Feindbild Einwanderer-Pflanze

Feindbild Einwandererpflanze
Fallopia japonica - Japanknöterich

Gute Pflanzen, böse Pflanzen – was Urteilen bewirkt

Gute Pflanzen, böse Pflanzen gibt es das wirklich?
Es bringt mich ins Staunen immer wieder zu erleben, wie schnell aus eigentlich friedfertigen Menschen, plötzlich polemisierende, mordlustige Hyän*innen werden, wenn es ums Thema Einwanderer-Pflanzen geht. Einwanderer-Pflanzen sind Pflanzen, die sich mit menschlicher Einflussnahme in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren. Sie werden auch Neophyten oder Neobiota genannt.

Wie kommt es, dass eingewanderte Pflanzen, als Feindbilder herhalten müssen?

Der Hang von uns Menschen die Dinge zu beurteilen (und verurteilen), nimmt manchmal seltsame Formen an und verhindert das wirkliche Hinsehen und Wahrnehmen. Ganz besonders absurde Formen, nimmt es an, wenn es um eingewanderte Pflanzen geht.

Einwanderer-Pflanzen werden teilweise mit allen Mitteln bekämpft

Fremde, feindliche Pflanzen bedrohen unsere einheimische Flora, so ist die landläufige Meinung. Sie müssen mit allen Mitteln bekämpft werden. Was sich nicht kontrollieren lässt, muss ausgerottet werden.

Die Schweiz ist das einzige deutschsprachige Land in Europa mit einer Verfassungsnorm, die nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen ausdrücklich schützt. Trotzdem gibt es in der Schweiz eine schwarze Liste für Pflanzen. Teilweise müssen diese den Behörden gemeldet werden. Sie dürfen nicht geduldet, sondern müssen eliminiert werden.

Was Kontrolle anrichtet

Dass im Umgang mit gewissen Pflanzen Vorsicht geboten ist, steht außer Frage. Jedes Kind lernt beispielsweise, dass man Brennnesseln besser nicht anfasst und sich nicht einfach jede Beere, der man begegnet in den Mund stecken und essen kann. Als leidenschaftliche Gärtnerin, lasse ich nicht alle Pflanzen stehen, ich wähle aus und greife somit auch ein. Ich plädiere nicht dafür, die Natur immer und überall einfach sich selbst zu überlassen.

Was mich aber wirklich stört und in Rage bringt, ist die einseitige Sichtweise. Dass der Mensch sich als Krone der Schöpfung sieht und sich mit seinen Meinungen über Nützlichkeit und Schädlichkeit als oberste Kontrollinstanz wahrnimmt. Um vermeintlich schädlichen Pflanzen zu eliminieren, wird weltweit eine unglaubliche Menge an schwersten Giften und Geldern investiert.

Einwanderer-Pflanze Tabak
Gute Pflanze, böse Pflanze? Im Sommer 2017 wuchs in meinem Vorgarten eine echte Tabak-Pflanze

In ihrer ursprünglichen Heimat werden unsere Einwanderer-Pflanzen oft sehr geschätzt

Japanknöterich

Sobald eine Pflanze als schädlich abgestempelt ist, steht sie auf der Anklagebank. So hat es der Japanknöterich geschafft, in der westlichen Welt, zu einer der meist gehassten und bekämpften Pflanzen zu werden. Aber trotz der schweren Bekämpfungsmaßnahmen, breitet er sich weiter aus. Einer der Hauptanklagepunkte, er trüge zur Erosion der Ufer bei, wurde unterdessen empirisch entkräftet.

In ihren Heimatländern werden die Einwanderer-Pflanzen wegen ihrer Nützlichkeit für Mensch und Tier oft sehr geschätzt. Der Japanknöterich ist ein gutes Beispiel dafür. Im Frühling wird er, besonders in den Tempeln, gerne als erstes Frühlingsgemüse gegessen. Unterdessen haben ihn auch die Gourmetköche der westlichen Welt für sich entdeckt. Die jungen Sprosse haben einen rhabarberähnlichen Geschmack und können vielfältig verwendet werden.

Viele ihrer Eigenschaften, könnten auch bei uns nützlich angewendet werden. Mit diesen schnellwachsenden Pflanzen, lassen sich beispielsweise gift- und schwermetallverseuchte Böden sanieren.
Eine amerikanische Firma hat eine Züchtungsform des Japanknöterichs patentieren lassen, welche zu Heizpellets verarbeitet, pro Hektar 8000 Liter Heizöl ersetzen kann.
Unterdessen hat die einheimische Vogelwelt, die dichten Bestände des Japanknöterich, als Nistplätze entdeckt. Die im Spätherbst blühende Pflanze, ist eine begehrte Futterpflanze für Bienen und andere Insekten.

Mich persönlich spricht diese Pflanze auch optisch an und so habe ich Anfang des Jahres 2020, mit ihren winterlichen Blütenrispen, eine Serie von sieben Cyanotypien gestaltet: „Gespräche mit dem Japanknöterich

Ob eine Pflanze geliebt oder gehasst wird, verändert sich im Laufe der Zeit

Wiesenmargerite

Eine einst ungeliebte „Schädlingsblume,“ war auch unsere Wiesenmargerite. Ursprünglich, kommt sie wahrscheinlich aus Nordafrika. Ihr alter Name Wucherblume zeugt davon, dass sie einst nicht gerade beliebt war. Weil eingewanderte Pflanzen zu Beginn kaum auf Schädlinge treffen, breiten sie sich oft ungehindert aus.

Heutzutage lieben wir die Wiesenmargeriten, mit ihren freundlichen Blüten. Wir freuen uns, wenn sie auftauchen und kaum jemand käme auf die Idee sie zu bekämpfen.

Götterbaum

Manchmal dreht sich der Weg auch um und aus einem einst erwünschten und begehrten Baum, wird plötzlich ein ungeliebter Fremdling. Dem Baum des Himmels, dem Götterbaum, ist es in Wien so ergangen.

Für die Bepflanzung ihrer neu erstellten Ringstraße, wollten die Wiener etwas ganz Besonderes, etwas das ihrem Repräsentationsbedürfnis nachkam. Sie wählten einen exotischen Baum, der ursprünglich aus dem Reich der Mitte, aus China kam. Die große, schlanke Wuchsform des Götterbaums, passte besonders gut zu den historistischen Gebäuden. Tausenddreihundertdreiundfünfzig dieser Bäume wurden bei Baumschulen in Ungarn, Südtirol und Italien bestellt. Im Jahr 1865 wurde die Ringstraße eröffnet. Die gepflanzten Bäume gediehen aber nicht wie erwartet und starben laufend ab. Der letzte Götterbaum auf der Ringstraße wurde im Jahr 2005 entfernt.  

Unterdessen hat sich der Götterbaum den Bedingungen des urbanen Lebensraumes hervorragend angepasst und keimt in Wien, an allen möglichen und unmöglichen Orten. Er breitet sich auch in den umliegenden Wäldern aus und ist auf diese Weise vom einst hochgeliebten Himmelsbaum, zur ungeliebten Einwanderer-Pflanze geworden.

Arrangement mit Einwanderer-Pflanzen
Blumen sind Weltbürgerinnen

In Wirklichkeit hat noch kein einziger Neophyt eine einheimische Pflanze zum Erlöschen gebracht, und Heuschnupfen hat andere Ursachen als der Pollen der Ambrosia. Neophyten sind eine Bereicherung unserer Flora, sie sind Teil der allmählichen Wiederbesiedlung unseres Erdteils, nachdem die Eiszeit die hiesige Vegetation praktisch ausgelöscht hatte.

Wolf Dieter Storl

Der Mensch ist ein Teil der Natur und mit ihr untrennbar verbunden

Pflanzen sind schon immer gewandert und wenn man es ganz genau nimmt, sind eigentlich alle Pflanzen irgendwann einmal eingewandert. Wenn ich in unsere Gärten schaue, nehme ich wahr, dass hier die ganze Welt zuhause ist. Unsere Blumen sind Weltbürgerinnen.

Wenn Pflanzen mit dem Etikett schön, hässlich, interessant, langweilig, nützlich oder schädlich versehen werden, bleibt Wesentliches auf der Strecke. Sie können nicht mehr in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden. Das Wunder ihrer Existenz, mit dem wir im eigentlichen Sinne untrennbar verbunden sind, geht dabei verloren.

10 Kommentare

  1. Liebe Romy. Das ist ein wunderbarer Zugang und wohltuender Blickwinkel. So hab ich das noch nie gesehen. Danke für das Augen öffnen! Alles Liebe

    1. Herzlichen Dank liebe Renate, das freut mich sehr:-) Fein, dass sich eine neue Türe für dich geöffnet hat. In den Pflanzen warten noch viele wunderbare Geschichten auf uns. Sie sind wahre Lehrmeisterinnen. Liebe Grüße Romy

  2. Liebe Romy, ich schließe mich an..
    Das ist ein sehr schöner Text und Zugang!
    Mich stört die oft einseitige Betrachtungsweise auch… „gut, schlecht, schön, hässlich, Unkraut, altmodisch, in ,..“
    Schon als kleines Mädchen empfand ich zum Beispiel die kleinen blau-weiß-strahlenden Blütchen des Ehrenpreis als wunderschöne Blumen und konnte gar nicht verstehen, wieso alle Erwachsenen von lästigem Unkraut redeten.
    Es hat mich irgendwie betrübt, und ich habe immer gemeint, dass sie mal genau hinschauen müssten!
    Der Name des von dir in einen neuen-wundervollen Blickwinkel gerückte Japanknöterich war mir lange Zeit gar nicht bekannt, aber ich habe ihn am Flussrand besonders im Herbst/Winter immer sehr bewundert in seinem beeindruckenden Rostbraun, den starken Stielen und feinen Verästelungen.. Ich habe immer wieder lange Exemplare geschnitten und heimgetragen, um sie dekorativ in Szene zu setzen.. :-).
    Deine Cyanotypien, die diese Pflanze so wunderbar ins blaue Licht rücken sind eine Klasse für sich!!
    Du hast in unserem Kurs auch ein paar Mal von der Thuje gesprochen, zu der viele von uns immer wieder für Cyanotypien gegriffen haben… und dass sie ja auch nichts dafür kann, dass Menschen sie zu hässlichen Hecken stutzen.. Damit hast du mir damals auch aus dem Herzen gesprochen ;-)!
    Danke für die interessanten und bereichernden Informationen und Einblicke in noch viel mehr:-)!
    Ganz liebe Grüße!
    Sabine (auch sehr betroffen von den aktuellen Geschehnissen 🙁 .. und Mensch als „Krone der Schöpfung“)

    1. Liebe Sabine, dein Kommentar tut mir in der Seele wohl. Es ist fein für mich zu hören wie ein Text ankommt. Das Schreiben ist oft eine einsame Sache und begleitet von Gefühlen wie, interessiert das überhaupt irgendwen, kann ich das so
      schreiben?
      und und und …
      Ganz herzlichen Dank Sabine für deinen ausführlichen Kommentar und das schöne Feedback. Alles Liebe dir Romy

  3. Danke für den tollen Artikel.
    Bei uns im nördlichen Niedersachsen ist es das Indische Springkraut, welches als Umweltsünde schlechthin dargestellt wird. (Gut für den Bärenklau, denn der ist plötzlich aus dem Fokus verschwunden und darf im Moment wachsen.) Wenn man manchen Artikel glauben würde, dann gäbe es in ein paar Jahren fast nur noch Springkraut und nichts anderes mehr.

    Ich lebe in der Nähe eines Moores und wir haben viel Indisches Springkraut bei uns und ich freue mich immer sehr, wenn ich sehe wie die Bienen diese Pflanze lieben – zumal ihre blühenden Wiesen immer weniger werden …

    Alles eine Sache des Blickwinkels 🤷🏼‍♀️

    Liebe Grüße
    Vanessa

    1. Ja, das ist es, liebe Vanessa, eine Frage des Blickwinkels.
      Auch das Springkraut hat viele tolle Eigenschaften und es ist wunderschön.
      Liebe Grüße nach Niedersachsen.
      Romy

  4. Danke, liebe Romy, für diese Sichtweise. Ich muss gestehen, dass ich auch eher dazu neige, Neophyten mit Skepsis zu begegnen, aber letztlich ist es wie mit den Menschen: Jeder sollte überall zu Hause sein (dürfen). Und wer weiß, ob wir nicht im Rahmen des Klimawandels irgendwann sehr glücklich sind, dass es in unserem zukünftig trockenen Europa Baobabs aushalten und uns Schatten spenden? Liebe Grüße Ulrike

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