denke ich. Ich beantworte eine Liste mit Fragen für die Charakterentwicklung der Hauptfigur meines werdenden Buches. Hatte sie eine glückliche Kindheit, ist eine der Fragen. Im Schreiben kommt sowohl das Glück als auch das Unglück deutlicher zum Vorschein.
In Ö1 höre ich eine Sendung mit dem bulgarischen Schriftsteller Georgi Gospodinov, er sagt: Die Kinder wissen, dass alles um sie herum lebendig ist und Schmerz empfindet. Wir müssen uns an jene Empathie erinnern, die wir als Kinder besessen haben für diese Welt und diesen Schmerz.

2 Kommentare

    1. Danke Silvia, hab grad deine Fotos aus Goa bewundert. Ich freue mich, dass meine Zeilen den Weg bis zu dir nach Indien gefunden haben.
      Lass es dir weiter gut gehen.
      Alles Liebe
      Romy

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