Zeitreisen

Stift Klosterneuburg
Stift Klosterneuburg

Romys Nacht- und Tag-Buch 41

Ich sehe die Kiefern, die Hainbuchen und die große prächtige Eiche. Die brennenden Scheite in meinem Holzherd nehmen mich mit auf eine Gedanken-Reise. Ich sehe die Keimlinge und die jungen Bäume. Ich begleite sie durch ihr Erdenleben bis zu dem Punkt, wo sie in meinem Herd verglühen.
Das ist nicht die einzige Tuchfühlung mit vergangenen Zeiten in dieser Woche. Auch im Wolkersdorfer Untergrund und während dem Leopoldi-Fest in Klosterneuburg begebe ich mich auf Zeitreisen.

Sonntag, 12. November

Draußen am Himmel zartrosene Wölkchen. Hinter mir knistert das Feuer im Holzherd. Eine wohlige Wärme umgibt mich. Kaum aufgestanden, gehe ich raus in den kalten Morgen. Ich stehe noch im Pyjama und barfuß auf den eisigen Waschbetonplatten und sammle die Holzscheite für mein morgendliches Feuer in den Weidenkorb. Dieses Tun macht mich wach und frisch. Dann im Ofen die Asche von gestern wegräumen. Das Fensterchen mit einem zusammengeknüllten Zeitungspapier putzen. Ich möchte eine gute Sicht auf die Flammen haben. Sorgsam schlichte ich ein paar Zündscheite aus Kiefer, darauf kommen dünne Hainbuchen-Äste und zum Schluss Eichenholzscheite. Nach dem Anzünden achte ich darauf, dass die noch zaghaften Flämmchen genug Luft bekommen. Der tägliche Umgang mit dem Feuer lehrt mich Achtsamkeit, erfreut meine Sinne und mein Herz.

Feuer im Holzherd
Morgenfeuer im Holzherd

Montag, 13. November

Am Sonntag war meine große Enkelin hier. Gemeinsam sind wir durch die Küche geflitzt und haben Eck für Eck geputzt und neu sortiert. Alles nicht mehr Gebrauchte wird aussortiert. Die Küche ist für mich das Herz des Häuschens. Hier passiert die große Alchemie der Nahrungs-Zubereitung. Dabei bricht bei mir regelmäßig das Chaos aus und mein Tun hinterlässt Spuren. Jetzt ist alles wieder übersichtlich, geordnet und sauber. Das macht zufriedenes Gefühl. Wenn ich durch die Küche gehe und mein Blick da und dort hinfällt, wird er durch nichts mehr irritiert.
Zu zweit fällt das Putzen und Räumen viel leichter. Meine Enkelin hat vor allem die Kletterpartien übernommen und sich um alles gekümmert, was mir momentan mit meinem etwas steifen Knie nicht so leicht fällt.

Dienstag, 14. November

Gestern Abend ein Treffen mit den Kulturschaffenden der Gemeinde Wolkersdorf. Wir erkunden interessante Orte für einen künftigen Kunstevent. Die Wolkersdorfer Unterwelt bietet hier beachtenswerte Möglichkeiten. Wir besichtigen drei Weinkeller. Mit dem Gang über die Treppen hinunter beginnt eine Zeitreise. Große Glasfliesen-Räume, in denen früher der Wein gelagert wurde. Ein riesiges und imposantes Kellerröhrensystem eröffnet sich vor meinen staunenden Augen. Überall begegnen uns Spuren vergangenen Lebens. Für mich ist es ein eigenartiges Gefühl, hier unten zu sein. Ich schwanke zwischen Faszination und Beklemmung. In manchen Röhren wachsen feine Baumwürzelchen, durch die Decke. Sie schaffen eine Verbindung mit der oberen Welt.

Schatten an der Weinkellerwand
Schattenspiele in der Kellerröhre

Mittwoch, 15. November

Erste zaghafte Fröste hat es schon gegeben. Der üppig wuchernde Neuseeländer-Spinat hat davon aber noch keinen Schaden davon getragen. Das erstaunt mich. Ich denke, dass seine sukkulenten Blätter ziemlich frostempfindlich sind. Bevor ihm ein starker Frost den Garaus macht, ernte ich noch eine große Schüssel voll. Ich mache einen Gemüsestrudel und ergänze den Spinat mit Hokkaido-Kürbis und Pastinaken. Den ganzen Sommer über habe ich wöchentlich mindestens eine Mahlzeit mit diesem köstlichen Spinat genossen. Bisher hat er sich jedes Jahr von alleine ausgesät. Ich bin gespannt, ob er mich auch im nächsten Sommer wieder beglücken wird.

Donnerstag, 16. November

Zu Leopoldi mit der Uli in Klosterneuburg. Die Stiftskirche ist proppenvoll. Ich lasse mich von den Klängen der Orgel und der beeindruckenden barocken Architektur in andere Sphären tragen. Ein wunderbarer Gesang erfüllt die Kirche. Er berührt mich so sehr, dass ich Gänsehaut bekomme. Beim Pontifikalamt ist das prunkvolle Chorgestühl prominent gefüllt. Nach der Messe gibt es eine Prozession durch die Kirche mit geistlichen und weltlichen Würdenträgern. Ich staune und schaue mir diese unglaubliche Vielfalt an Menschengesichtern an. Manche sind von so viel Würde fast ein wenig starr geworden, andere beweglich, den Menschen zugewandt, lächelnd oder grüßend. Die prachtvoll geschmückte Schädelreliquie vom heiligen Leopold wird auf einem Kissen getragen und die Menschen in seiner Nähe bekreuzigen sich. Es ist schwierig, sich davon nicht beeindrucken zu lassen.

Prozession
Prozession mit Reliquie, Foto © Uli Pauer

Freitag, 17. November

Diese Woche habe ich meinen Indoor-Garten reaktiviert. Beim Küchenräumen sind diverse Gerätschaften und Samenpackerl aufgetaucht. Unterdessen sprießt es schon in meinem Küchengarten. Die Sprossen vom Daikon-Rettich habe ich als erstes gekostet. Ich habe sie über die vegetarischen Spagetti Bolognese gestreut. Das frische helle Grün hat sich vor dem orangen Hintergrund gut gemacht. Die frisch, knackige und leichte Schärfe hat das Geschmackserlebnis der weich, saucigen Unterlage beträchtlich erweitert. Bald werden auch die milde und die scharfe Sprossen-Mischung die nötige Genussreife erreicht haben. In einer weiteren Schale keimt Kresse. Hier werde ich warten, bis die Fotosynthese die jetzt noch gelblichen Keimlinge in ein sattes Grün verwandelt.

Kresse
Keimende Kresse

Samstag, 18. November

Mein Goldhuhn Mareike schaut jämmerlich aus. Auch meine zwei Barnevelder haben einiges von ihrer Prächtigkeit eingebüßt. Drei meiner vier Hühner sind in der Mauser. Nach und nach verlieren sie ihre Federn. Nach einiger Zeit wird von unten ein neues Federkleid nachwachsen. Nur Pavina mein Bielefelder Kennhuhn erstrahlt in alter Pracht. Mit ihrem üppigen Federkleid erscheint sie jetzt größer als die Anderen. Sie nutzt die Gunst der Stunde und versucht sich in der Hackordnung nach oben zu drängen. Wenn ich mit dem Futter komme, ist sie immer die Erste, die fressen will. Aber die zwei Barnevelder lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie halten wie Pech und Schwefel zusammen. Hie sind sie die Chefinnen und mit ein, zwei kurzen Hackern ist die Ordnung wieder hergestellt.

4 Kommentare

  1. Liebe Romy! Ich bin begeistert von deiner Woche und freue mich, dass wir beide gemeinsam ein Stück Zeitreise nach Klosterneuburg unternommen haben. Dein Spinat-Kürbis-Gericht schaut köstlich aus und dein Indoor-Garten auch. Vorgestern habe ich auch Kresse gekauft und schon großzügig auf Suppen und Saucen gestreut.
    Und deine Hühner-Geschichten faszinieren mich ganz besonders!
    LG – Uli

    1. Ja, unsere Reise nach Klosterneuburg war wirklich ein Abenteuer der besonderen Art liebe Uli. Gerade habe ich überlegt, dass die Kresse vielleicht eine tolle Zimmerpflanze wäre für dich … Bevor du sie umbringen kannst, wird sie einfach aufgegessen 🙂

  2. Liebe Romy, endlich weiß ich, was mich an deinen Texten so fasziniert und berührt und begeistert. Du bist dankbar für jeden kleinen und für jeden großen Moment in deinem Leben. Dein Text ist wie immer wundervoll. Ich danke dir, dass ich in dir so eine wunderbare Schreibbegleiterin gefunden habe. Bis bald! Lisa

    1. Liebe Lisa
      Durch das tägliche Schreiben im Nacht und Tag-Buch werde ich mir der Kostbarkeit eines jeden Momentes immer wieder von Neuem bewusst. Das fördert ganz automatisch meine Dankbarkeit. Ich freue mich auch sehr, gemeinsam mit dir so manches Schreibabenteuer erleben zu dürfen.
      Herzensgrüße Romy

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