Die Magie des Augenblicks

Distelrosette
Die sich mandelaartig ausbreitende Rosette einer Distel.

Romys Nacht- und Tag-Buch 10

Das Leben besteht aus Augenblicken. Bewusst erlebte Momente sind das, was uns letztlich in Erinnerung bleibt. Die Sinne sind das Tor, durch das diese Eindrücke mich erreichen können, beim Osterfeuer, beim Schmausen, auf der Wiese, beim Faulenzen im Bett, beim Träumen, auf der Fahrt mit der Eisenbahn. Die Woche ist voll mit genussvollen Abenteuern. Momente, die mir ihre Zähne zeigen, solche mit Ecken und Kanten gehören auch dazu. Mit liebevollem Blick betrachtet, eröffnen sie mir ihre geheime Qualität.

Sonntag, 9. April

Tapsende Schritte auf der Treppe und von der Küche her höre ich plaudern. Ich habe lange geschlafen. Gestern ein feines Zusammensein beim Osterfeuer. Die Männer haben Bänke organisiert und so sind wir länger gesessen, haben gefachsimpelt und das Feuer beobachtet. Es war kühl und ein wenig hat es auch geregnet. Das Feuer hat eine eigene Magie und Anziehungskraft. Es bewegt sich auf unvorhersehbare Weise. Knacken, Funken sprühen, sich durchfressen durch Obstbaumschnitt und Gartenabfälle. Wir genießen die angenehme Feuerwärme. Schnell wird der Haufen kleiner und wir gehen ins Haus zum gemeinsamen Mahl. Es gibt Vogerlsalat aus dem Garten und Schichtfleisch aus dem Dutch Oven. Drei Stunden hat es vor sich hin gebrutzelt, liebevoll betreut unseren zwei kochenden Zauberkünstlern.

Osterfeuer
Die Wärme, der Farben-, Formen-, Ohrenzauber und die Magie des Augenblicks, machen das Osterfeuer zu einem jährlich wiederkehrenden Erlebnis.

Montag, 10. April

Aufwachen im hellen Morgenlicht. Draußen beginnt ein freundlicher Tag. In den letzten Nächten ist mein Schlaf unruhig und ich wälze mich beim Einschlafen ständig herum. Hier habe ich die Schmerzmittel, welche ich seit der Knie-OP genommen habe, nach und nach ganz weggelassen. Vielleicht macht mich diese Umstellung ein wenig unrund.
Im Wald beginnen jetzt die Buchenblättchen sich langsam zu entfalten. Ein hellgrüner, feiner Vorhang auf zart wiegenden Ästen. Am Boden entdecke ich die weißen, lila geäderten Glöckchen des Sauerklees und in der Wiese die sich mandelaartig ausbreitende Rosette einer Distel. Das Grüne erreicht mein Herz auf direktem Weg und es stimmt mich zuversichtlich.

Gezeichnetes Mandala
„Entfaltung“ iPad-Zeichnung, @ Romy Pfyl 23

Dienstag, 11. April

Ein riesiges Atelier in einer verlassenen, barocken Kirche. Irgendwie habe ich es seit Jahren vergessen und nicht mehr verwendet. Am Boden große Pfützen und die Luft ist vom Wasser gesättigt, fast nebelig. Hier würde bald alles vom Schimmel befallen sein. Ich überlege fieberhaft und suche nach Lösungen. Keine Ahnung mehr, wo der Mietvertrag ist oder wer die Vermieter sind. Alles ist tief im Vergessen vergraben. So wie wenn das alles zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben gewesen wäre. Vielleicht sollte ich meine Eltern fragen. Ein zirka fünfjähriger Sohn ist mit mir in diesem verlassenen Atelier und sein Vater. Von weitem sehe ich Wasser auf uns zukommen. Bald wird hier alles überflutet sein. Ich warne den Vater und bitte ihn inständig, sich mit dem Sohn in Sicherheit zu bringen. Ich habe noch was zu erledigen …
Dann wache ich auf, bin ein wenig desorientiert und ich habe keine Ahnung, was ich noch erledigen wollte.

Mittwoch, 12. April

Ich staune, wie gut ich mich in diesen paar Tagen in der Steiermark erholt habe. Gestern eine urgemütliche dreistündige Fahrt mit einem Bummelzug für die Teilstrecke zwischen Gleisdorf und Wiener Neustadt. Dann ein Zwischenstopp in Wien für eine Krafttraining-Einheit. Heute Nacht habe ich wieder zu Hause in meinem Bett geschlafen und von bunten Vögeln in meiner Werkstatt geträumt. An meinem letzten Tag in der Steiermark war ich lange mit Viona, dem Hund über die Wiesen und durch den Wald unterwegs. Es war ein strahlend schöner und warmer Tag. Zum Rasten habe ich mich in die Wiese gelegt. Die Hirtentäscherl sind vor kurzem erst frisch erblüht und haben doch schon kleine zarte Herzerl gebildet.

Hund auf Wiese
Rast mit Viona auf der Herzerlwiese

Donnerstag, 13. April

Regentropfen auf der Fensterscheibe. Von draußen erreicht mich das Bild vom noch immer voll blühenden Pfirsichbaum. Was mache ich mit diesem trüben Tag? Soll ich mich ins Schwimmbad wagen und die ersten Vorübungen fürs Kraulen ausprobieren? Anschließend könnte ich gleich weiterfahren und ein Krafttraining anhängen. Die Vorstellung lockt mich und trotzdem weiß ich, dass es mich ziemlich Überwindung kosten wird, mich rauszutrauen und auf den Weg zu machen. Der dreizehnte ist mein traditioneller Glückstag. An ihm habe ich schon öfters neue Unternehmungen gestartet. Es wäre also genau der richtige Tag, um heute mit dem Kraulen zu beginnen.

Regentag
Was mache ich mit diesem trüben Tag?

Freitag, 14. April

Eine Nachricht von den Büchereien Wien. Das vorbestellt E-Book „Urwelten“ ist jetzt zur Ausleihe bereitgestellt. Draußen schon wieder ein trüber Regentag. Gestern war ich aktiv unterwegs mit Schwimmen, Krafttraining, Kursorganisation und Hühner siedeln. Heute freue ich mich auf einen ruhigen Tag. Ich gönne mir ein Eintauchen in die Bücherwelt. Im Buch „Urwelten“ geht es um Ökosysteme, wie sie entstehen und wieder verschwinden, wie Lebewesen wandern, sich anpassen und entwickeln. Ich bin schon sehr gespannt darauf und ich hoffe, dass es gut und anschaulich geschrieben ist. Manchmal denke ich, dass gerade, wenn es um die Natur geht, oft vergessen wird, dass Veränderung das einzig konstante ist. Nichts lässt sich auf Dauer festhalten. Der Kampf gegen Veränderung mutet mich oft ein wenig absurd an, so wie ein Kampf gegen Windmühlen.

Samstag, 15. April

Regentage und trübes Wetter. Gestern habe ich im Ofen ein Feuer gemacht. Am Nachmittag eine Einladung zum Teetrinken bei einer Nachbarin. Gemütliches Zusammensitzen und plaudern. Meine zwei Hühner sind wieder bei mir zu Hause. Im Hühnergehege ist der Boden in der Zwischenzeit grün zugewachsen. Ich überlege hin und her, ob ich zwei junge Hühnchen dazu nehmen soll oder nicht. Im Herbst steht die zweite Knieoperation an und ich werde längere Zeit nicht zu Hause sein. In der ersten Zeit nach der OP werde ich wieder auf Hilfe angewiesen sein. Es fällt mir nicht so leicht, Hilfe anzunehmen. Vorgestern habe ich mein schweres Vollholzbett allein herumgeschoben. Ich sollte mit dem neuen Kniegelenk nichts Schweres heben oder ruckartige Bewegungen machen. Innerlich habe ich geschimpft und mir dann fest vorgenommen, bei solchen Arbeiten künftig um Hilfe zu fragen.

2 Kommentare

  1. Liebe Romy, ich lese dein Nacht- und Tag-Buch regelmäßig mit großem Interesse und freue mich, in deine Welt einzutauchen. Bin ein großer Fan deiner einfühlsamen Sprache.
    Du warst also tatsächlich im Wasser und hast die Kraulübungen ausprobiert? Davon musst du mir erzählen! Bin gespannt.
    Ich würde mich über junge Hühnchen freuen, wenn ich im Sommer komme.
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Liebe Kerstin,
      ja, ich war im Schwimmbad und habe die ersten Atem- und Gleitübungen gemacht. Das war lustig und hat mich an diesem Regentag froh gemacht. Regnet es in Berlin auch so ausdauernd?
      Liebe Grüße
      Romy

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