Im Nachdenkmodus

Romy Pfyl

Romys Nacht- und Tag-Buch 46

Die Zeit am Ende dieses Jahres bringt mich in einen Nachdenkmodus. Es ist das Schreiben meines Jahresrückblicks, das die Gedanken in Bewegung bringt. Beim Schreiben erkenne ich, wie reich, vielfältig und bunt mich das Leben trotz teilweise schwieriger Umstände beschenkt hat.
Das Glück ist im Moment zu Hause. So habe ich es in diesem Jahr erlebt. Jeder Zeitpunkt, egal wie schwierig er ist, hat das Potenzial zu einem glücklichen Moment zu werden.

Sonntag, 17. Dezember

Mein Backrohr steht draußen auf der Terrasse. In der Küche ist einfach zu wenig Platz dafür. Für mein sonntägliches Frühstück brauche ich heute etwas Besonderes. Die drei schlanken Baguettes sind oben schon krustig aufrissen. Vom Backrohr her steigt ein weißlicher Dampf in die frische Morgenluft. Der verheißungsvolle Duft von frischem Brot kitzelt meine Nase. Dieser Geruch ist unbeschreiblich und einzigartig. Er begleitet uns Menschen seit unzähligen Generationen. Dort, wo wir ihm begegnen, fühlen wir uns sofort zu Hause.

Montag, 18. Dezember

Endlich habe ich mich aufgerafft. Ich bin draußen unterwegs auf einer Runde durch Obersdorf. Der frühabendliche Himmel bringt mich ins Staunen. Gebannt folge ich seinem Schauspiel. Fast minütlich wechselt die Szenerie. Die Leuchtkraft der Farben steigert sich bis fast ins Unerträgliche. Dann mildert sie sich wieder ab. Der Himmel wird dunkel. Im Nachklang schimmert er in einem dunklen Violett. Schon seit Kindertagen beobachte ich den Weihnachtshimmel. Um diese Jahreszeit, wo die Tage oft trüb und trostlos sind, hält er seine Zauberkunststücke für uns bereit. Durch dieses magische Licht hebt sich mein Blick. Das Dunkle Trübe kommt in Bedrängnis. Warum nicht jetzt eine Prise Rosarotes in mein Herz hinein lassen? Schaden kann es ja nicht. Das auf keinen Fall.

Abendrot
Warum nicht jetzt eine Prise Rosarotes in mein Herz hinein lassen?

Dienstag, 19. Dezember

Ich schaue an mir hinunter und sehe, dass ich meinen weiten grauen Pullover mit den bunten Blumenmustern verkehrt herum angezogen habe. Ja, gut, denke ich, vielleicht ist das auch eine Möglichkeit meinen Tag von einer anderen Seite her anzugehen. Ich denke an meine russische Freundin. Sie warnte mich, als sie eines müden Morgens einen verkehrt angezogenen Pulli an mir sah. Bei uns heißt es, dass das Unglück bringt. Ich lächle in mich hinein. Ich frage mich, wer bestimmt, was Glück ist und was Unglück? Sind es nicht einfach die zwei Seiten derselben Medaille?
Schon wieder ist der Himmel hellrosa. Ich bin gespannt, wie der heutige Tag wird.

Mittwoch, 20. Dezember

Das Schreiben des Jahresrückblicks hat vieles bei mir in Bewegung gebracht. Es macht etwas mit mir, wenn ich über das vergangene Jahr nachdenke und einen Blick ins Nächste wage … Ich habe das Bedürfnis, dieses Jahr aktiver anzugehen. In meinem letzten Jahr bin ich hauptsächlich ins Innere gereist. Im nächsten Jahr möchte ich beweglicher werden und mich mehr in die äußere Welt trauen. Das Sein mit dem Tun verbinden. „Just do it“, sagen die sportlichen Schuhe zu mir. Warum nicht … vielleicht wird „Einfach tun“ zu meinem neuen Jahresmotto. Neue Schuhe wären ein großartiges Weihnachtsgeschenk für mich. Ich bespreche am Telefon mit meinen Enkelinnen die verschiedensten Optionen. Sie beraten mich bestens. Hell müssen sie sein, schlicht und zu allem passen. Ich denke, ich werde mich für die Weißen mit dem gelben Akzent entscheiden. Diese Schuhe wirken leicht, verheißen Beweglichkeit und sie werden mich gut dabei begleiten, neue Wege auszuprobieren.

Meine neuen Schuhe
Just do it“, sagen die sportlichen Schuhe zu mir

Donnerstag, 21. Dezember

Beim Frühstücken denke ich darüber nach, wie viele Bücher ich wohl schon im Laufe meines Lebens gelesen habe. Ich stelle mir ein Haus vor und alle Wände sind von unten bis oben voll mit meinen gelesenen Büchern. Dann denke ich darüber nach, wie viele Geschichten ich über mein Leben schreiben könnte. Plötzlich geht mir auf, dass dieses Unterfangen irgendwie unendlich und endlos wäre. Es würde weit über das von mir Gelesene hinausgehen. Ein wenig erschrecke ich bei diesem Gedanken. Wenn das so viel ist, lohnt es sich dann überhaupt, damit anzufangen? Wie kann ich all diese Fäden zusammenbringen und wo soll ich beginnen?

Freitag, 22. Dezember

Lange Nächte und wenig Schlaf. Tief m Untergrund denkt es innerlich weiter. Die längste Nacht liegt jetzt hinter uns. Ab jetzt geht es dem Licht entgegen. Gestern im Garten ein Amselpaar beim Flirten beobachtet. Ein erster zarter Hauch und eine ganz schwache Ahnung von Frühling liegt in der Luft. Am Abend und in der Nacht braust ein wilder Wind ums Haus. Das Terrassendach scheppert. Hoffentlich hält es diesem starken Druck stand. Wie es den Hühnern wohl geht, in ihrem dunklen, jetzt wohl ein wenig wackelnden Häuschen. Sie werden sich wahrscheinlich gemütlich aneinanderkuscheln. Bald kommt der Frühling und alles wird besser.

Mein Häuschen am frühen Morgen
Die längste Nacht

Samstag, 23. Dezember

Zwölf Stunden lang werde ich heute mit dem Zug unterwegs sein … wenn alles gut geht. Ich bin schon ziemlich aufgeregt. Seit mehr als drei Jahren war ich nicht mehr in der Schweiz. Eine lange Zeit. Mein Vater feiert am 8. Januar seinen 95. Geburtstag. Meine Schwester reist aus Japan an und so werden wir Kinder, Kindeskinder und Kindeskindeskinder miteinander feiern. Vorher verbringe ich Weihnacht und Neujahr mit der Familie meines Sohnes in Solothurn. Ich freue mich schon sehr auf meine jüngste Enkelin. Endlich werden wir ausgiebig Zeit miteinander haben.

2 Kommentare

  1. Ich wünsche dir eine wundervolle Zeit in der Schweiz. „Einfach tun“ ist ein großartiges Motto – vielleicht klaue ich es einfach von dir. 🙂 Jedenfalls freue ich mich, wenn wir nächstes Jahr „einfach ein paar Sachen miteinander tun“ – sei es, ein neues Lokal zu entdecken oder den Leopolditag gemeinsam zu feiern.
    LG – Uli

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