Jubiläum

Romys Nacht- und Tag-Buch 52

Mit diesem 52. Nacht- und Tag-Buch ist das Jahr voll. Seit einem Jahr schreibe ich nun schon jeden Tag in diese Chronik meines Alltags. Beim Schreiben hat sich mir gezeigt, wie reich und vielfältig mein Leben ist. Das Glück eines jeden Augenblicks wahrnehmen zu können, ist der größte Gewinn meines Tuns.

Sonntag, 28. Januar

Heute ist der letzte Tag des Short-Story-Kurses. Diese kleine fiktive Geschichte zu schreiben ist spannend für mich und immer wieder überraschend. Auf der einen Seite diktieren aus dem Hintergrund meine Lebensthemen, dann mischt aber auch Akio, meine Hauptfigur ein und sagt mir genau, wie es weiter gehen soll. Mich beschleicht eine Ahnung, dass diese – sich wie aus dem Nichts entwickelnden Szenen mehr mit einem innersten Kern zu tun haben als meine autobiografischen Geschichten. Im Erfinden liegt eine ungeheuerliche, fast beängstigende Freiheit. Alles ist möglich auf diesem leeren Blatt, das vor mir liegt. Dann schreibe ich einen ersten Satz und der Stift beginnt wie von selbst einer inneren Logik zu folgen.

Notizen
Schreiben mit Herzblut, Notizen vom Short Story Kurs

Montag, 29. Januar

Dem Bach entlang gehen. Hier zieht es mich immer wieder hin. Wie ein Band zieht er sich durch die Landschaft. Ein paar vertrocknete Schilf-Halme künden vom letzten Sommer. Weiter unten der Japanknöterich. Nur noch ein paar Stangen ragen aufrecht. Die trocken braunen Röhren liegen verstreut. Bald werden hier wieder die ersten dicken Knospen wachsen, grünlich-rot, dick, saftig und fremdländisch. In Japan sind sie ein begehrtes und beliebtes Frühlingsgemüse. Sie schmecken Rhabarber-ähnlich. Einmal habe ich davon kleine Gläser mit Kompott eingemacht. Mit Vanille gewürzt, eine Delikatesse. Hier am Bach haben die Kinder diese Stelle als Spielplatz entdeckt. Im Sommer ist es wohl ein wundersames Zwergen-Gefühl, sich in diesen hohen Stangen zu verstecken und sein eigenes Reich zu schaffen.

Rußbach
Spazieren dem Rußbach entlang

Dienstag, 30. Januar

Das schöne Wetter und die sonnigen Tage locken mich hinaus. Der Winter hat mich sonnenhungrig gemacht. Der blaue Himmel tut der Seele wohl. Das spüren wohl auch die nackten Äste meines Pfirsichbäumchens im Vorgarten. Sie strecken ihre noch winzig kleinen Knospen hinauf in den verheißungsvoll blauen Himmel. Ich kann es kaum erwarten, sie wachsen und blühen zu sehen. Gestern habe ich mir drei Szenen von einem meiner Lieblingsfilme angeschaut, Träume von Akira Kurosowa. Die Geschichte mit dem kleinen Jungen, der bitterlich weint, weil die Pfirsichbäume gefällt worden sind, hat mich sehr berührt. Nur noch die Stümpfe sind übrig geblieben. Am meisten vermisst er das Blühen. Die Geister der Pfirsichbäume erbarmen sich und lassen ihn noch ein letztes Mal die unglaubliche Pracht der blühenden Pfirsichbäume sehen.  

Mittwoch, 31. Januar

Die Waage zeigt mir ein neues Gewicht. Seitdem ich aus der Schweiz zurückgekehrt bin, habe ich drei Kilo abgenommen. Ich verwöhne mich mit leichtem Essen, viel Gemüse, Kräutern und buntem Allerlei. Das Essen ist ein wohltuender Genuss für mich in diesen oft so trüben Januartagen. Warme Suppen und erfrischende Früchte. Gestern eine Grapefruit. In meinen Kindertagen waren sie gelb und meine Mutter hat sie als gesunde Vorspeise serviert. Einmal in der Mitte durchgeschnitten, löffelten wir sie mit einem Teelöffel aus. Das Bittere kostete ein wenig Überwindung. Jetzt sind sie rot und fast gar nicht mehr bitter. Ich genieße ihre süß-aromatische Saftigkeit und meine Augen erfreuen sich am Farben-Textur- und Formen-Spiel.

Donnerstag, 1. Februar

Am fünften Februar, also vor bald einem Jahr, habe ich hier meinen ersten Eintrag geschrieben. Zum Anlass dieses Jubiläums tauchen Fragen auf, wie und ob ich weitermachen möchte. Manchmal sind Zweifel da, soll ich, soll ich nicht?
Letzte Woche habe ich drei Nachrichten bekommen. Eine Cousine, eine alte Künstlerfreundin und eine neue Bekannte haben mir geschrieben, wie gerne sie in meinem Nacht- und Tag-Buch lesen und dass es ihren Alltag bereichert. Ich freue mich, wenn ich solche Nachrichten bekomme. Für mich ist es ein schönes Gefühl, meine Gedanken nicht nur im einsamen Kämmerlein vor sich hinschmoren zu lassen.
Dieses tägliche Schreiben ist auch für mich immer wieder inspirierend. Umso besser, wenn es auch im außen geschätzt wird und auf Resonanz stößt.

Freitag, 2. Februar

Ein wildes, und anstrengendes Traumerleben heute Nacht. In einem schrecklich verwirrten Zustand muss ich unzählige schwierige Aufgaben meistern. Einen unendlich breiten Strom mit hellblauem Wasser auf einer gefährlich wankenden Hängebrücke überqueren. Über eine Hausfassade klettern. Auf einem lotterigen kleinen Balkon über einem Abgrund verliere ich das Gleichgewicht und kann mich gerade noch außen am Geländer festkrallen. Zwei Männer helfen mir. Ich muss mich selbst tüchtig wieder hinauf hangeln, damit es gelingen kann. Die ganze Zeit fühle ich mich verloren und ich habe das furchtbare Gefühl, mich hoffnungslos verirrt zu haben. Beim Aufwachen sehe ich den hellen Mond am Himmel. Ein heißer Tee lässt mich wieder glücklich im Hier und Jetzt ankommen.

Samstag, 3. Februar

Zu Maria Lichtmess vor 17 Jahren ist meine älteste Enkelin geboren worden. Am Abend vorher ein gemeinsamer Spaziergang mit meiner hochschwangeren Tochter und dem zukünftigen Vater durch einen Wiener Park bei Mondschein. Eine unvergessliche Stimmung von Freude und Aufregung. Dann das Warten während der Geburt. Als ich am Naschmarkt vor einem Blumenstand stehe, bin ich mir ganz plötzlich sicher, dass es ein Mädchen wird. Ich kaufe einen großen Strauß mit prachtvollen rosaroten Ranunkeln, um ihre Ankunft zu feiern. Gestern ein gemeinsames asiatisches Essen. Das Essen wird uns von einem freundlichen Katzenroboter serviert. Plaudern, erinnern und ein feines Zusammensein.

6 Kommentare

  1. Liebe Romy, du scheinst ja auch eine Frühaufsteherinnen zu sein? Vor einiger Zeit war ich das auch noch. Jetzt freue ich mich immer, wenn ich morgens noch ein bisschen länger liegen bleiben kann. Deine Tagebucheinträge sind sehr berührend und ich hoffe, du wirst weiterschreiben. Ich bin zwar erst jetzt, am Ende dieses ersten Jahres dazu gestoßen, aber ich würde auf jeden Fall weiterlesen, wenn es etwas zu lesen gibt von dir und über dich.

    1. Guten Morgen liebe Nadja,
      das freut mich sehr, dass du mich schon in aller früh besucht hast. Zumindest auf meiner Website … Ja, ich denke, dass ich weiterschreiben werde. Ich bin schon jetzt gespannt darauf, wie es in der nächsten Woche nach meiner OP wird mit dem Schreiben. Aber probieren werde ich es auf alle Fälle. Ich finde es fein, dass wir einander kennengelernt haben und ich freue mich schon auf unseren Schreib-Austausch.
      Liebe Grüße
      Romy

  2. Sonnenhungrig – bei diesem Wort kann ich andocken und spüre es ganz deutlich. Hier in Berlin sind die Winter sehr lang und grau und die Sonne lässt sich nur selten blicken. Bin auch ganz ausgehungert nach Licht und Sonne. Letzten Sonntag war auch bei uns so ein Sonnentag und wir haben eine schöne Wanderung in der Natur gemacht und uns an den ersten Knospen erfreut.
    Bin gespannt, wie es mit Akio weitergeht. Hab gleich mal in den Link zu Akira geschaut. Eine schöne Inspiration.
    Liebe Grüße
    Kerstin

    1. Zum Glück werden jetzt schon die Tage wieder länger und wärmer. Die Hühner sind schon aufgeregt und den Vögeln fallen plötzlich ganz neue Lieder ein … Ein wenig Frühling liegt schon in der Luft 🌱🌱🌱

  3. Liebe Romy!
    Auch ich bin eine begeisterte Leserin deines Nacht- und Tagbuches. Es wäre schade, wenn du damit aufhören würdest. Ich freue mich – seit du begonnen hast zu schreiben – jede Woche auf deine Eindrücke und Neuigkeiten, die mich zum Nachdenken anregen.
    Alles Liebe und weiterhin viel Freude am Schreiben wünscht dir Johanna

    1. Danke Johanna, wie schön, dass du mich seit dem Anfang begleitest. Ich freue mich sehr, dass du dabei geblieben bist. Das ist für mich sehr motivierend und unterstützend. Hab ganz herzlichen Dank dafür.
      Alles Liebe dir
      Romy

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